Donnerstag, Oktober 09, 2014

"Die Zeit" titelt: "Quote: Die Wut der Männer" (Video)

Deutschland braucht mehr Chefinnen, lautet die politische Losung der Stunde. Männliche Konkurrenten finden das ungerecht und sprechen vom subventionierten Geschlecht. Warum sich nun eine Allianz ganz unterschiedlicher Feinde gegen die Frauenquote formiert.


So eröffnet heute die Titelgeschichte der "Zeit". Näheres verrät "Zeit"-Chefredakteurin Sabine Rückert in einem kleinen Video.

Diese Titelgeschichte Elisabeth Niejahrs beginnt mit dem Statement von Kanzlerin Merkel, "mit der Quote und der Förderung von Frauen allein komme man auch nicht weiter bei der Gleichstellung. Es sei an der Zeit, sich um die Männer zu kümmern." Verantwortlich dafür sei offenbar nicht zuletzt politischer Druck seitens der AfD, die sich "bei drei Landtagswahlen in Ostdeutschland (...) erfolgreich mit Sprüchen gegen Frauenquoten und Gender-Debatten profiliert und auch damit zweistellige Ergebnisse erzielt" habe. Die AfD sei dafür von jedem zehnten Mann, aber nur jeder zwanzigsten Frau zwischen 18 und 29 Jahren gewählt worden.

Gleich darauf kommt Niejahr auf die Männerbewegung in Deutschland zu sprechen, wobei sie innerhalb weniger Sätze die unterschiedlichsten Lager und Strömungen vom rechten Rand bis zu Mitgliedern des feministisch geprägten Bundesforums Männer zusammenrührt:

Besonders ungebremst tobt sich die Männerwut in Internetforen aus, bei MANNdat oder WikiMANNia. Auf diesen Seiten wird polemisiert gegen 'Schreckschrauben', die 'keinen abbekommen' oder 'Familien zerstören'. Es werden Studien zitiert, wonach Frauen angeblich öfter Gewalt gegen Männer anwenden als umgekehrt, und selbst der Frauenfußball wird bemüht als Beleg für eine neue Benachteiligung von Männern. (...) WikiMANNia sammelt solche Vorwürfe unter der Überschrift 'Frauen sind nicht das unterdrückte, sondern das subventionierte Geschlecht'. Die Frauenbewegung der siebziger und achtziger Jahre, so die Klage, habe mit der Zeit einen 'Staatsfeminismus' etabliert, vertreten durch unzählige Gleichstellungsbeauftragte und Gender-Professorinnen, die nun einseitig Frauen unterstützten. Er müsse oft an die achtiger Jahre denken, sagt Dietmar Nicolai Webel vom Verband Väteraufbruch. Heute schafften die Männer sich neue frauenfreie Nischen, in denen sie ihrem Unmut über Feministinnen und Gleichstellungspolitik Luft machten.


Weitere Versatzstücke des Artikels bilden diverse Nachrichten, die hier auf Genderama immer wieder Thema waren: etwa die Allensbachstudie von vergangenem Herbst, der zufolge sich viele Männer inzwischen benachteiligt fühlen, die Titelgeschichte der "Wirtschaftswoche" über Männerdiskriminierung im Beruf sowie einen weiteren Artikel derselben Zeitung über das frühe Scheitern von Frauen, die in Managementspositionen gehievt wurden. Erwähnt wird auch der aktuelle Protest der Gleichstellungsbeauftragten gegen eine Form der Quote, die auch Männer nutzen könne (in jenen Zweigen nämlich, in denen Männer unterrepräsentiert sind).

