Professorin für Wirtschaft: "Es gibt eine umgekehrte Diskriminierung von Männern"
1. "Die Welt" hat ein Interview mit der Ökonomin Margit Osterloh veröffentlicht, die letztes Jahr gemeinsam mit einer Soziologin in einer Studie nachwies, dass Frauen an Universitäten nicht diskriminiert werden, und dafür einen Shitstorm mit diversen Beschimpfungen erntete. Inzwischen wurde die Studie in einem angesehenen Fachmagazin veröffentlicht, was zeigt, dass sie entgegen den Unterstellungen der ideologischen Eiferer wissenschaftlichen Standards entspricht.
Ein Auszug aus dem Interview:
WELT: Kaum je dürften Professorinnen an der Universität Zürich eine derartige Entrüstung ausgelöst haben wie Sie. Wie war diese Zeit rückblickend für Sie?
Osterloh: Diese drei Monate des Shitstorms waren hart und schmerzhaft. Sogar mein Körper hat reagiert, ich habe viel Gewicht verloren. Ich glaube, dass es für Katja Rost noch schlimmer war als für mich. Als amtierende Professorin wurde sie von Studierenden direkt angegriffen. Ich hingegen bin emeritiert. Ich konnte mir das alles mit etwas Distanz anhören.
WELT: Sie haben ein verbreitetes Phänomen unserer Zeit hautnah erlebt – Sie waren mitten in einem Shitstorm. Wie fühlt sich das an?
Osterloh: Man ist in einem permanenten Stress und versucht, sich zu rechtfertigen. Ich habe zahlreiche Interviews gegeben, um zu erklären, was wir in der Studie aufzeigen wollten. Das war sehr anstrengend. Ich habe viel Hilfe von meinem Mann erhalten. Auch die Leitung der Universität Zürich hat uns sehr unterstützt. Sonst hätte ich das nicht gut durchgestanden. Zumal ich nicht ganz kapiert habe, was da vor sich geht.
WELT: Was haben Sie nicht verstanden?
Osterloh: Unsere Ergebnisse waren ja nicht neu. Es ist in der Forschung hinlänglich bekannt, dass sehr viele Frauen andere Karriereambitionen haben als Männer.
WELT: Anders gesagt: Ihr Befund hat einen Nerv getroffen.
Osterloh: Ja. Kritisiert wurde ich unter anderem für meine Aussage, dass sich Frauen eine Diskriminierung einreden lassen, diese aber real gar nicht erfahren. Ich würde das wieder so sagen.
WELT: Warum legen Sie Wert auf diesen Satz?
Osterloh: Auf die Frage in unserer Studie, ob sie sich wegen ihres Geschlechts benachteiligt fühlen, antworteten die Frauen in frauendominierten Studiengängen deutlich häufiger mit Ja als jene in männerdominierten Fächern. Das lässt sich nicht erklären. Warum sollten ausgerechnet sie benachteiligt werden? Der Begriff "Geschlecht" in der Frage wirkte als Trigger: Ich müsste doch benachteiligt sein.
WELT: Dann müsste der Begriff doch auch die Frauen in den männerdominierten Fächern getriggert haben.
Osterloh: Studentinnen in Frauenstudiengänge befassen sich stärker mit den Themen der Gender Studies. Das Wort "Geschlecht" zieht ihre Aufmerksamkeit auf sich. Darauf folgt gedanklich "Benachteiligung" – unabhängig davon, ob das mit der eigenen Erfahrung übereinstimmt.
WELT: Sie halten es für ausgeschlossen, dass diese Studentinnen Benachteiligung erfahren?
Osterloh: Sicher nicht systematisch, sonst müsste das für die Frauen in Männerfächern ja umso mehr gelten. Früher wurden Frauen an Universitäten diskriminiert. Aber aktuell finden wir keine Beweise dafür. Diese Diskussion ist heute stark aufgeladen – auch unter Professorinnen.
WELT: 88 ETH-Professorinnen schrieben Ihnen wegen der Studie einen offenen Brief. Warum fiel diese Kritik so heftig aus?
Osterloh: Diese Anfeindungen haben mich am meisten überrascht und geschmerzt. An der ETH sind die Professorinnen in Männerfächern tätig, in denen der Frauenanteil tief ist. Es könnte sein, dass sie sich durch unsere Befunde unter dem Verdacht fühlten, Quotenfrauen zu sein.
WELT: Eine gewagte These.
