DER SPIEGEL von morgen: "Nun wird Alice Schwarzers Leben neu bewertet"
Die morgen erscheinende Ausgabe des SPIEGEL beschäftigt sich in einem mehrseitigen Artikel von Tobias Rapp, Barbara Schmid und Barbara Supp damit, wie das Leben von Deutschlands führender Feministin angesichts der aktuellen Enthüllungen neu bewertet wird.
Eine große Rolle spielt dabei die Kluft zwischen Alice Schwarzers Selbstinszenierung und dem, was von anderer Seite berichtet wird:
Bevor "Emma" startete, schickte die Redaktion 1976 einen beruhigenden Rundbrief an Frauenzentren; Bascha Mika zitiert ihn in ihrer Schwarzer-Biografie: "De jure erscheint 'Emma' in der Alice Schwarzer Verlags GmbH, de facto handelt es sich um ein kollektives Non-Profit-Unternehmen." Alle "überschüssigen Gelder werden in Frauenselbsthilfeprojekte gehen". Ein Teil der überschüssigen Gelder aus Schwarzers Geschäften ging offenbar anderswohin, wie man nun weiß.
Spreche man mit frühen "Emma"-Mitstreiterinnen über Schwarzer und ihre Steuersünden, heißt es in dem SPIEGEL-Artikel weiter, dann sei das Überraschende daran, dass dies viele Frauen nicht überrascht. Redakteurinnen sollen demnach für Hungerlöhne gearbeitet, prominente Autorinnen sogar kostenlos für das Blatt geschrieben haben. Ab und zu sei eine Einladung zum Essen drin gewesen. Zur selben Zeit habe Schwarzer einen schicken Saab gefahren, einen guten Friseur gehabt, Yves Saint Laurent geschätzt: "Sie gab Geld aus und hielt sich gleichzeitig ein feministisches Prekariat."
Das erinnert mich an die Biographie Erin Pizzeys, Begründerin der modernen Frauenhausbewegung, bis sie entdeckte, dass häusliche Gewalt zu etwa gleichen Teilen von beiden Geschlechtern ausgeht. Sidney Davenport schrieb über Pizzeys Biographie in der linken Wochenzeitung "Freitag":
Immer wieder gingen in den frühen feministischen Organisationen Briefe verzweifelter Frauen ein, oft in Begleitung eines Geldscheins als Spende. Immer wieder musste Pizzey miterleben, wie die Führerinnen der Bewegung die Scheine einsteckten und die Briefe ungelesen wegwarfen.
Vom Finanziellen abgesehen, soll nicht weniger bedenklich der Stil gewesen sein, in dem Schwarzer ihre Redaktion führte. So heißt es im SPIEGEL:
Im Rückblick erzählen ehemalige "Emma"-Frauen von Schwarzers Despotismus, von Jähzorn, von Kontrollwahn. Von Herrschsucht, die bis hinein ins Private der Mitarbeiterinnen reichte, von Brüllereien am Telefon, wenn ihr ein Text nicht gefiel. Sie hatte ja eindeutige, unkritisierbare Ansichten über Feminismus. Ein offener Brief ehemaliger Mitarbeiterinnen, 1980, beklagte "Arbeitsbedingungen", die "unerträglicher waren als alles, was die Frauen bisher erlebt hatten". Erwachsene Menschen ließen sich das gefallen, warum?
In meinem Buch Sind Frauen bessere Menschen? hatte ich über Bascha Mikas Schwarzer-Biografie folgendes geschrieben:
Tatsächlich wirft dieses Buch gerade unter dem Totalitarismus-Aspekt ein sehr erhellendes Licht auf die "Emma"-Herausgeberin. Einige der Personen, die Schwarzer kennengelernt haben, "sind auch nach Jahren noch so traumatisiert, dass sie nichts sagen wollen", andere möchten nur anonym Auskunft geben. Eine Mitarbeiterin der ersten Stunde erinnert sich, von Schwarzer sei "so viel geballte Aggression" ausgegangen, "dass alle um sie herum völlig still waren, aus Angst, uns könne es auch treffen, wenn wir nur den Mund aufmachten". Manche Frauen waren gerade von dieser "Stärke" und "Durchsetzungskraft" Alice Schwarzers so fasziniert, dass sie lustvolle Unterwerfung einem höheren Ziel zuliebe übten. Diejenigen, die es wagten, von Bord zu gehen, wurden als Verräterinnen gebrandmarkt (...). Redakteurinnen der "Emma" berichteten, dass Schwarzer ihre Artikel so sehr umgeformt und bis in die Zitate hinein verfälscht hatte, dass sie mit den eigentlichen Recherchen nichts mehr zu tun hatten. Derartiges sei ihnen in den "Männermedien" noch nie passiert (...). Als drei Redakteurinnen gegen solche unhaltbaren Zustände protestierten wollen, macht ihnen Alice Schwarzer klar, dass sie auch gut auf sie verzichten konnte: "Die drei sind kaltgestellt. Es gibt kein Redaktionsstatut, das ihre Rechte regelt, noch nicht einmal Arbeitsverträge." (...)
