Montag, September 15, 2014

Lesermail (Eine Frau und ihre Matratze)

Derzeit berichten viele Medien über eine Aktion der Kunststudentin Emma Sulkowicz. Stiller Protest: Vergewaltigte Studentin trägt Matratze zur Uni berichtet beispielsweise der FOCUS. Woher weiß der FOCUS, dass Sulkowicz vergewaltigt worden ist? Weil sie es so schildert. Immerhin stellt der FOCUS im Artikel selbst klar, dass es sich lediglich um einen Vorwurf handelt und die Universität dem beschuldigten jungen Mann glaubt. Aus Protest dagegen schleppt Sulkowicz nun, wo sie geht und steht, eine Matratze mit sich herum.

Deutlich hemmungsloser ist das etwa die BRIGITTE, die sich ja schon seit Jahren darin versucht, die Nachfolge der radikalfeministischen EMMA anzutreten. Folgerichtig heißt es in einem von Michéle Rothenberg verfassten BRIGITTE-Artikel:

Emma Sulkowicz ist 21 Jahre alt und Kunst-Studentin an der Columbia University. Das College in New York gilt als eine der besten Universitäten der Welt. Doch Emma erlebt dort einen Alptraum. Einen Albtraum, den sehr viele Studentinnen in den USA erleben. Sie wurde vergewaltigt. Es geschah in ihrem eigenen Zimmer, in ihrem eigenen Bett. Und der Täter schlug nicht zum ersten Mal zu. 23 weitere Studentinnen gaben ebenfalls an, von diesem Kommilitonen vergewaltigt worden zu sein.


Wer braucht noch einen Rechtsstaat, wenn er die BRIGITTE hat? Oder eine Matratze? Und das Blatt ist natürlich nicht alleine. Seiner Darstellung zufolge haben Medien in der ganzen Welt über Sulkowicz' Aktion berichtet

und eine Welle der Solidarität ausgelöst. Letzte Woche haben trugen hunderte Columbia-Studenten ebenfalls ihre Matratzen auf den Campus, um gegen ihre Uni-Leitung zu protestieren. (...) Auch unter dem Twitter-Hashtag #Carrythatweight zeigen Menschen aus aller Welt Unterstützung.


Warum hat die Studentin den angeblichen Täter nicht bei der Polizei angezeigt? Dort sei man ihr dumm gekommen. Zuerst habe man ihr mitgeteilt, dass es bis zu einem Prozess über ein Jahr dauern würde, und danach habe ihr ein Beamter erklärt:

"Sie haben ihn in Ihr Zimmer eingeladen. Das entspricht nicht der rechtlichen Definition von Vergewaltigung. (...) Auf jede Vergewaltigung, die ich hier hatte, kamen 20, die totaler Bullshit waren. Es ist mein Job, die Wahrheit herauszufinden. Wenn das bedeutet, dass ich unfreundlich sein muss, dann ist das eben so."


Also statt mit Rechtsstaat lieber mit Matratze.

Auf den Seiten der "Welt" tut derweil Iris Alanyali immer wieder so, als sei die Vergewaltigung, die Sulkowicz berichtet, eine erwiesene Tatsache. Zwar wird das Wörtchen "mutmaßlich" hier und da eingestreut, aber viele Sätze verraten, dass es sich dabei nur um ein Feigenblatt handelt: "So wie die Vergewaltigung vor zwei Jahren, deren Last Emma nach wie vor spürt." und "Sulkowicz' Vergewaltigung ereignete sich bereits im August 2012 in ihrem Zimmer im Studentenwohnheim der Columbia." heißt es dort etwa.

(Dass es auch ohne solche suggestiven Vorverurteilungen geht, zeigt beispielsweise Carola Padtberg-Kruse auf Spiegel-Online.)

Das alles zum Hintergrund des Falles, zu dem mir der maskulistische Publizist Kevin Fuchs nun folgenden Leserbrief schreibt.

