Freitag, Dezember 18, 2015

Offener Brief an Jürgen Kuri von Heise und c't: "Hören Sie bitte auf, Antirassisten zu beschimpfen"

Nachdem der Heise- und c't -Redakteur Jürgen Kuri offenbar aufgrund eines gewaltigen Mangels an Sachkenntnis "Maskulinisten" in einem Atemzug mit Akteuren der radikal rechten Szene nannte, hat ihm einer seiner Leser einen Brief geschrieben, den er mir freundlicherweise auch als Gastbeitrag für Genderama zur Verfügung stellte:



Sehr geehrte Damen und Herren,

sehr geehrter Herr Kuri,

Zuschriften dieser Art beginnen wohl traditionell mit einer Selbstoffenbarung. Ich will in diesem Fall einmal nicht darauf abheben, wie lange ich bereits c't lese (26 Jahre), sondern auf eine mir angeborene Eigenschaft, deren aktuell politisch korrekte Bezeichnung mir leider momentan entfallen ist: Einer meiner Elternteile stammt nicht aus Deutschland, nicht einmal aus Europa, Nordamerika oder Ozeanien.

Mit anderen Worten, jeder "gute Deutsche" würde mich als Ausländer identifizieren. Ich bin einer derjenigen, über die Advanced Chemistry vor vielen Jahren in "Fremd im eigenen Land" sangen "Ich hab nen grünen Paß mit nem goldenen Adler drauf". Wenn ich als Kind gefragt wurde, woher ich denn käme, war "von der Schule" nicht die gesuchte Antwort.

Nun habe ich das Glück, im Rhein-Main-Gebiet zu wohnen, in der Nähe von Frankfurt, das mir mit seinem selbstverständlichen Nebeneinander aller möglichen Hautfarben und Herkünfte gerade vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen immer wieder wie eine sichere Insel der Glückseligen erscheint. Kürzlich hat ein (deutscher) Onkel mich für den Sommer in seine Wohnung an der Ostsee in Mecklenburg-Vorpommern eingeladen; eine meiner ersten Überlegungen war daraufhin, wie groß wohl die Gefahr sei, dort allein durch mein Aussehen bestimmte Menschen so sehr zu provozieren, daß ich in einem solchen Urlaub um meine körperliche Unversehrtheit würde fürchten müssen.

Vor diesem Hintergrund ist es für mich nicht nur beunruhigend, sondern auch beängstigend, wenn ich lese, daß in sozialen Medien Kommentare verbreitet werden, die oft kaum verhohlen von ihren Urhebern als Aufrufe zur Gewalt gemeint und von ihren Adressaten auch so verstanden werden. Das ist keine Frage der Meinungsfreiheit mehr: "Ausländer stinken" mag eine geschützte Meinungsäußerung sein, "Morgen Abend Grillparty mit Asylanten" von jemandem, der sich regelmäßig ausländerfeindlich äußert, ist es nicht.

Vollkommen unabhängig davon besitze ich noch eine weitere Eigenschaft: Ich glaube an die Gleichberechtigung von Männern, Frauen und Intersexuellen. Genauer gesagt, während ich davon ausgehe, daß es zwischen den Geschlechtern statistisch signifikante Unterschiede gibt, die nicht allein auf die Sozialisation zurückzuführen sind, bin ich der Ansicht, daß das Geschlecht eines konkreten Individuums bestenfalls einen sehr schwachen Hinweis darauf liefert, für welche Tätigkeiten es besonders geeignet oder ungeeignet ist, welche Charakterzüge es möglicherweise besitzt und welcher Hilfe und Unterstützung es eventuell bedarf.

Ich habe keinen Zweifel, daß es hervorragende Feuerwehrfrauen und engagierte männliche Erzieher gibt. Ich weiß, daß Transmänner schwanger werden können und Transfrauen an Prostatakrebs erkranken.

Nach ausführlicher Beschäftigung u.a. mit der Rechtslage und Verwaltungspraxis in diesem Land hat mich diese Einstellung dazu gebracht, mich (im Rahmen meiner Möglichkeiten) aktiv gegen Ungerechtigkeiten einzusetzen, wie etwa die noch immer in unserer Verfassung verankerte Pflicht zum militärischen Zwangsdienst nur für Männer, die Legalisierung der durchaus nicht harm- und folgenlosen Vorhautamputation an einwilligungsunfähigen Jungen, die Benachteiligung von Vätern im Familienrecht, von Jungen im Bildungssystem und von männlichen Behinderten bei der Rehabilitation oder die mangelnde Hilfe für männliche Opfer von häuslicher und sexueller Gewalt.

Und ich habe mich auch gefreut, als Mathias Münch im c't magazin.tv mehrmals auf männerfeindliche Äußerungen aufmerksam machte.

Mit anderen Worten: Ich bin Maskulist. Und obwohl ich mich selbst nicht als Antifeministen bezeichne, würden mich interessierte Kreise zweifellos einer "antifeministischen Männerrechtsbewegung" zuordnen. Dieselben Kreise, die auch hart daran arbeiten, jeden Einsatz für die Menschenrechte von Männern und jede Kritik am Feminismus in die Nähe von Sexismus, Frauenfeindlichkeit, rückwärtsgewandtem Traditionalismus und rechter oder gar rechtsextremer Ideologie zu rücken.

Dabei lassen sie sich auch nicht davon irritieren, daß etwa einer der wichtigsten maskulistischen Autoren in Deutschland, Arne Hoffmann, der in seinem aktuellen Werk "Plädoyer für eine linke Männerpolitik" auch die dem linken Maskulismus zugrundeliegende Philosophie des integralen Antisexismus beschreibt, sich neben seinem männerrechtlichen Engagement auch gegen Ausländer- und Islamfeindlichkeit einsetzt, oder daß die geschlechterpolitische Initiative MANNdat e.V. besonders die Probleme von Jungen mit Migrationshintergrund im Bildungsystem hervorhebt.

