Freitag, Mai 10, 2024

Männer, Bären, Bumble und Psychopathinnen

Manchmal gelingt es mir, die aktuellen Nachrichten zu einem übergrifenden Thema zusammenzufügen (etwa Ukraine-Krieg am letzten Montag). Heute sind die erwähnenswerten Beiträge thematisch sehr durchmischt.



1. In der "Welt" greift Hannah Lühmann die sexistische Mann-oder-Bär-Debatte auf, die wohl jeder Genderama-Leser mitbekommen haben dürfte:

Der Trend erweist, entschuldigen Sie den Kalauer, dem Feminismus trotzdem mal wieder einen Bärendienst. Auch wenn viele Internetznutzerinnen um der Debatte willen die Frage mit "Bär" beantworten, will ich die Frau oder den Mann sehen, die oder der sich freiwillig für die konkrete nächtliche Begegnung mit dem Raubtier entscheidet. Aus den Begründungen, die für die Antwort "Bär" gegeben werden, wird dann auch deutlich, dass die Antwort eher metaphorisch gemeint ist. Der Bär würde wenigstens nicht versuchen, mit einem zu schlafen, wenn man sich schlafend stelle, man müsse ihm danach auch nicht – wie einem männlichen Vergewaltiger – auf der nächsten Familienfeier begegnen. Halbwegs lustig, aber eine völlig unlogische Vermischung von Ebenen. Ich sage: "Mann".


Einer meiner Leser schrieb mir zu dieser "Debatte":

Man könnte Männern auch die Frage stellen: Würdest du lieber einen sehr schweren Verkehrsunfall haben oder eine Frau heiraten? Manche Antworten wären da bestimmt auch interessant.


Die sexistische Provokation war auch schon Thema bei Christian Schmidt, der einige clevere Antworten dazu zusammengestellt hat.



2. Die Dating-App "Bumble" sorgte für einige mediale Aufmerksamkeit, weil sie die einzige dieser Apps war, bei der nur weibliche Nutzer den ersten Kontakt mit den männlichen Nutzern herstellen konnten. Das wurde jetzt geändert, nachdem viele frauen auf diese Weise lernten, dass die Welt der Männer gar nicht so großartig ist, wie sie sich das immer ausgemalt hatten: Tatsächlich wäre das Aufbauen eines ersten Kontakts "eine Menge Arbeit" und "eine Belastung".



3. Die angehende Kinderärztin Dimitra Zazara erklärt im Gespräch mit dem SPIEGEL, wie Männer durch ihr Immunsystem im Nachteil sind:

Zazara: Bei Jungen – und später auch bei Männern – verlaufen Infektionen im Durchschnitt schwerer.

SPIEGEL: Also sollte man sich nicht über den Partner lustig machen, wenn er jammernd mit "Männergrippe" im Bett liegt? Er leidet wirklich stärker als eine Frau?

Zazara: Genau. Besonders ausgeprägt ist der Unterschied bei bakteriellen Infekten wie etwa Lungenentzündungen. Hier sind Männer und Jungen meist deutlich schlimmer betroffen. Aber auch RNA-Viren, zu denen zum Beispiel Rhino-, also Schnupfenviren, Rotaviren, die schwere Durchfälle verursachen, und Coronaviren gehören, können Männer und Jungen in der Regel schlechter bekämpfen als Mädchen und Frauen. Das ist mit ein Grund dafür, warum die Säuglingssterblichkeit bei Jungen höher ist. Auch auf Frühchenstationen weiß man: Männliche Frühgeborene haben schlechtere Chancen zu überleben.




4. Kürzlich titelte die "Neue Zürcher Zeitung": "Nike begreift es selbst im Jahr 2024 noch nicht: Die Olympia-Kleidung der US-Leichtathletinnen ist sexistisch" Jetzt erklärt Tamara Wernli auf Youtube, warum diese Schlagzeile ein großer Unsinn war.



5. Schweizer Sozialdemokraten haben eine neue Maßnahme eingeführt: Nach drei Wortmeldungen von Männern muss sich zwingend eine Frau äußern. Die Idee wurde von einer klaren Mehrheit unterstützt.



6. Wie das Magazin Newsweek berichtet, steht eine steigende Zahl von Männern in Amerika dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung:

"Wenn die Arbeitsplätze nicht den Bedürfnissen der Menschen entsprechen, können die Menschen nicht arbeiten", sagte Yvonne Vissing, Professorin an der Salem State University und Expertin für die sich verändernde Rolle der Männer in der Gesellschaft, gegenüber Newsweek. "Es ist nicht so, dass sie nicht arbeiten wollen. Sie können es nicht, wenn man die Arbeitsmöglichkeiten, den Ort, die Aufgaben, die Arbeitszeiten, die Bezahlung und das Umfeld bedenkt, die zur Verfügung stehen."

