Lesermail (Männerfreundliche Gesellschaft utopisch?)
Einer meiner Leser mailt mir heute:
Ich weiß, ich bin spät dran mit meinen Gedanken zum Thema "Kann es eine Gesellschaft geben, die Männer nicht ausbeutet?" Aber sei es drum: Gedanken haben ja kein Verfallsdatum. Generell denke ich, dass es prinzipiell zumindest im Ansatz möglich ist, aber verflucht schwer. Und taktisch müssen wir vermutlich ganz anders daran herangehen, als das für Frauenrechtler möglich ist.
Wir sehen ja immer wieder in den Medien: Wenn es um Gefühliges und Befindlichkeiten geht, dann spricht unsere Gesellschaft Männern erstens die Kompetenz ab, und hört zweitens bestenfalls widerwillig zu.
Meiner Meinung nach liegt das vor allem daran, wie die Menschheit über Hunderttausende von Jahren funktioniert hat: Männer sind unser "Verschleißgut", ob jetzt in der Form der Mammutjäger, der Stollenarbeiter, Müllmänner, oder als Frontkämpfer. (Für mich persönlich übrigens überraschend, dass auch Männerrechtler das vor allem unter dem Geswichtspunkt "getötet werden" sehen. Ich finde es nicht minder schlimm, dass unsere Gesellschaft es als selbstverständlich empfindet, es jedem Mann potentiell aufzubürden, einem anderen Menschen das Leben zu nehmen.) Männer fungieren in unserer Gesellschaft als Puffer gegen alle Widrigkeiten der Erde – ob jetzt Natur oder andere Menschen.
Frauen und Kinder dagegen sehe ich in diesem Vergleich als unser "gutes Porzellan": Darauf müssen wir achten, müssen es behüten (gegebenfalls dadurch, dass wir Puffer verschleißen). Das ist natürlich auch mit Restriktionen einher gegangen: Das gute Porzellan bewahrt man da auf, wo es den wenigsten Widrigkeiten ausgesetzt ist, und bewacht/beschützt es. Dass ich hier übrigens Frauen und Kinder in einem Atemzug nenne, hat einen Grund: Beide werden von unserer Gesellschaft sehr ähnlich behandelt (siehe auch: neotene Merkmale bei Frauen und deren Betonung durch Make-Up etc.).
Die Restriktionen für Frauen haben sich im letzten Jahrhundert eindeutig gelockert – zumindest oberflächlich: Sie dürfen jetzt alles, was früher nur Männer "durften". Aber guckt man unter die metaphorische, gleichgestellte Motorhaube, dann ackert da der alte Motor: Sobald eine Frau nach Schutz und Behütung schreit, wird sie willfährig gewährt. "Freiheit" in diesem Fall: die Freiheit eines Kindes, dessen Eltern trotzdem immer mit einem wachsamen Auge und einer behütenden Hand zur Stelle sind, sollte die Freiheit einmal ihre negativen Seiten zeigen. Und wer muss trotzdem zur Stelle sein, wenn es hart auf hart kommt, wenn aus dem Spiel Ernst wird? Männer. Einen Ersatz hat die Gesellschaft nicht. Freiheit, das sagen die MRAs in der Anglosphäre gern, das heißt im Fall von Frauen (und Kindern) die Freiheit vor Konsequenzen. Die muss dann natürlich trotzdem jemand tragen, aber wie gesagt: Verschleißmaterial hat den Zweck, verschlissen zu werden.
Das sehe ich als das größte Problem der Männerrechtler: Wir fordern im Prinzip, dass unsere Gesellschaft es mit seiner Moral (Mär?) von der Gleichberechtigung ernst nehmen soll, und dem Verschleißgut die selbe Beachtung zukommen lässt wie den feinen Tassen. Und umgekehrt die Tassen, die sich als Verschleißgut üben wollen, auch in die Verantwortung nimmt, und als solches behandelt. Blöderweise ist es eines, hochfliegende Ideale zu haben, um sich besser als all die Troglodyten-Generationen vor einem fühlen zu können. Etwas ganz anderes ist dagegen, wenn diese Ideale dann auf einmal verlangen, gegen seine innersten, von den Troglodyten ererbten, Instinkte zu handeln.
