Mittwoch, Juli 23, 2008

"Der unterdrückte Mann"

Man muss es von Anfang an betonen: Die "Blätter für deutsche und internationale Politik" glänzen normalerweise mit seriösen, lesenswerten und durchdachten Artikeln. Wie ein Fremdkörper macht sich deshalb in der heute erschienenen Ausgabe eine, naja, "Rezension" des aktuellen Walter-Hollstein-Buches aus, von dem Rezensent schlicht inhaltlich überfordert zu sein scheint, weshalb er stattdessen wohl lieber eine Polemik geschrieben hat. Schon sobald vom "Jammerton des unterdrückten Mannes" die Rede ist, weiß man als Leser, wohin die Reise geht. Zum Beispiel zu Absätzen wie diesen:

Es gibt zu viel Lehrerinnen und zu wenig Lehrer, es gäbe mehr weibliche Studierende, dafür aber mehr männliche Arbeitslose, Männer, insbesondere junge, seien häufiger Opfer von Gewalt, und all das nur, wie Hollstein in seinem neuen Buch zustimmend zitiert, wegen einer "lesbisch-feministischen Kaderpolitik".

Wer denkfaul genug ist, wird dem Autor staunend zustimmen. Doch wer Statistiken zu Ende liest, dem wird Offenbarung zuteil. Schon in den Gymnasien schwindet die weibliche Lehrer-Dominanz, über 80 Prozent der Professoren sind männlich, und weibliche Universitäts-Rektoren und Präsidenten kann man nach wie vor mit der Lupe suchen.

Der tragischste Tunnelblick Hollsteins ist der auf die Arbeitslosenstatistik: Da Männer immer noch den größten Anteil der Beschäftigten ausmachen, ist es ganz sicher keine Folge einer Geschlechterpolitik, dass sie auch mehr Arbeitslose stellen. Eine solch schludrige Arbeit sollte einem Professor für Politische Soziologie eigentlich nicht unterlaufen. Und auch nicht die Unterschlagung des hohen Frauenanteils der Niedriglohnempfänger.


Eines muss man dieser ... originellen Wiedergabe und Replik zu Hollsteins Buch lassen: Man weiß nicht ganz, wo man überhaupt damit anfangen soll, dieses gedankliche Wirrwarr aufzulösen. Beschränken wir uns einmal auf die ganz groben Züge: Statt zu hämen, hätte Uli Gellermann vielleicht ein paar Sekunden länger nachdenken oder gar ein wenig recherchieren sollen. Dass es beispielsweise an den Gymnasien keine Übermacht weiblicher Lehrer gibt, nützt den Jungen nichts, die schon an den Grundschulen aufgrund der dortigen starken Feminisierung ausgesiebt werden. Dass dem so ist, ist keine Erfindung Walter Hollsteins, sondern gängige Lehre sämtlicher aktueller Fachliteratur zu dieser Thematik von Dammasch bis Beuster. Dass Frauen einen hohen Anteil unter den Niedriglohnempfängern ausmachen, liegt daran, dass viele nur einen Teilzeitjob ausüben, weil sie sich von ihrem Ehemann versorgen lassen, auf dem nach wie vor die Hauptlast liegt, seine Familie zu ernähren. Und das Bemerkenswerte bei der Arbeitslosenstatistik ist ja gerade, dass im Jahr 1990 noch die Heranwachsenden beiderlei Geschlechts annähernd gleichermaßen von Arbeitslosigkeit betroffen waren, aber seitdem die Schere immer weiter auseinanderklafft, bis im Jahr 2005 volle 40 Prozent mehr männliche als weibliche Heranwachsende erwerbslos gemeldet waren.

Die Rezension stolpert also von einem gedanklichen Fehler und einer Unkenntnis zur anderen. Was aber passiert, wenn man von einer Materie offenkundig wenig Ahnung hat, aber unbedingt über einen Professor ablästern will, der sich damit seit Jahrzehnten hauptberuflich beschäftigt? Man darf seinen Unfug in den "Blättern für deutsche und internationale Politik" veröffentlichen. Hauptsache, die Stoßrichtung stimmt: pro Feminismus und gegen die Männer.

Doch etwas Weiteres fällt an diesem Artikel auf. Die noch einmal um ein paar Etagen unterirdischere Vorlage dazu hatte der Autor hier bereits im Internet veröffentlicht. Dort allerdings findet sich einiges, was es in die seriösen "Blätter für deutsche und internationale Politik" nicht geschafft hat – zum Beispiel diese Passage:

Betrübt stellt der Autor fest, dass mit der Auflösung der bäuerlichen Gesellschaft und der Industrialisierung die Väter eine immer geringere Rolle in der Söhne-Aufzucht spielten und dass diese Vaterlosigkeit Ursache für "männliche Problemkarrieren" sei. Die Kultur der Einwanderer aus der Türkei, vorindustriell und agrarisch geprägt, mit klaren Hierarchien und einem festen Vaterbild müssten demnach Musterfamilien zufolge haben. Doch gerade die im Buch beklagte Gewalt ist unter Migrantenkindern signifikant höher, als unter den anderen.


Ich nehme mal an, dass diese Ausführungen vom verantwortlichen Redakteur der "Blätter" vor der Veröffentlichung schlicht gestrichen wurde. Nicht weil sie politisch unkorrekt wären, sondern weil sie reiner Unfug sind. Die Kriminalstatistik 2007 weist ausdrücklich darauf hin, dass ein Vergleich von hier lebenden Deutschen und Nicht-Deutschen aus einer ganzen Reihe von Gründen nicht zu ziehen ist. In ähnlicher Weise ist es auch irrwitzig, bei der Kriminalitätsneigung völlig unterschiedlicher sozialer Gruppen allein nach dem Faktor "festes Vaterbild" oder nicht zu urteilen. Dass Vaterlosigkeit aber zu einer signifikant höhereren Kriminalitätsrate führt – und zwar auch wenn man sämtliche anderen Faktoren in Betracht zieht! – ist wiederum keine private Theorie Hollsteins, sondern ebenfalls seit Jahren durch Studien belegt. Zugegeben: Das alles muss man erst einmal wissen und diese Studien muss man erst einmal kennen. Wenn man es aber nicht tut, sollte man vielleicht doch darauf verzichten, sich neunmalklug zu den zusammengefassten Erkenntnissen eines Fachmanns in dieser Thematik zu äußern. Bei einigen Sätzen, so nehme ich an, durchschaute der verantwortliche Redakteur, dass der Rezensent nicht ganz wusste, wovon er sprach, und tilgte diesen Unfug. Hätte er es doch bei all dem restlichen Unsinn dieses Artikels auch erkannt! Er hätte Uli Gellermann eine große Blamage erspart - und den Ruf seiner Zeitschrift unbeschädigt gelassen.

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