Ich bin gerade auf eine Blog-Seite der Columbia-Studentengemeinde gestoßen, wo der Fall Emma Sulkowicz unter Uni-Angehörigen diskutiert wird. An der Columbia-Uni ist dieser Fall ja passiert. Mehr als die Hälfte der Beiträge steht Emma Sulkowicz eher misstrauisch bis ablehnend gegenüber.

An mehreren Stellen erhält man einen Hinweis auf die Version des "Tathergangs", die an der Uni die Runde macht. Demnach scheint es um eigentlich einvernehmlichen Sex mit Analverkehr zu gehen. Der Analverkehr sei wohl von Emma Sulkowicz unvorhegesehen als unangenehm und schmerzhaft empfunden worden. Darum sei sie später wohl auf den Gedanken gekommen, vergewaltigt worden zu sein. Der Hinweis auf den Analverkehr (aber ohne nähere Beschreibung) habe ich auch in anderen Berichten der Leitmedien gefunden. Emma Sulkowicz musste wohl in einer Vernehmung den Hergang des Analverkehrs genau beschreiben - ein Hinweis darauf, dass die unten folgende Version tatsächlich wahr sein könnte.

"Here's one scenario where your *doubt* is key here. (trigger warning) Say Emma and this individual were comfortable in bed together, having already slept a few times together, and were feeling especially frisky one night, and both parties are drunk. The man asks Emma if he can try anal, and Emma is nervous internally, but mutters "Okay". Emma had never had anal, and it hurts much more than she imagined. However, she is whimpering softly to herself, and the man is unaware of this, as he cannot see her face, and is drunk himself. He then realizes something is wrong and pulls out, but the damage is done. Later, Emma recalls the pain she felt, and feels violated by the perpetrator, and is convinced that she must have specifically stated that she was not consenting."

Ob diese Schilderungen sich mit der Wirklichkeit decken ist schwer zu sagen. Jedenfalls liefert der Blick in die Innenwelt der Uni ein ganz anderes, weit differenzierteres Bild als das, was man in den Leitmedien liest. Sehr schön ahnt man auch den Zusammenhang zu der derzeitigen Sexual-Harassment-Hyterie an den US-Unis und die dort weit überspannte Frage, was den "sexual consent" sei. Hier noch ein paar weiter Zitate.

"This does not feel like justice, but vengeance. This man has not been proven guilty of any crime, and his case was dismissed by the school. Emma seems to be using her publicity merely to shame this individual, and if she had any interest in actually convicting him, she should have done so long ago, when evidence could be reviewable and the story was much more coherent. He has every right to a defamation lawsuit. Bring on the downvotes."

"I'm not saying the guy was innocent - but nor should he be presumed guilty just because she said so. We don't know the facts here. There have been cases of vengeful ex-girlfriends making false rape accusations. I'm sure you can think of more."

"Actually, even a glance at the Blue & White story shows that he did not rape the two other complainants in any reasonable sense of the word. One of them said she had a relationship with him which, while consensual, was emotionally manipulative and hurtful. The other said he grabbed her in a basement at a party and tried to kiss her, but she rebuffed him. There simply is no basis for calling him a serial rapist"

"Ignoring the facts is all too common in this debate. It is one of the reasons why many people, like me, who are basically inclined to sympathize with the victims, are nevertheless appalled by the hysteria and the calls for mob justice that have gripped Columbia in recent weeks."

"Civil cases use preponderance of evidence too. He has a good case. No evidence, lots of rumor and innuendo, was not found responsible by the university (much easier to be found responsible here than any court). She's clearly profiting from it with respect to publicity. This can get ugly quickly."


Wenn Studenten und Studentinnen einen heiklen Fall im Zusammenhang mit sexueller Gewalt zehnmal differenzierter und weniger vorverurteilend analysieren können als viele Vertreter unserer sogenannter Qualitätsmedien, ist für die Gründe der derzeitigen Pressekrise eigentlich alles gesagt.

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