(Vgl. zum vorigen Absatz nicht nur Bascha Mikas Buch selbst, sondern auch Henryk M. Broders Rezension des Werkes: Ein Macho im Rock.)
In dem Artikel aus dem SPIEGEL von morgen heißt es weiter:
Schwarzer (...) ist ein ähnlich autoritärer Charakter wie die, von denen sich diese Generation gerade befreien will. Unfähig, mit Widerspruch umzugehen, gut im Befehl, ein Volkstribun, für den die abweichende Meinung immer Bedrohung ist: Wer nicht für mich ist, ist gegen uns.
Und natürlich ist auch der FrauenMediaTurm, in dem die "Emma" ihre Redaktion hat, ein Thema für den SPIEGEL. Der Turm war mit Kosten von 5,5 Millionen Mark renoviert worden, Jan Philipp Reemtsma hatte zehn Millionen Mark für das "Feministische Archiv und Dokumentationszentrum", das ebenfalls Teil des Turmes ist, dazugegeben. Reemtsma folgten andere großzügige Spender, so etwa das Land Nordrhein-Westfalen. Die Stadt Köln begnügte sich mit einer geringen Pacht. Alice Schwarzer war das nicht genug:
Die Pacht für den Turm zu zahlen falle ihr schwer, ließ sie die Stadt vor wenigen Jahren wissen. Sie wolle sie gern auf einen symbolischen Euro reduzieren.
Als gemeinnützig ließ sich der "Emma"-Turm wegen des Archivs darin präsentieren. Jedoch scheint auch in dieser Hinsicht keineswegs alles astrein zu verlaufen:
Eine freie Mitarbeiterin hat im SPIEGEL-Auftrag versucht, das Archiv im Frauenmediaturm zu nutzen. Es dauerte Wochen, bis sie Zugang fand, sie musste vorher inquisitorische Fragen beantworten. Was sie wolle, für wen sie arbeite.
Schwarzers Charakter scheint sich im Lauf der Jahre immer mehr verfestigt zu haben:
Beratungsresistent, sagen viele, die sie von nahem erlebt haben. Es gibt offenbar keine mehr, die ihr wirkungsvoll widerspricht.
Sollte das alles zutreffen, so muss man Schwarzer hier aber dennoch fast schon in Schutz nehmen: Wie soll sich ihr Charakter in einer deutschen Kultur anders entwickelt haben, in der sie noch so stockbescheuerte Dinge sagen kann, und die Maischbergers unserer Talkshow-Branche trotzdem vor ihr auf Knien liegen und sie von einer Sendung in die andere reichen? Während Männerrechtler, also diejenigen, die sehr wohl noch Widerspruch wagen, von denselben Talkshows ausgegrenzt und in ARD-Radiosendungen zur Volksbedrohung Nummer eins hinaufstilisiert werden? Wenn einem Ralf Homann, einem Thomas Gesterkamp, einem Hinrich Rosenbrock oder einem Andreas Kemper zu Kritikern der radikalfeministischen Schwarzer-Ideologie nichts anderes einfällt, als sie undifferenziert mit "Rechten", ja sogar einem Massenmörder in Verbindung zu bringen, dann ist klar, dass diesen Kritikern damit das Maul gestopft werden soll – Gesterkamp selbst spricht natürlich vornehmer von einem "cordon sanitaire". In der Wikipedia und auf Twitter handelt das radikalfeministische Lager nicht weniger im Sinne von diesem antidemokratischem Ungeist. Es scheint im Wesen so mancher Deutscher noch immer eine Neigung zum Totalitären zu geben, und aus der Vergangenheit hat man lediglich gelernt, dass ein MÄNNLICHER Führer ganz furchtbar schrecklich ist. Eine FührerIN hingegen, deren Ideologie man im Gleichschritt hinterhermarschiert und deren Gegner sozial massakriert werden, damit eine kontroverse Debatte unmöglich bleibt, erscheint völlig unproblematisch.
Und auch das zeigt sich auf der finanziellen Ebene: Während das dem Feminismus ergebene Bundesforum Männer mit hunderttausenden an Steuergeldern vom Staat gepampert wird, bleiben den Schwarzer-Kritikern bei AGENS und MANNdat weniger als dem SPIEGEL zufolge den Frauen in der "Emma"-Redaktion.
Immerhin schließt der SPIEGEL-Beitrag von morgen mit einer Hoffnung: Nicht mehr vom Kult um Alice Schwarzer erreichbar sei die Generation der jungen Frauen, "die wissen, was Prekariat bedeutet und was Geld wert ist, vor allem, wenn man es nicht hat. Die endlich keine Galionsfigur mehr wollen, und schon gar nicht diese."
Ja, Alice Schwarzers Leben wird in diesen Tagen neu bewertet. Das Ergebnis? Hier sagt ein Bild wohl mehr als tausend Worte.
<< Home