Mittwoch, April 10, 2013

Hin zu einer maskulistischen Filmkritik: Der Blick auf Männer im Kino

Da ich unter anderem Filmwissenschaft studiert habe, ist eines meiner sehr langfristig angedachten männerpolitischen Projekte die Entwicklung einer maskulistischen Filmkritik. Dieses Projekt hat keinen besonderen Vorrang, da wir die Hände voll mit vielen wichtigeren Dingen als dem Analysieren von Filmen zu tun haben, aber als reizvoll empfände ich es durchaus. Eine feministische Filmkritik gibt es seit Jahrzehnten, und ihr Schlüsseltext ist bis heute Laura Mulveys Essay Visuelle Lust und narratives Kino, worin vor allem der "male gaze", der männliche Blick insbesondere auf Frauen, thematisiert wird. Mulveys Theorie ist keine der üblichen ideologischen Verstiegenheiten; man kann sie anhand von Szenen aus Filmen und anderen Medien bis hin zum Comic ganz konkret belegen.

Nun stammt Mulveys Aufsatz aus dem Jahr 1975, und seitdem hat sich auch im Kino allerhand verändert: ein Umbruch, der meines Erachtens vor allem in den neunziger Jahren mit Filmen wie "Thelma and Louise" stattfand (einen Film, den ich damals in unserer Fachschaftszeitschrift in Grund und Boden verrissen habe, wovon nicht jede Leserin begeistert war). Spannend fände ich es herauszuarbeiten, wie in Kinofilmen und anderen Medien heute der "female gaze" auf Männer funktioniert sowie in welcher Weise Filme zeigen, wie in unserer Gesellschaft auf Männer geblickt wird.

Einen ersten Ansatz zur Beantwortung der letztgenannten Frage liefert heute erfreulicherweise Lucas Schoppes Analyse von Thomas Vinterbergs "Die Jagd", in er es unter anderem heißt:

Lucas ist nur noch Objekt des uniformierten Blicks der anderen, als Kinderschänder, als Ungeheuer. Ihre Perspektive ist absolut geworden, wird durch nichts mehr gebrochen, seine Perspektive auf sie hingegen ist belanglos. So gibt es für sie eben auch kein Anlass mehr, ihre Sicht in Frage zu stellen und das Ungeheure ihres eigenen Handelns wahrzunehmen. In einer Schlüsselszene des Films geht Lucas dann am Heiligabend in die Kirche und setzt sich dort den Blicken der ganzen Gemeinde aus – aber er sieht auch jemand anderen an, und das demonstrativ: seinen ehemaligen Freund Theo. Er erzwingt von Theo, schließlich auch gewaltsam, seinem Blick zu begegnen – nicht nur ihn zu sehen, sondern auch zu sehen, wie Lucas ihn, Theo, sieht. Als hätte Vinterberg Mead gelesen, gerät Theos starre Position in eben dieser Szene ins Wanken. Lucas erzwingt es hier, wieder als eigenständiger Mensch wahrgenommen zu werden und nicht nur als Objekt der Projektionen anderer.


Hier findet man den vollständigen Text. Wenn also in 50 Jahren in einem TV-Quiz gefragt wird, wer als erster Wegbereiter der maskulistischen Filmkritik gilt, lautet die Antwort "Lucas Schoppe". Bitte gut merken, ist bis dahin vielleicht eine Milliarde D-Mark wert.

(In der oben zweimal verlinkten Website "TV Tropes" findet man übrigens reihenweise Standardelemente aus Filmen und anderen Medien, deren Analyse für eine maskulistische Filmkritik reizvoll wäre, beispielsweise All Abusers Are Male, All the Good Men Are Gay, All Men Are Perverts, Double Standard Abuse: Female on Male, Females Are More Innocent, Men Are The Expendable Gender und andere mehr.)

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