Ein Umdenken wird da meiner Meinung nach erst kommen, wenn das gesellschaftliche Fundament so sehr wackelt und bebt, dass das ganze Haus ernsthaft in Gefahr ist, und nicht mehr genug williges Verschleißgut vorhanden ist, alle Löcher und Risse zu stopfen. Ansätze sehen wir bereits: Ob Migtows oder Grasmampfer, Scheidungsraten oder immer auffälligere Vorzugsbehandlung von Frauen: Vieles davon kann man nicht mehr totschweigen oder mit einem gezielten "Die sind ja eh alles rechtsradikale Marxismus-Faschistinger!" in die gesellschaftliche Nicht-Beachtung drängen.
Da kann ein Einspringpunkt für Männerrechtler liegen: Vielleicht sollten wir etwas weniger Zeit damit verbringen, auf die Gleichberechtigung zu zeigen und sie einzufordern. Das kann meiner Meinung nach nicht nachhaltig funktionieren, denn wie gesagt: Damit bürsten wir die Katze gegen ihren evolutionären Strich. Aber wo ich eine Chance sehe, das ist der Angriffspunkt bei Männern und ihrem Selbstverständnis: Dass wir mehr sind als eben eine Handvoll Mörtel, die man bei Bedarf in einen Riss schmiert und dann mit Farbe abdeckt, damit keiner mehr die Reparatur angucken muss. Dass wir nicht damit zufrieden sein sollten, besonders guter Mörtel zu sein.
Vielleicht sollten wir Männer zusammenarbeiten, und zwar nicht nebeneinander auf ein Ziel für Dritte, sondern für uns selbst und gegenseitig. Bevor ich die Männerrechtler gefunden hatte, war ich in einem Torpor gefangen: Ich war mir relativ egal, fand keine Rolle, keinen Verwendungs- und Verbrauchszweck für mich. Was war ich mir wert? Nichts. Weil ich mich lediglich in meinem Wert für andere definiert habe, und der mir zu gering erschien.
Erst über die Männerrechte habe ich eine wichtige Lektion verinnerlicht: Ich besitze intrinsischen Wert, und nicht nur den meiner Aktionen. Und ich bin es mir selbst schuldig, mich nicht unter diesem Wert zu verkaufen. Ich bin es mir schuldig, körperlich und seelisch gesund zu bleiben. Wie schon Sokrates sagte: "Es ist für einen Mann eine Schande, alt zu werden, ohne zu sehen, zu welcher Schönheit und Kraft sein Körper im Stande ist."
Respekt für sich selbst – das fehlt meiner Meinung nach vielen Männern heutzutage. Und da könnten Männerrechtler konstruktiv aktiv werden: aufzeigen, dass man sich als Mann nicht alles gefallen lassen muss. Dass (und wie) man sich effektiv verteidigen kann, und sich das auch schuldig ist. Das positive an Männern, das so lange unter den Teppich gekehrt wurde, wieder zu beleuchten.
Echte Veränderung kommt nicht von oben, sondern von der Basis her. Und ich denke, dass gerade Männer oft entwurzelt und gestutzt sind, und davon profitieren können, wenn sie Wert wieder aus sich selbst schöpfen können. Eine Gesellschaft, die Männer nicht mehr ausbeutet, die kann es nur geben, wenn Männer gelernt haben, sich nicht mehr ausbeuten zu lassen, und für sich und ihre Interessen mit geradem Rücken einzustehen. Und das wird eine schwere und lange Reise, zumal es einer kritischen Masse an so denkenden Männern bedarf. Und eine Frage bleibt: Wenn nicht mehr mehr die Männer das Verschleißgut mimen - was/wen als Ersatz nehmen? Vielleicht sollten wir zumindest vorerst auch unser Ziel nicht ganz so hoch stecken, und daran arbeiten, dass unsere Gesellschaft überhaupt begreift, wie utilitaristisch sie ausschließlich Männer behandelt.
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