Pfusch im Fall Kachelmann
Spiegel-Online hat heute den Rechtsmediziner Michael Tsokos im Interview. Kurz kommt dieser auch auf den Fall Kachelmann zu sprechen:
Ich habe die Verletzungsbilder auf einem rechtsmedizinischen Kongress gesehen. Auch wenn das vermeintliche Opfer an seiner Darstellung festhielt: Für das geübte Auge sprach vieles dafür, dass die Betreffende sich die Verletzungen selbst beigebracht hatte. Die leichte Erreichbarkeit der schnittführenden Hand, die Anordnung der Verletzungen. Schmerzempfindliche Zonen wurden ausgespart. Das waren deutliche Hinweise. Dieser Fall wurde zum Desaster, weil der zuständige Kollege sich in seinem Gutachten nicht festlegen wollte. Er urteilte, die Verletzungen könnten beides sein: selbst beigebracht oder von fremder Hand. Bei diesem Verfahren sind Steuergelder verschwendet worden, die man in andere rechtsmedizinische Untersuchungen hätte stecken können.
Der das Interview führende Spiegel-Online-Journalist, Frank Thadeusz, spricht auch einen anderen Fall in diesem Bereich an: "Sie beschreiben den Fall einer Frau, die in einem kleinen Ort in Schleswig-Holstein eine Brandstiftung samt Vergewaltigung vortäuscht. Der Täuschungsversuch wäre unaufgeklärt geblieben, wenn Sie nicht zufällig in die Ermittlungen eingegriffen hätten, sagen Sie. Sind also Rechtsmediziner doch die besseren Kriminalisten?" Tsokos antwortet:
Nein, wir sind nur ein Puzzleteil im Gesamtgefüge. Dieser Fall ist ein gutes Beispiel dafür, wie wichtig es ist, dass ein Rechtsmediziner bei den Ermittlungen dabei ist. Die Frau hatte behauptet, der Täter habe ihr eine Plastiktüte über den Kopf gezogen und ihr dann einen Schal um den Hals gebunden und die Tüte damit befestigt. Dann sei sie ohnmächtig geworden. Als sie aufwachte, habe sie sich dann selbst von Schal und Tüte befreit. Das haut natürlich nicht hin. Wenn man mit einer Tüte über dem Kopf ohnmächtig wird und niemand nimmt die weg, erstickt man. Auch die Schnitte von der angeblichen Vergewaltigung waren nicht überzeugend. Man konnte sofort sehen, dass das erstunken und erlogen war.
Die Polizei vor Ort kam selbst nicht auf den Gedanken, einen Rechtsmediziner herbeizuziehen, was Tsokos zufolge in Flächenländern den Normalfall darstellt. Auch dass mag also zu der Häufigkeit der Falschbeschuldigungen bei diesem Delikt beitragen – und dass sie so oft unaufgedeckt bleiben.
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