Sonntag, September 01, 2013

Birgit Kelle: Flammendes Plädoyer gegen die Diktatur des neoliberalen Feminismus

Man muss schon außerordentliche Courage besitzen, um in unserer Gesellschaft ein Buch zu veröffentlichen, das ernsthaft fragt, ob es für Frauen noch ein anderes Lebensmodell geben könnte, als so durchgehend wie möglich der Arbeitswelt zur Verfügung zu stehen. An der letzten prominenten Frau, die das gewagt hatte, rächten sich die Meinungsmacher unseres Landes unter anderem durch Schlagzeilen wie "Ist Eva Herman braun oder nur doof?" (Bildzeitung) und "Die Mutterkreuzzüglerin" (Frankfurter Rundschau) sowie ein STERN-Titelbild, auf dem ein Foto Hermans mit einer Aufnahme jubelnder Hitler-Anhänger zusammenmontiert wurde.

Damit hatten die deutschen "Qualitätsmedien" das Thema zunächst wieder aus der politischen Debatte verbannt, aber noch lange nicht erledigt. Welche Kluft zwischen der Parallelwelt von Politik und Medien einerseits und der deutschen Gesellschaft insgesamt besteht, verdeutlicht nun die Publizistin Birgit Kelle mit ihrem Buch Dann mach doch die Bluse zu, das noch am Erscheinungstag beim Online-Buchhändler Amazon auf Rang 116 vorstürmte, obwohl es dort noch immer nicht lieferbar ist. Einen ähnlichen Erfolg hatte Kelle schon Monate zuvor mit einem gleichnamigen Artikel für das Debattenmagazin "The European" verbuchen können, ihrer Gegenposition zum medial mit größtmöglicher Wucht inszenierten feministischen Riesenhype "Aufschrei". Kelles Artikel wurde über 170.000 Mal in den sozialen Netzwerken geteilt und damit aller Voraussicht nach schon jetzt zum erfolgreichsten Artikel des Jahres 2013.

Die groteske "Aufschrei"-Debatte bietet insofern auch den Aufhänger für Kelles Buch, denn gerade in dieser Debatte zeigte sich, so Kelle: "Wo jede Gegenmeinung mit öffentlicher Ächtung beantwortet wird, können Argumente nicht mehr sachlich ausgetauscht werden." Bestes Beispiel ist hier wie so oft Alice Schwarzer, die Kelle in einer Talkshowrunde tatsächlich unterstellte, für ihre Meinung bezahlt zu werden – vermutlich von der geheimen Zentrale des Patriarchats? Von selbst kann eine Frau offenbar gar nicht zu einer anderen Meinung gelangen als Alice Schwarzer.

Die offensichtlichen Denkfehler, die sich die Aufschreihälse von Anfang an leisteten, bringt Kelles Buch schnell auf den Tisch, dabei insbesondere das Messen mit zweierlei Maß. "Wir Frauen dürfen selbstverständlich alles und pochen darauf, dass es natürlich so verstanden werden muss, wie wir selbst es gemeint haben", Äußerungen von Männern aber werden danach beurteilt, wie sie bei einer bestimmten Frau angekommen sind. Allerdings habe "der heterosexuelle weiße Mann (...) kein Monopol auf Sexismus oder unangemessenes Benehmen, wir können das alle. Die Gesellschaft verurteilt aber nur das, was gegen Frauen gerichtet ist und vom Mann verübt wurde." Dabei gerieten die Maßstäbe oft völlig verloren. Während wir in einer hypersexualisierten Gesellschaft lebten und Lehrer inzwischen gar darüber klagten, dass manche Mädchen bei ihnen "fast in Unterwäsche" erschienen, entstehe wochenlange Hysterie, nachdem ein erwachsener Politiker einer erwachsenen Journalistin ein Kompliment zu machen versuchte. Währenddessen befindet eine Ministerin wie Ursula von der Leyen, es sei doch "kein Drama" wenn inzwischen Arbeitern in den USA beigebracht wird, dass sie Kolleginnen nicht länger als fünf Sekunden ansehen sollten, weil dies sonst als "Belästigung durch Blicke" gewertet werden könne.