Und nun schreibt Herr Kuri in seinem Kommentar "Hate Speech. Hassrede. Und freie Meinungsäußerung" unter anderem folgende Zeilen:

"Es sind die PegidistInnen und die Maskulinisten, die Identitären, Reichsdeutschen und Antifeministen, die "Das wird man doch noch mal sagen dürfen"-BürgerInnen und die Verschwörungstheoretiker, die mit Rassismus, Menschenverachtung, Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus, Frauenfeindlichkeit, Sexismus eine krude Hassblase erzeugen und im Endeffekt alle aus derselben Höhle gekrochen scheinen. Menschen in einer Stimmungs- und Meinungslage, die nur wenig verhohlen oder ganz offen geäußert ein reaktionäres Menschenbild predigen, alles was dem nicht entspricht mit Hass verfolgen und damit die Foren fluten."


Nun bin ich es mittlerweile gewohnt, daß mir Frauenfeindlichkeit unterstellt wird, wenn ich die Ansicht äußere, bei Einstellungen und Beförderungen solle das Geschlecht eines Kandidaten keine Rolle spielen, statt per Frauenquote zu einem letztlich entscheidenden Kriterium gemacht zu werden. Oder daß Menschen den Hinweis auf vergewaltigte Männer als Verharmlosung des Leids weiblicher Opfer des gleichen Verbrechens betrachten.

Aber diese bestenfalls gedankenlose und schlimmstenfalls bösartige Behauptung, Männer und Frauen, die sich für die Menschenrechte von Männern und Jungen einsetzen, und Menschen, die Brandanschläge auf Flüchtlingsheime verüben und fremd aussehende Mitmenschen zusammenschlagen oder solche Taten zumindest bejubeln, seien "im Endeffekt alle aus derselben Höhle gekrochen", empfinde selbst ich noch nicht nur als üble Nachrede, sondern auch als persönlich beleidigend und verletzend.

Der Hinweis darauf, daß auch Männer Opfer etwa von sexueller Gewalt werden können, ist das exakte Gegenteil eines reaktionären Menschenbildes, das von Männern ja gerade verlangt, stets stark und stoisch zu sein und keine Hilfe zu brauchen. Und umgekehrt definiert die kanadische Antifeministin und Männerrechtlerin Karen Straughan Antifeminismus als "the radical notion that women are adults".

(Und ich bitte Sie, sich nicht in die Feststellung zu flüchten, hier sei ja von "Maskulinisten" und nicht von Maskulisten die Rede gewesen. In meinen mehr als fünf Jahren Beschäftigung mit diesem Thema bin ich auf ungefähr vier Personen gestoßen, die sich selbst als Maskulinisten bezeichnet haben. Eine davon ist Astrid von Friesen, die nun wirklich sowohl der Frauenfeindlichkeit als auch eines reaktionären Menschenbildes als vollständig unverdächtig gelten darf. Tatsächlich wird der Begriff des "Maskulinismus" praktisch ausschließlich von unseren Gegnern als diskreditierender Kampfbegriff verwendet, um Maskulisten als Traditionalisten darzustellen, die für eine männliche Vorherrschaft kämpfen würden. Der antimaskulistische Autor und Soziologe Andreas Kemper teilte mir auf Nachfrage einmal mit, Maskulismus sei eine Teilmenge des Maskulinismus, somit wären aus seiner Sicht alle Maskulisten auch Maskulinisten.)

Es mag für Beobachter der Debatte verwirrend sein, daß Kritik am Feminismus sowohl von konservativer Seite stammt, die ihm vorwirft, eine angenommene "natürliche Ordnung der Geschlechter" oder ähnliches zu zerstören, als auch von egalitärer und maskulistischer Seite, die seine einseitige Betrachtung gesellschaftlicher Umstände und seinen Alleinvertretungsanspruch für Frauen und in der Geschlechterfrage insgesamt kritisiert.

Das bedeutet aber nicht, daß beide Seiten über die grundsätzliche Tatsache der Feminismuskritik hinaus irgendeine Gemeinsamkeit besäßen oder Antifeminismus gar eine einheitliche oder irgendwie einende Ideologie darstellen würde. Vielmehr werden auch Maskulisten von Traditionalisten mit ähnlichen Argumenten (hier dann: "Weicheier", "Jammerlappen" u.ä.) verhöhnt.

Ich unterstelle Herrn Kuri nicht, vorsätzlich Unwahrheiten zu verbreiten. Aber ich unterstelle ihm, unreflektiert über Menschen hergezogen zu sein, über deren Motive und Überzeugungen er nicht annähernd genug wußte. Und die Ansicht von Dieter Nuhr über das richtige Vorgehen im Falle mangelnder Information setze ich mal als bekannt voraus.

Nochmal, und meinetwegen als TL;DR: Die Behauptung, Männer und Frauen, die sich für die Menschenrechte von Männern einsetzen, und Menschen, die Brandanschläge auf Flüchtlingsheime verüben und fremd aussehende Mitmenschen zusammenschlagen oder solche Taten zumindest bejubeln, seien "im Endeffekt alle aus derselben Höhle gekrochen", empfinde ich nicht nur als üble Nachrede, sondern auch als persönlich beleidigend und verletzend.

Über eine inhaltliche Antwort würde ich mich freuen.

Mit freundlichen Grüßen und den besten Wünschen für Weihnachten und den Jahreswechsel ...

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