Samstag, Juni 27, 2015

Lesermail (Homo-Ehe und Vaterlosigkeit)

Einer meiner Leser antwortet auf diesen Leserbrief:

Die Lesermail, die du heute abgedruckt hast, hat mich nachdenklich gemacht. Zunächst als Vorbemerkung: Es ging hier ja erst einmal nur um die Öffnung der Ehe, nicht um die Kindererziehung. Allerdings stimmt es natürlich, dass beides eng miteinander zusammenhängt.

Tatsächlich geht es mir ähnlich wie dem Leser: Auch ich bin ohne Vater (und ohne irgendeine männliche Bezugsperson) "groß" geworden. Schaut man nur auf die Zahlen, sieht mein Werdegang soweit auch sehr gut aus: Ich habe ein gutes Abitur gemacht, einen ausgezeichneten Bachelorabschluss, bin gerade dabei, einen ebenso ausgezeichneten Masterabschluss zu machen und werde dann eine Promotion starten. Soweit top.

Ich bin mittlerweile aber auch schon seit ein paar Jahren in Therapie, weil ich die Probleme, die mit meiner Vaterlosigkeit zu tun haben, solange verdrängt habe - nicht wahrhaben wollte - bis sie sich schließlich nicht mehr ignorieren ließen. Und ich habe gemerkt, dass ich meine herausragenden Leistungen vor allem deshalb gemacht habe - und an dem damit verbundenen Stress beinahe kaputt gegangen wäre - weil ich versucht habe, dadurch meine innere Leere zu füllen; mir dadurch die Anerkennung zu erkämpfen, die mir von väterlicher Seite niemals entgegengebracht wurde. Das ist alles andere als gesund, und das, obwohl es formal alles super aussieht. Statistiken sind kalte Zahlen; Die individuellen Geschichten, die dahinter stehen, mit ihren individuellen Motiven, Ängsten, Hoffnungen, werden dadurch nicht hinreichend abgebildet.

Dennoch weiß ich nicht, ob man das wirklich so 1:1 auf das Thema Homosexualität übertragen kann; Ich weiß nicht, ob nicht ein zweiter Vater die Mutter, eine zweite Mutter den Vater adäquat ersetzen kann. Es kann sein; vielleicht aber auch nicht. Ich weiß es nicht. Ich bin deshalb auch skeptisch, wenn es um Kindererziehung ohne Vater respektive ohne Mutter geht. Da kann ich deinen Leser schon verstehen. Aber ich bin auch meiner eigenen Skepsis gegenüber skeptisch; Denn wer weiß, vielleicht geht das ja doch. Auch meine Erfahrungen stehen schlussendlich nur für mich allein; Schon mein Bruder kann es ganz anders erlebt haben. Das muss man sich immer bewusst machen.

Leider kenne ich niemanden, der bei gleichgeschlechtlichen Eltern aufgewachsen ist. Ich fände es super spannend, mich mal mit so jemandem auszutauschen und aus erster Hand zu erfahren, ob es auch dort diese Leere gibt. Vielleicht gibt es ja jemanden unter deinen Lesern, der darüber etwas sagen kann?

Jedenfalls denke ich wirklich, dass wir erst einmal unbedingt eine Debatte über die Vaterlücke brauchen, in der die verschiedenen Stimmen zu Wort kommen können, sodass man sich ein ausgewogenes Bild machen kann, anstatt sofort auf der Basis von Einzelschicksalen zu entscheiden, was - für alle - als richtig und was für falsch zu gelten hat.


Siehe ebenfalls zur Homo-Ehe und damit zusammenhängenden Themen:

Thank you, America!

Warum ich mich freue

The End of Gay Conversion Therapy

How Will the U.S. Supreme Court's Same-Sex-Marriage Decision Affect Religious Liberty?

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