Von der Auseinandersetzung mit den Verlogenheiten und dem totalitären Gebahren im Zusammenhang mit sexueller Belästigung greift Kelle nun auf andere Themen im Rahmen der Geschlechterdebatte aus, bei denen in der veröffentlichten Debatte und der daraufhin betriebenen Politik eine ähnlich starke Schlagseite herrscht. Mit "Diktatur des Feminismus" ist so eines der Kapitel des Buches treffend überschrieben. Ein gutes Beispiel ist die gesetzliche Frauenquote: Laut ARD-Deutschlandtrend befürworte sie nicht einmal ein Drittel aller Frauen, dank feministischer Medienmacht haben sie aber sämtliche Bundestagsparteien außer der kleinen FDP auf ihren Fahnen stehen. Kelle führt aus:

Kollektiven Atemstillstand und Hysterie löst es jedes Mal aus, wenn ich in einer Diskussionsrunde über Frauenquoten die These aufstelle, dass gar nicht alle Frauen in einen Vorstand wollen und möglicherweise deswegen so wenige dort ankommen. Sie wollen nicht?!? Das ist ein feministisches No-Go. Alle haben zu wollen. Denn auch hier gilt das Mantra: Man weiß doch, was die Frau will. Diskussion abgeschlossen. Ist doch alles schon gesagt worden von den Vorkämpferinnen der Frauensache à la Simone de Beauvoir, Alice Schwarzer, Bascha Mika, Elisabeth Badinter und wie sie alle heißen.


Simone de Beauvoir zitieren kann Kelle allerdings selbst: "Keiner Frau sollte es erlaubt sein", tönte de Beauvoir, "zu Hause zu bleiben und ihre Kinder großzuziehen. Die Gesellschaft sollte völlig anders sein. Frauen sollten diese Möglichkeit nicht haben, und zwar genau deswegen, denn hätten sie diese Möglichkeit, dann würden zu viele Frauen sie nutzen." Wenige Jahrzehnte später ist die von de Beauvoir geforderte Gesellschaft auf dem besten Weg, Wirklichkeit zu werden. Wenn Kelle etwa die Auffassung vertritt, jede Frau solle so leben, wie sie wolle, wird ihr von Feministinnen wie Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin, allen Ernstes entgegengehalten, Kelle täusche sich, wenn sie glaube, sich frei für ein Leben als Hausfrau und Mutter entscheiden zu können – stattdessen leide sie am "Stockholm-Syndrom": einem seelischen Zustand, der Geiseln dazu bringt, mit ihren Kidnappern zu kooperieren. Dementsprechend, so Kelle, fiel in Österreich "der versammelte Feminismus 2011 fast in Ohnmacht (...), als eine Studie des österreichischen Familien- und Jugendministeriums das überraschende Ergebnis brachte, dass sich über die Hälfte der jungen Frauen zwischen 14 und 24 Jahren vorstellen kann, als Hausfrau zu leben, wenn der Partner genug Geld verdient." Als das österreichische Magazin "profil" allerdings zahlreiche Frauen nach ihren Gründen dafür befragte, wollten nahezu alle nicht namentlich genannt werden, weil ihre Haltung öffentlich verfemt wird.

Zu ähnlichen Ergebnissen wie die österreichische Untersuchung, fährt Kelle fort, "kam 2011 auch eine Studie der Organisation Mondial des Mères (MMM) mit Unterstützung der EU-Kommission mit 11.000 Müttern aus 16 europäischen Ländern. Wundern Sie sich nicht, wenn Sie davon kaum noch etwas gehört haben. Studien solcher Art finden kaum Eingang in die deutschen Medien. Sie haben ja die 'falschen' Ergebnisse." Infolgedessen, so Kelle, haben sich alle politischen Parteien darauf verständigt, Mutterschaft auf ein Minimum zu reduzieren, damit die Frauen möglichst schnell wieder dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. "Nach der viel beklagten vaterlosen Gesellschaft betreten wir nun die Ära der mutterlosen", folgert Kelle. "Damit sind alle Wurzeln der Kinder gekappt." Es sei aber "keine wirkliche Frauenpolitik und auch keine Errungenschaft der Emanzipation, dass ich mein Kind nun so schnell wie möglich abgeben soll. Es ist nichts als Kapitalismus pur."

