PROFESSOR AMENDT: OFFENER BRIEF AN MINISTERIN ZYPRIES
Professor Dr. Gerhard Amendt vom Institut für Geschlechter und Generationenforschung der Universität Bremen hat einen offenen Brief an Frau Justizministerin Zypries geschrieben, in dem er unter anderem folgende Gedanken ausführt:
"(W)enn mir auch nicht ganz klar ist, ob Ihr Aufruf zur öffentlichen Diskussion über Vaterschaftstests wirklich ernst gemeint ist, oder ob er lediglich eine Abwehrgeste gegen eine Sturm auslösende Diskriminierung von Männern darstellt, so teile ich doch mit Ihnen das Erstaunen über die Einhelligkeit, mit der Männer sich Ihrem Gesetzesentwurf durchweg entgegenstellen. Und dies obwohl sie in ihrer Mehrheit gar nicht davon berührt sind. Was ich mit Wohlgefallen betrachte, scheint Sie wohl eher mit politischem Graus zu erfüllen. Wo ich die Politisierung des Väterlichen begrüße, scheint für Sie eher das Ende jener komfortablen Ära von Zumutbarkeiten gekommen, in der man Männern umstandslos die Alleinverantwortung für und die historische Schuld an der Geschichte aufbürden konnte, damit Frauen für ihren Teil der Verantwortung am Geschehen, angefangen beim Nationalsozialismus über Gewalttätigkeiten zwischen Partnern bis hin zu familiären Streitigkeiten nicht einstehen mußten.
An dieser Mythenbildung haben nicht nur Politikerinnen und Wissenschaftlerinnen, sondern, durch beschweigendes Bystandertum, ebenso Männer mitgewirkt. Dass Sie in kindlich-naiver Arglosigkeit fragen, warum Männer den Frauen gegenüber so misstrauisch seien - so als würden Ihre lebensgeschichtlichen Erfahrungen nicht ausreichen, einen einzigen triftigen Grund dafür zu benennen - hat meine Wunschvorstellung, Sie möchten Geschlechterbeziehungen subtiler denken als üblich, schnell verscheucht.
(...) Zwischen Ihrer arglosen Entgeisterung über das Misstrauen der Männer gegenüber Frauen und den Ahnungen einer grünen Abgeordneten von einer rasant um sich greifenden männlichen Feigheit besteht ein verblüffender Zusammenhang. In beidem drückt sich eine Befürchtung aus; die Befürchtung, dass eintritt, was beide, die Ministerin und die Abgeordnete, wünschen: Männer ändern sich; aber sie ändern sich nicht, wie sie sollen, sondern wie sie es wollen – nicht mehr an weiblichen Wünschen orientiert. Das lässt Furcht aufkommen, die auch vor Politikerinnen nicht halt macht, denn die Veränderung enthält Wagnisse. Die Folge: ärgerliche Hilflosigkeit, die im gegebenen Fall zum entsetzten Beschwören schwindender männlicher Tugenden führt.
Deutet Ihre Reaktion, Frau Ministerin, auf misstrauische Männer aber nicht auf etwas sehr viel Näherliegendes hin? Nämlich auf eine profunde Irritation darüber, dass Männer beginnen, weibliches Verhalten und mütterliche Tugendhaftigkeit in Frage zu stellen und zu hinterfragen? Indem sie Frauen zum Beispiel Kuckucksmanöver unterstellen! Obwohl Männern doch seit Jahr und Tag die Verantwortung für den „Opferzustand der Frau“ nahegelegt wird. Statt dessen entziehen sie sich dieser tätlich-täterhaften Geschichtsrolle und behaupten, gar nicht die Täter zu sein, als die Frauen sie ausgeben, allerdings nur diejenigen Frauen, die das für sich brauchen.
Ist es die Tatsache, dass eine Schuldzuschreibung per Gesetz und auf dem Wege der politischen Meinungsbildung nicht gleichbedeutend damit ist, dass Beschuldigte sich schuldig fühlen und das Spiel zum gewünschten Ende bringen, indem sie sich als Täter begreifen, sich reuig geben und Besserung geloben, die Sie entsetzt? So gesehen, ist Ihr gespieltes Unverständnis eine Aufforderung an die Männer, sich der Tatsache ihres ihnen kollektiv zugewiesenen Täterstatus neu zu erinnern. Sie sollen nicht aufmucken, denn das wäre, man wird es dieser Tage gewiss vernehmen, eine neue Form männlicher Gewalt!
Bislang sind die wenigsten Männer kollektiven Gewaltvorwürfen explizit entgegengetreten. Jeder Mann kennt zwar seine aggressiven Impulse, auch seine aggressiven Handlungen, hat aber angesichts der ungewissen Bewertung seines Verhaltens zu der wabernden Verdammungskultur alles Männlichen geschwiegen. Nun scheint der Krug nicht mehr zum Brunnen zu gehen, weil er zerbrochen ist. Ihre mit Freiheitsstrafe bewehrte Gesetzesabsicht hat den Krug zerbrechen lassen. Männern den Wunsch nach Gewissheit ihrer Vaterschaft abzusprechen und das natürliche Recht, sich der Folgen ihrer Sexualität gewiss zu sein, dass Frauen diesen Gewissheitswunsch billigen und ein Gericht sich dem anschließt, hat fast einhellig unter Männern wie Frauen einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Der Grund dafür könnte sein, dass Ihr Ansinnen den Kern der Elterlichkeit angreift, nämlich die Gewissheit über Väterlichkeit. Denn was Sie Männern anzutun gedenken, das erinnert Frauen mit Schrecken an Zeiten, als sie gezwungen wurden, Schwangerschaften auszutragen, gleich von wem und in welchen Situationen sie entstanden waren. (...)"
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