Osterloh: Ich versuche zu erklären, was für mich eigentlich unerklärlich ist. Die Reaktion dieser Professorinnen war derart heftig, dass die Ursache tiefer liegen muss. Wir waren Nestbeschmutzerinnen: Wir verstießen gegen den Zeitgeist und wurden dafür fertig gemacht.
WELT: Hat sich der Konflikt wieder gelegt?
Osterloh: Bis heute hat sich niemand bei uns entschuldigt. Der Angriff zielte unter die Gürtellinie. Uns wurde zum Beispiel vorgeworfen, unsere Studie entspreche nicht einmal dem Niveau einer Bachelorarbeit. Die Publikation im Fachjournal beweist nun das Gegenteil. Und wissen Sie, was die Ironie der Geschichte ist?
WELT: Erzählen Sie.
Osterloh: Ich habe mich in meiner Karriere stark für Frauen eingesetzt. Ich war Präsidentin der universitären Gleichstellungskommission und organisierte einen Kongress für deutschsprachige Frauenforscherinnen mit. Dort haben wir uns dafür starkgemacht, dass an den Universitäten Geschlechterforschung eingeführt wird.
WELT: Trotzdem kritisieren Sie jetzt die Geschlechterforschung. Wie passt das zusammen?
Osterloh: Ich mache nach wie vor selbst Gender Studies. Aber die einseitige Darstellung der Frauen als Opfer ist eine Fehlentwicklung. Und man rückt nicht einmal davon ab, wenn die Forschung zu anderen Ergebnissen kommt. So sind Studentinnen zum Beispiel selbst dann nicht karriereorientierter, wenn sie in einem weiblich dominierten Umfeld studieren. Das lässt sich nicht mit Diskriminierung erklären. (…) Heute kommt aber in Bewerbungsverfahren noch ein zusätzliches Problem dazu: Es gibt sogar eine umgekehrte Diskriminierung von Männern.
WELT: Männer werden diskriminiert? Das müssen Sie erklären.
Osterloh: Studien belegen, dass Frauen in der Akademie heute vielfach größere Chancen haben, einen Lehrstuhl zu erhalten als Männer. In Berufungsverfahren für Professuren werden sie häufiger als Männer zu einem Probevortrag vor der Berufungskommission eingeladen. Eine deutsche Studie zeigt zudem, dass Frauen in der Soziologie bevorzugt einen Lehrstuhl erhalten haben, obwohl ihre Publikationsleistung schlechter war als jene der Männer. Im Moment interessiere ich mich gerade dafür, wie sich das in der Wirtschaft verhält.
WELT: Und wie ist es in der Privatwirtschaft: Werden Frauen oder Männer diskriminiert?
Osterloh: In einer neuen Studie, die ich mit Katja Rost mache, gehen wir der Frage nach, woran es liegt, dass Frauen in Spitzenpositionen gerade mal halb so lang in ihrer Position bleiben wie Männer. Dazu untersuchen wir die 100 größten Unternehmen der Schweiz.
WELT: In der öffentlichen Debatte heißt es, das raue, männlich geprägte Klima sei verantwortlich dafür.
Osterloh: Frauen werden beim internen Aufstieg in privaten Firmen nach wie vor benachteiligt. Gleichzeitig werden viel häufiger Frauen als Männer extern rekrutiert. Und da sind sie im Vorteil, weil viele Firmen wegen der Quotenregelung Frauen in Toppositionen brauchen.
(…) WELT: In der Schweiz müssen große Unternehmen heute offiziell berichten, wo sie punkto Frauenquote stehen. Ist das falsch?
Osterloh: Die Quote war nötig, damit mehr Frauen eine berufliche Karriere machen können. Aber jetzt müssen wir wirklich damit aufhören. Wir müssen die Ziele der Realität anpassen.
WELT: Die Frauenquote in Führungsgremien gilt in der Schweiz erst seit vier Jahren und nur für große börsenkotierte Unternehmen. Ein kurzer Zeitraum, um langfristige Schlüsse zu ziehen.
Osterloh: Trotzdem reicht es jetzt, zumal sich viele junge Männer benachteiligt fühlen.
WELT: Diese gefühlte Benachteiligung der Männer hat bereits Konsequenzen. Politisch wählen sie eher rechts, gesellschaftlich nimmt die Frauenfeindlichkeit zu.
Osterloh: Das hat einen direkten Zusammenhang. Auch die Anti-Woke-Politik in den USA ist unter anderem in diesem Kontext zu sehen. Frauen sind heute gebildeter als Männer und werden stärker gefördert. Männer sind zum schwachen Geschlecht geworden. Trump hat es verstanden, die Abstiegsängste der weniger gut gebildeten Männer aufzufangen und ihnen ihre Männlichkeit zurückzugeben.