Sie sei froh darüber gewesen, fährt Birgit Kelle fort, dass das erste Wort ihrer Kinder "Mama" war und nicht "Sabine aus der Kita". Auch den Moment, als eines ihrer Kinder zum ersten Mal gestanden habe, wolle sie lieber nicht "später im Jahresrückblick der Kindergartenmappe nachschlagen". Unweigerlich fühlt der Leser sich hier an die zahllosen Väter erinnert, die es bedauern, die Kindheit ihres Nachwuchses verpasst zu haben, weil sie sich in derselben Zeit für ihren Beruf aufopfern mussten. Dass nun auch Frauen dazu gedrängt werden, ihre Kinder so bald wie möglich in die Kita zu geben, um am Arbeitsplatz sofort wieder reinpowern zu können, hält Kelle für fatal. Die mediale Dauerpropaganda in diesem Bereich parodiert sie mit den folgenden Sätzen:

Fehlt eigentlich nur noch, dass wir Schwangerschaften gesetzlich auf sechs Monate verkürzen. Neun Monate – was für eine Zeitverschwendung! Dass das den Wirtschaftsexperten nicht längst selbst eingefallen ist, wundert mich. Drei Monate mehr für die Wertschöpfungskette auf dem mütterlichen Arbeitsmarkt. Die Frühchen bekommen wir doch auch so groß. Von einem Brutkasten in den nächsten, dann nahtlos weiter in die Krippe, Kita, Ganztagsschule, Turbo-Abitur, schnell ein Bachelor, ein unbezahltes Praktikum und dann ein Job für Mindestlohn. Fertig. Wer aufmuckt, wird mit Ritalin ruhiggestellt. Konsequenterweise sollten wir gleich die Kreißsäle in die Kitas verlegen, das spart Zeit und Geld.


Wer diese Rezension bis hierhin gelesen hat, könnte zu dem Eindruck gelangen, dass Kelle sich ihrerseits nur für die Interessen von Frauen einsetze, in ihrem Fall eben die der Mütter. Wer das glaubt, kennt Birgit Kelle schlecht. Die letzten Kapitel des Buches sind durchgehend den Männern gewidmet, auf denen ein totalitärer Feminismus ja nicht weniger herumtrampelt als auf den Müttern. Kelle beklagt hier nicht nur eine politische Korrektheit, die es Männern sehr schwer mache, die feministische Ideologie öffentlich zu kritisieren. Auch

institutionell sind wir männliches Brachland. Wir haben in Deutschland über 1900 kommunale Frauen- und Gleichstellungsbüros, auf Männerseite: null. Obwohl, doch, im Familienministerium existiert seit 2009 ein 'Referat Männer'. Immerhin, könnte man sagen, wenn es nicht so ein Trauerspiel wäre. Keine zehn Leute sitzen dort als Vertretung der halben Landesbevölkerung, und geleitet wird das Ganze – Sie ahnen es sicher schon – von einer Frau. Würden wir uns das als Frauen bieten lassen? Minimale Repräsentanz, und das mit einem Mann an der Spitze?


Dementsprechend sei das Männerreferat im Frauenministerium praktisch auch nur mit zwei Themen aufgefallen: "Mehr Männer in die Kitas" sowie den "Boys Day" – beides Projekte, die mehr Männer in jene Berufe führen sollen, von denen man Frauen mit Nachdruck abrät. Richtig überzeugend sei es jedenfalls nicht, "dass wir als Frauen nun versuchen, den Männern Bereiche schmackhaft zu machen, die wir selbst nicht wollen, die wir jahrelang schlechtgeredet und diffamiert haben. Und als Gipfel des Hohnes verkaufen wir das auch noch als 'Männerpolitik'." Was die Frage nahelegt: "Gibt es keine anderen Themen? Oder ist es einfach nur das, was Frau den Männern als Beschäftigungsfeld gönnt?"

Dass zuhauf männerpolitische Anliegen brachliegen, um die sich niemand kümmert, mit den entsorgten Vätern und der Jungenkrise angefangen, macht Kelle in einer stichpunktartigen Übersicht deutlich. Bei der Lektüre dieser Kapitel hat man stellenweise den Eindruck, dass Kelle heimlich Genderama liest, so gut ist sie über alles informiert, was in der Männerrechtsbewegung derzeit diskutiert wird. So weiß sie von dem "Expertengremium" nordeuropäischer Staaten, das im November 2012 empfahl, Kritik an der feministischen Ideologie am besten gleich ganz zu verbieten, ebenso gut Bescheid wie über die offene Revolte gegen die firmeninterne Frauenförderung, die im Frühjahr 2013 bei Daimler Benz ausbrach. "Das Internet ist voll von Selbsthilfegruppen für Väter, von Vereinen und Protestinitiativen" stellt sie fest. Eine angemessene politische Vertretung erhalten sie alle nicht. (Parteien wie die SPD, könnte man hier hinzufügen, brüsten sich sogar mit diesem Sexismus.) Insofern werde der Ton bei den vernachlässigten Männern immer schärfer:

Die entmachtete Väterfront ist bereits auf den Barrikaden. Ich erlebe gerade unter den geschiedenen und von ihren Kindern getrennten Vätern teilweise blanken Hass auf alles Weibliche. Ihre schlechten Erfahrungen haben sie radikalisiert. Sie sind kaum mehr zugänglich für Argumente und legen oft die gleiche Intoleranz an den Tag, die sie ihren geschiedenen Frauen vorwerfen. Die Fronten werden dort gerade auf- und nicht abgebaut.