(…) Durch die Verschiebung des Arbeitsangebots in der Industrie werden auch Männer in der Arbeitswelt an Boden verlieren, so Vissing. Die meisten Arbeitsplätze in Fabriken oder im verarbeitenden Gewerbe gibt es in den Vereinigten Staaten nicht mehr, und während MINT-Berufe nach wie vor sehr gefragt sind, gewinnen Gesundheits-, Bildungs- und Verwaltungsberufe zunehmend an Bedeutung, so Vissing. Diese Berufe werden aber häufig von Frauen ausgeübt.

Männer verlassen die Arbeitswelt möglicherweise auch aufgrund einer größeren Unzufriedenheit mit der kapitalistischen Gesellschaft, so Vissing.

"Viele Jobs sind einfach nicht befriedigend", sagte Vissing. "Für andere zu arbeiten, die den Nutzen aus unserer körperlichen Arbeit und unserem geistigen Eigentum ziehen, ist weder emotional noch finanziell lohnend. Die Menschen wollen Arbeiten verrichten, die uns etwas bedeuten. Wir wollen unsere Kreativität einsetzen. In vielen Unternehmen werden die Mitarbeiter einfach nicht mit dem Respekt und der Unterstützung behandelt, die wir brauchen und wollen. Die Menschen laufen ihnen davon."




7. Dem populärwissenschaftlichen Magazin Psychology Today wird die Zahl weiblicher Psychopathen unterschätzt. Ein Auszug:

Dr. Clive Boddy sorgte in den Medien für Aufsehen, als er behauptete, dass das Verhältnis zwischen männlichen und weiblichen Psychopathen 1,2 zu 1 beträgt, es also bis zu fünfmal mehr weibliche Psychopathen gibt, als bisher bekannt war. Er glaubt, dass ein Grund dafür darin liegt, dass weibliche Psychopathen in ihrem Verhalten subtiler sind und es daher besser verstehen, unter dem Radar zu fliegen. In Kombination mit der Tatsache, dass unsere Instrumente zur Bewertung der Psychopathie und unsere Diagnosekriterien hauptsächlich auf der Grundlage männlicher Stichproben entwickelt wurden, hat dies zu einer Voreingenommenheit zu Lasten von Männern bei der Erkennung von Psychopathie geführt. Diese Voreingenommenheit, so argumentiert er, könnte dazu geführt haben, dass wir eine beträchtliche Anzahl weiblicher Psychopathen übersehen haben.

Die am weitesten verbreitete Bewertung von Psychopathie, die Psychopathy Checklist-Revised (PCL-R), wurde ursprünglich an männlichen Straftätern validiert. Daher erfasst sie möglicherweise nicht vollständig, wie sich psychopathische Züge bei Frauen manifestieren. Beispielsweise konzentrieren sich die Items zum "psychopathischen Lebensstil" in der PCL-R eher auf offenkundige antisoziale Verhaltensweisen, wie z. B. Schlägereien oder zahlreiche kurzfristige eheliche Beziehungen. Dies sind keine Dinge, die antisoziale Frauen normalerweise tun. Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass weibliche Psychopathen eher Eigenschaften wie verbale Aggression, emotionale Unbeständigkeit und dramatisches, aufmerksamkeitsheischendes Verhalten zeigen, die in der PCL-R nicht gut repräsentiert sind.

Darüber hinaus können gesellschaftliche Klischeevorstellungen, denen zufolge Psychopathie eine "männliche" Störung ist, Kliniker zögern lassen, Frauen als psychopathisch zu diagnostizieren, selbst wenn sie relevante Merkmale aufweisen. Eine weibliche Straftäterin, die oberflächlich charmant und manipulativ ist, könnte als "histrionisch" oder "Borderline" bezeichnet werden, während ein männlicher Straftäter mit denselben Merkmalen als Psychopath eingestuft würde.

Einige neuere Studien, in denen frauenspezifische Messgrößen verwendet wurden, haben ergeben, dass die geschlechtsspezifischen Unterschiede bei der Psychopathie möglicherweise viel geringer sind als bisher angenommen. Colins et al. verwendeten beispielsweise eine überarbeitete Version der PCL-R (PCL-R-2nd Edition) und stellten fest, dass die Prävalenz der Psychopathie bei männlichen und weiblichen Straftätern ähnlich hoch war.


Das erinnert mich an eine Untersuchung aus dem Jahr 1993, die ich dieser Tage bei der Recherche für eines meiner Buchprojekte entdeckt habe. Ihr zufolge hatten 73 Prozent der männlichen und 66 Prozent der weiblichen Studienanfänger schon mindestens einmal davon phantasiert, jemanden umzubringen. Der Unterschied zwischen den Geschlechtern ist auch hier nicht gewaltig.



kostenloser Counter