Sonntag, September 06, 2015

Lesermail (Maskulistische Filmkritik: "Addicted to Fresno")

Einer meiner Leser schreibt mir heute:

In der letzten Zeit wird in Filmkreisen immer wieder das zahlenmässig ungleiche Verhältnis von von männlichen und weiblichen Regisseuren realisierten Filmreleases debattiert. Wie in den vielen anderen Feldern, in denen solche nicht gleichen Verteilungen auftreten, geht man auch hier von einer eindeutigen Benchteiligung weiblicher Filmemacher aus. Ich möchte gar nicht ausschliessen, dass bei den für die Vergabe von Geldern für Projekte Verantwortlichen ein gewisser Bias herrscht, aber es ist die mitunter seltsame Argumentationslinie, die mich da immer seufzen lässt.

So ist zum Beispiel eine immer wieder vorgebrachte These, der Filmwelt fehle es an "weiblichen Stimmen" bzw. "Perspektiven". Vor kurzem hatte ich Gelegenheit, eine dieser Perspektiven selbst zu begutachten. Der Film "Addicted To Fresno" stammt von der Regisseurin Jamie Babitt, die vorher mit "But I'm A Cheerleader" und "Itty Bitty Titty Committee" reüssierte, die zwar weder Publikums- noch Kritikerfolge erringen konnten aber in US-Feministinnen- und Genderistakreisen einen gewissen Kultstatus besitzen. Ihr neuer Film hat zwei Produzentinnen, eine Cutterin und eine Drehbuchautorin - zusammengenommen mit Babitts Hintergrund kann man sich auf dem Papier eine bessere Repräsentation einer "weiblichen Perspektive" kaum vorstellen.

Es handelt sich nominell um eine schwarze Komödie, die ich mir hauptsächlich aufgrund ihrer Besetzung (die wunderbare Judy Greer, Alison Tolman und Natasha Lyonne) unlängst in den USA angesehen habe, und dreht sich um zwei Schwestern, die gemeinsam als Zimmermädchen in einem mittelklassigen Hotel in Fresno arbeiten. Die eine der beiden (Greer) ist sexsüchtig und wurde kurz vor Beginn der Handlung wegen Sex mit ihrem Therapeuten aus ihrer "Rehab" geschmissen, was sie ihrer Schwester (Lyonne) verschweigt. Nach dieser Einleitung verläuft der erste Akt des Films so: Greer, nach wie vor sexsüchtig, drängt sich während ihrer Arbeit einem Hotelgast auf, der zuvor als ein wenig schmierig, derb und tumb eingeführt wurde, an und es kommt zu wildem Geschlechtsverkehr im Hotelzimmer. Lyonne, in einem Nebengang unterwegs und lautes Gestöhne hörend, betritt das Zimmer. Als Greer sie bemerkt springt sie auf und beschuldigt ihren verdatterten Sexpartner der Vergewaltigung. Es entsteht ein kleines Handgemenge, bei dem er zu Boden geht und so unglücklich mit dem Kopf anstösst, dass er auf der Stelle verstirbt. Die folgenden 60 Minuten behandeln nun, wie die beiden die Leiche verschwinden lassen, erpresst werden und an Geld zu kommen zu versuchen. Darum geht es mir hier nicht.

Der Film möchte, dass wir Sympathien für die beiden Schwestern haben. Sie sind die Hauptfiguren, bekommen sowohl einen trockenen, leicht sarkastischen Humor in ihre Dialoge wie auch leichte "cutesy" Momente ins Drehbuch geschrieben, ihr Verhältnis wird als leicht konfliktbeladen aber ultimativ sehr eng charakterisiert und der Film ist immer klar auf ihrer Seite. Die eine beschuldigt einen so gut wie fremden Mann - den wir eklig und unangenehm finden sollen, obwohl er eigentlich nur eine kleine Plauze und einen schlechten Mode- und Frisurengeschmack hat und hin und wieder zu Prostituierten geht - fälschlich der Vergewaltigung und verschuldet dann auch noch seinen Tod, der vertuscht werden soll. Und der Film meint, dass wir das lustig finden. Was vielleicht sogar funktionieren könnte, wäre er denn nicht vollkommen "tone-deaf" und besässe weitaus mehr gute Gags, als er glaubt zu haben. So, wie er aber real ist, blieb mir tatsächlich der Mund offenstehen. Wahnsinnig gerne würde ich mal sehen, ob es ein Pojekt mit ähnlichem Grundplot aber umgekehrten Geschlechtern überhaupt jemals auf die Ebene Drehbuchentwurf schaffen könnte, geschweige denn darüber hinaus.

"Addicted To Fresno" kann zur Zeit in den USA über Video-on-Demand gesehen werden und soll im Oktober drüben ein limited Kinorelease bekommen. Einen deutschen Starttermin gibt es bislang nicht. Nicht dass ich ihn empfehlen würde. Für filminteressierte Genderama-Leser ist er aber aus den bereits erwähnten Gründen eventuell interessant.

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