Natürlich hat Kelle hier Recht; die meisten Genderama-Stammleser dürften wissen, wo man entsprechend radikalisierte Websites findet. Aber dieses Gepolter speist sich trotz einiger fataler Einflüsse von rechtsaußen nicht zuletzt daraus, dass es an einer vernünftigen Männerpolitik in Deutschland fehlt. Kelle hat hierzu einige Fragen, die nicht oft genug gestellt werden können:

Sollte Gleichstellung nicht bedeuten, dass alle Kräfte gleich stark vertreten sind? Dass es möglich wäre, Männerinteressen zu vertreten, ohne sofort als Frauenfeind dazustehen? Einfach so, als Selbstverständlichkeit. Wäre es abseits dieses Minireferats nicht sowieso Pflicht der Frauenministerin, sich um die Belange der Männer mit zu kümmern? Im Zweifel sogar gegen die Frauen? Es ist doch auch das Ministerium für Kinder, Senioren, Jugend und Familien. Unter den Senioren, Jugendlichen, Kindern und Familien leben 50 Prozent männliche Wesen. Tatsächlich scheint es jedoch, als sei dies ein Alles-außer-Männer-Ministerium.


Das Ganze gehe derzeit noch relativ glatt über die politische Bühne, weil trotz all der genannten Protestinitiativen ein überfälliger Massenprotest der Männer noch immer ausbleibe. "Wo bleibt euer Aufschrei?" fragt Kelle.

Der Bundespräsident lässt sich erklären, welche Worte er im Zusammenhang mit Frauen benutzen darf und welche nicht. Bei der Frauenquoten-Debatte sehr ihr zu, wie das Leistungsprinzip für eure Söhne ausgehebelt wird, und stimmt in den Chor mit ein. Ihr seht zu, wie eure Söhne an den Schulen zurückfallen und vermehrt therapiebedürftig werden. Nicht einmal, als die Universität Leipzig beschlossen hat, euch fortan als Frauen anzusprechen, und euch somit verbal entmannt hat, war ein Aufschrei zu hören. Ihr solltet wenigstens Frauenparkplätze vor der Uni Leipzig dafür einfordern! Es wird Zeit für eine parallele Männerbewegung, die klar artikuliert, was sie selbst will.


Dieser Männerbewegung könnte dann eine Frauenbewegung auf Augenhöhe gegenübertreten, die mit dem herrschenden totalitären und männerfeindlichen Feminismus nichts mehr gemein hat:

Wir brauchen als Frauen eine Emanzipation, die beide Seiten mitnimmt. Die Männer nicht bevormundet, sondern um ihre Einsicht kämpft, wo sie nicht sowieso schon vorhanden ist. Wenn wir also wollen, dass Männer sich um unsere Probleme kümmern, dass sie Verständnis haben, uns unterstützen, fördern, einsichtig sind, wäre es dann nicht das Mindeste, dass wir uns im Gegenzug auch um ihre Problemfelder kümmern? Auch als Frauen.


Während von unseren Medien nicht Birgit Kelle gehypt wird, sondern feministische Aufschreihälse wie Anne Wizorek, Nicole von Horst und Laura Dornheim, denen Sätze wie die obigen niemals über die Lippen kämen, zeigen Bücher wie Dann mach doch die Bluse zu, dass die Fronten gerade nicht zwischen den Geschlechtern verlaufen. Wir Männer haben einerseits Frauen wie Birgit Kelle, Monika Ebeling, Karin Jäckel und viele andere auf unserer Seite, während sich andererseits opportunistische Männer dem herrschenden Feminismus andienen und ihm versprechen, beim Ausgrenzen der aufmüpfigen Geschlechtsgenossen nach Kräften zu helfen – so wie es in jeder Diktatur Menschen gibt, die die Machthaber unterstützen, um so vielleicht in den Genuss der einen oder anderen Vergünstigung zu gelangen. Eine gestörte Gesellschaft gebiert gestörte Kinder. Der Weg, den Birgit Kelle vorschlägt, ist ein besserer – für beide Geschlechter.

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