Mittwoch, August 20, 2014

BGH-Richter zum Sexualstrafrecht: "In welchem Rausch der unbegrenzten Verfolgung befinden wir uns?"

In der aktuellen Debatte darum, ob in Zukunft jede sexuelle Handlung gegen den Willen einer Person (also auch ohne Gewaltanwendung oder -drohung) strafbar sein sollte, hat sich gestern der BGH-Richter und StGB-Kommentator Professor Thomas Fischer in einem Interview mit der Legal Tribune mahnend zu Wort gemeldet. Ein Auszug:

Das Gesetz unterscheidet – zu Recht – zwischen Missbrauch und Nötigung. Der sexuelle Missbrauch ist strafbar, wenn er Personen betrifft, die besonders schutzwürdig sind wie zum Beispiel Kinder. Von erwachsenen Menschen erwartet der Gesetzgeber hingegen in der Regel, dass sie ihr Sexualverhalten einigermaßen unter Kontrolle haben, also auch einmal "Nein" sagen können.

Dieses "Nein" kann eine andere Person nur dann überwinden, wenn sie Zwang, also irgendein Nötigungsmittel anwendet. Nötigungsmittel sind Gewalt, Drohung und seit 1997 auch das Ausnutzen einer schutzlosen Lage.

Nun ist "ausnutzen" aber offensichtlich keine konkrete Tathandlung Niemand kann sagen, was "ausnutzen" ist, wenn er nicht weiß, was der Ausnutzende und der Auszunutzende denken, wollen, verstehen und tun.

(...) Früher wurde bestraft, wer eine Frau unter Vortäuschung der Heiratsabsicht zum Geschlechtsverkehr verführte. Ich kann mir kaum vorstellen, dass Frau Professor Frommel und die von ihr pluralisch genannten Frauenbewegungen auf dieses Strafrechtsniveau zurück möchten.

(...) Welchen legitimen Grund sollte es geben, jemanden, der keines der gesetzlich geregelten Zwangsmittel anwendet, ebenso so zu bestrafen wie jemanden, der das tut? In welchem Rausch der unbegrenzten Verfolgung befinden wir uns? Das deutsche Sexualstrafrecht ist in den letzten 15 Jahren in einem Maß verschärft worden, das als beispiellos bezeichnet werden muss. Die Verschärfung hat als Welle des Verfolgungswillens die ganze Gesellschaft bis an die Grenze der Hysterie und teilweise darüber hinaus durchdrungen.


Hier findet man das vollständige Interview.

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