Mittwoch, Juli 16, 2014

Spiegel-Online: Marvel entmannt Thor

Spiegel-Online berichtet:

Thor, der berühmte Hüne mit der blonden Mähne und den gigantischen Oberarmen, wird zur Frau: Ab September soll die Comicfigur als Superheldin den Hammer schwingen, wie der US-Verlag Marvel Comics nun ankündigte. (...) Mit der neuen Serie beginnt eine neue "Ära" für Thor, kündigte der Verlag an. Denn ihren männlichen Vorgänger soll die neue Heldin künftig vollständig ersetzen, wie Marvel-Chef Wil Moss erklärte. Sie stehe damit als achte Frau in einer Traditionslinie mit anderen Comicheldinnen: "Und diese Thor ist kein zwischenzeitlicher weiblicher Ersatz - sie ist jetzt die einzige und wahre Thor, und sie ist würdig", sagte Moss. (...) Mit der Geschlechtsumwandlung will die Disney-Tochter Marvel nach eigenen Angaben Frauen und Mädchen als Leserinnen gewinnen, die den maskulinen Superhelden der US-Comics lange Zeit nur wenig abgewinnen konnten.


In der Kommentarspalte des Artikels "zeigen die Leser Marvel, wo der Hammer hängt", schreibt mir der Genderama-Leser, der mich auf diesen Beitrag aufmerksam machte. Zu den Reaktionen gehören "komplett durchgeknallt", "albern", "die spinnen doch", "Frechheit", "Mjölnir ist jetzt eine Handtasche" und so weiter.

Wenn Spiegel-Online über irgendetwas berichtet, habe ich komischerweise immer wieder das Bedürfnis, erst mal nachzuschauen, wieviel davon den Tatsachen entspricht. Eine führende Website der US-Comicszene bestätigt allerdings die Meldung.

Und trotzdem beginne ich beim Weiterlesen des Artikels wieder zu verzweifeln, denn dort heißt es:

Marvel und auch der Konkurrent DC Comics haben bereits vor einigen Jahren damit begonnen, ihre Helden zu verändern. So ist Spider-Man inzwischen nicht mehr der weiße Peter Parker, sondern der halb schwarze, halb lateinamerikanische Miles Morales. Green Lantern ist seit zwei Jahren homosexuell und der weniger bekannte Northstar hat seinen Freund sogar geheiratet.


Warum um alles in der Welt macht man als Leser immer wieder die Erfahrung, dass, sobald man sich bei einem Thema auskennt und dann Presseartikel darüber liest, einem die Haare zu Berge stehen? Immerhin beruhigend, dass es bei so ziemlich jedem Thema und nicht nur dem Männerthema so ist ...

Aber fangen wir mal bei Thor an. Ich habe anders als offenbar diverse Spiegel-Online-Leser große Schwierigkeiten, mir bei dieser Meldung vor Ärger einen Knoten ins Höschen zu machen. Wenn "Superhelden" nicht ähnlich wie "Indien" inzwischen ein Running Gag auf Genderama wäre, wäre diese Meldung nicht mal einen Blogbeitrag darüber wert (und erst recht keinen so langen). Comicverlage experimentieren immer wieder mit ihren Figuren und verkaufen das Ergebnis, um mehr Hefte unter die Leute zu bringen, als "ab jetzt die neue gültige Wirklichkeit" . Bekanntestes Beispiel war der "Tod Supermans" Anfang der neunziger Jahre, das brachte prompt viele Meldungen auch in Medien außerhalb der Comicszene, hielt aber nur ein paar Jahre – ähnlich wie der Tod Captain Americas ummerum 2006. (Ich recherchier jetzt nicht das genaue Jahr nach.) Beide Helden sind längst wieder aktiv, und das wird selbstverständlich auch für Thor gelten, weil er erst recht seit den Verfilmungen ein zentrales Merchandising-Produkt für Marvel ist. Was massig Kohle bringt, wird nicht massiv umgekrempelt. (Und dass mehr Frauen Thor lesen würden, weil jetzt statt einem Kerl eine Tuss mit einem großen Hammer auf ihre Gegner haut, halte ich auch für illusorisch. She-Hulk war schließlich auch kein Megaerfolg beim weiblichen Geschlecht.)

Dasselbe Primat des Marketing gilt natürlich erst recht für Spider-Man. Der Spider-Man, den wir seit 1961 kennen, ist natürlich immer noch Peter Parker. Es gibt einen Spider-Man IN EINEM PARALLELUNIVERSUM, dessen Geheimidentiät "der halb schwarze, halb lateinamerikanische Miles Morales" ist. Das reichte zu einem der nach dem üblichen Empörungsschema gestrickten Aufreger-Beiträge auf dem rechten Blog "Politically Incorrect" (verlinke ich jetzt mal nicht, kann man aber natürlich problemlos googeln), heißt aber gerade nicht, dass die Frontlinie der Marvel-Superhelden deswegen weniger weiß wäre. Und was die schwule Grüne Leuchte angeht, sollte man vielleicht wissen, dass es im DC-Universum etliche tausend Grüne Leuchten gibt – das ist eine art intergalaktischer Offizierkorps – darunter knapp ein halbes Dutzend irdische Vertreter. Einer von denen ist schwul, na super. Insgesamt bricht ein bisschen was auf bei den beiden großen Comicverlagen, und wir haben ein klein wenig mehr schwarze, muslimische, homosexuelle und weibliche Superhelden als bisher – alles Figuren aus der zweiten bis vierten Reihe – aber dass hier eine neue Politische Korrektheit alles komplett umkrempeln würde, ist schlicht Unfug.

Liebe Journalisten: Hört bitte auf, die Leute mit halb verstandenen Trivialitäten verrückt zu machen, hinter denen nicht mehr steckt als der neue Marketing-Coup irgendeines Unternehmens. Kümmert euch doch mal besser um die wichtigen Dinge. Und lernt bei Gelegenheit vielleicht sogar das Recherchieren. Schließlich werdet ihr im Gegensatz zu uns Bloggern dafür bezahlt.

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