2. Ein bemerkenswerter Artikel in der "Zeit":
Bundeskanzler Merz denkt über eine Wehrpflicht für Frauen nach. Daran ist nur schwer etwas auszusetzen. Auch und gerade aus feministischer Perspektive.
Hier geht es weiter mit dem Artikel von Eva Ricarda Lautsch.
Sie hat natürlich Recht. Das ständige Hin-und-Her-Gespringe zwischen dem auftrumpfenden "I am woman, hear me roar!!" und "Ich bin doch nur ein armes hilfloses Weiblein, das beschützt werden muss" würde mich auch dann nerven, wenn ich Feminist wäre.
Dass Frau Lautsch noch daran glaubt, dass Frauen wegen ihrer eigenen Lebensentscheidungen "strukturell diskriminiert" werden … nun ja, vielleicht sollte sie darüber mal mit einer Professorin sprechen, die sich in diesem Thema auskennt.
3. Christian Schmidt hat heute morgen mehrere interessante Studien verlinkt, darunter eine zum sogenannten Milennial Shift bei sexueller Gewalt.
Die Studie vergleicht das Verhalten von Menschen verschiedener Generationen – Baby Boomer und Generation X versus Millennials – hinsichtlich sexueller Aggression. Dabei wird untersucht, wie häufig Personen unangenehme oder übergriffige sexuelle Handlungen einsetzen, etwa durch verbalen Druck, emotionale Manipulation, Alkohol, Verführungstechniken oder sogar körperlichen Zwang, um sexuelle Kontakte zu erreichen. Bei den Baby Boomern und der Generation X zeigten Männer deutlich häufiger aggressive sexuelle Verhaltensweisen als Frauen derselben Generation. Bei Milennials hingegen gab es keinen signifikanten Unterschied zwischen Männern und Frauen sie waren ähnlich häufig sexuell aggressiv.
Die Autoren vermuten, dass sich die Rollenbilder in Bezug auf Sexualität verändert haben. Früher lautete die Rollenverteilung: Männer leiten den sexuellen Kontakt ein, Frauen bremsen ab. Millennials scheinen sich von diesen Regeln zu lösen. Es wird vermutet, dass Frauen heute aktiver oder selbstbestimmter sind – was gelegentlich zu aggressiverem Verhalten führen kann. Eine mögliche Erklärung für die sinkenden Aggressionswerte bei Millennial-Männern: Aufklärungskampagnen, gesellschaftliche Debatten über sexuelle Übergriffe und veränderte Normen könnten Männer sensibilisiert haben oder bewirken, dass sie solche Verhaltensweisen seltener zeigen.
Ich habe eine andere Erklärung, da ich schon in den neunziger Jahren auf die ersten Studien gestoßen bin, die auf eine verblüffend hohen Rate an Täterschaft durch Frauen hinwiesen: Früher wurde einfach nicht darüber gesprochen. Männer, die Opfer geworden waren, vertrauten sich Dritten einfach nicht an. Sie hatten sogar Probleme, sich selbst als Opfer zu sehen, weil die Vorstellung eines "männlichen Opfers von Vergewaltigung" damals schlicht absurd erschien. Auch Wissenschaftler kamen oft gar nicht erst auf die Idee, Männer danach zu fragen. Das begann sich erst in den letzten Jahren zu ändern.
Meine eigenen privaten Erfahrungen sehen so aus, dass mir bisher mehrere Frauen aus der Generation der Milennials berichtet haben, schon einmal Opfer einer Vergewaltigung geworden zu sein. Letzte Woche hatte ich ein Gespräch mit einer Frau der Generation Z (also der jüngsten Erwachsenen-Generation) über dieses Thema. (Ich hatte ihr die Audio-Fassung meines Buchs über sexuelle Gewalt gegen Männer geschenkt.) Dabei berichtete sie mir, vor Jahren selbst schon einmal mit einem Mann ohne dessen Einverständnis Sex gehabt zu haben, was ihr erst danach klar geworden war. Davon hatte ich im privaten Freundes- und Bekanntenkreis zuvor noch nie gehört.
Es wäre natürlich wünschenswert, wenn unsere Leitmedien solche Studien nicht stur ignorieren würden und endlich die notwendige Debatte auch über weibliche Sexualgewalt entstehen könnte.
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