Aus Niejahrs Sicht ist die Frauenquote "keine große Sache", es drohe "kein Gesetz, das wirklich viele Männerkarrieren verhindern könnte". Trotzdem seien einer Allensbach-Untersuchung zufolge nur 18 Prozent der Deutschen für eine solche Quote. Das Beteuern fast aller Parteien, wie sehr "Chancengleichheit" beiden Geschlechtern nutze, verfange offenbar noch immer nicht. Dazu trage die Erfahrung vieler Männer bei, dass sie bei mangelndem beruflichem Erfolg von Frauen als weniger attraktiv wahrgenommen werden (Umfragen zufolge wünschten sich Frauen aller Altersgruppen Männer mit Geld, Karriere und Status als Partner) und dass Partnerschaften, bei denen ein Mann weniger verdiene als seine Frau, überdurchschnittlich oft scheiterten – selbst bei Partnerschaften, die ganz nach dem Lehrbuch der feministischen Ideologie gelebt wurden. Auch würden Männern Fehlschläge im Beruf weniger leicht verziehen. Diese Gemengelage, so Niejahr, führe bei Männern zu "Aggressionen, Phlegma" und "Häme". Für letzeres wird der verstorbene FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher bemüht, der darauf hinwies, dass über die Chefinnen der großen Verlage 80 Prozent der bewussteinsbildenden Industrie hierzulande in weiblicher Hand seien – "als sei gerade die Rote Armee zum zweiten Mal in Deutschland einmarschiert", wie Niejahr spöttelnd anmerkt.

Ernsthafter stellt Niejahr dar, in welch vielfältiger Weise es Frauen im Beruf inzwischen leichter haben: So fand die Soziologin Lena Correll in einer Studie heraus, dass kinderlose Frauen in 84 Prozent der untersuchten Fälle und damit von allen Gruppen am häufigsten zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wurden (kinderlose Männer nur zu 62 Prozent). Auch zeigte die Untersuchung zweier Wissenschaftler der Universität Marburg und des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung, "dass Männer heute im Schnitt fast anderthalbmal so viele Veröffentlichungen vorweisen müssen wie Frauen, um einen Lehrstuhl für Soziologie zu ergattern". Niejahr skizziert die unterschiedlichsten quotenfreien Frauenförderprogramme, erwähnt aber auch die ersten Väternetzwerke und Teilzeitprogramme für Männer, die von Führungskräften offenbar ins Leben gerufen wurden, "weil sie den Groll der Männer auf gezielte Frauenförderung mildern wollten".

Pikant ist, dass anonyme Bewerbungsverfahren etwa von der Stadt Hannover, die Frauen eigentlich dienen sollten, wieder beendet werden mussten, "weil sich plötzlich weniger Frauen bewarben: Scheuten sie sich, weil ihnen kein Frauenbonus winkte?"

Auch Frauenförderung an Universitäten durch allein für das weibliche Geschlecht gedachte Stipendien sowie durch universitätseigene Kindergartenplätze, die forschenden Müttern, aber nicht Vätern zur Verfügung stünden, lasse den Zorn vieler Männer wachsen: "Ein Zorn, der berechtigt ist" gibt Niejahr dann doch schließlich zu. Je radikaler Frauen bevorzugt würden, desto deutlicher begehrten Männer dagegen auf – etwa indem sie sich bei einer Mitgliederbefragung der Berliner Verkehrsgesellschaft über "Quotenmösen" beschwerten. Auch wenn Spitzenkräfte nur pro forma zu Vorstellungsgesprächen eingeladen werden, während längst klar sei, dass eine Frau den Job erhalten werde, reagierten diese unleidlich.

Zum Schluss ihres Artikels zieht Elisabeth Niejahr als Fazit, dass Chefs wenigstens versuchen sollten, möglichst gute Frauen für Vorstandsposten zu finden, um den Unmut der "Verlierer" zu dämpfen. Und wenn Angela Merkel sich nächste Woche wie jedes Jahr mit weiblichen Führungskräften treffe, werden erstmals auch Männer dabei sein – dort allerdings lediglich, um in einem Forum zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie mitzudiskutieren. "Man stelle sich vor", schließt Niejahr, "Merkels Vorgänger hätte hundert Manager zum Gruppenbild geladen und ein paar Frauen gebeten, am Rande der Veranstaltung ein wenig über ihre Mutterrolle zu reflektieren! Das hätte sich selbst Gerhard Schröder nicht getraut."

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