Freitag, November 16, 2012

Leserbriefe (EU und Kinderbücher, Geschlecht und Schicht)

Auf den zuletzt von mir verlinkten Beitrag EU plant Kinderbücher-Verbot gibt es von zwei Genderama-Lesern Feedback. Ein Leser weist mich auf einen weiteren Blogbeitrag hierzu sowie den Originaltext des Europaparlaments hin, aus dem ein regelrechtes "Verbot" nicht gendergerechter Bücher, wie Michael Mross und mittlerweile auch Henryk Broder es suggerieren, nicht explizit hervorgeht. In dem den Beiträgen beider Autoren zugrundeliegenden Daily-Mail-Artikel heißt es so auch: "Critics said the proposals for ‘study materials’ to be amended so that men and women are no longer depicted in their traditional roles would mean the withdrawal of children’s classics, such as Enid Blyton’s The Famous Five series, Paddington Bear or Peter Pan." Die EU verbietet also nicht, sondern Kritiker argumentieren: "Würden diese Maßnahmen nicht in letzter Konsequenz darauf hinauslaufen, dass ..?" Dem unbenommen kann man natürlich kritisieren, wenn die Europäische Union schon Grundschülern das politisch korrekte Genderbewusstsein durch gezielte Maßnahmen eintrichtern will.

Ein weiterer Leser nutzt diesen Beitrag als Aufhänger für folgenden längeren Brief, in de es hauptsächlich um ein anderes Thema im Zusammenhang mit der Geschlechterdebatte geht:

Lieber Arne Hoffmann,

so, wie ich das sehe, hat die Seite MMNews maßlos übertrieben. Die EU kann keine Bücher verbieten, denn das wäre ein Eingriff in die Presse- und Meinungsfreiheit. Sie kann auch nicht, wie Daily Mail behauptet, bestimmen, was in Schulen als Unterrichtsbuch verwendet wird. Ich halte diese Meldung deshalb für eine ausgesprochene Ente. Naja, vielleicht haben Sie ja diese Meldung mehr augenzwinkernd in Ihrem Blog aufgenommen.

Davon abgesehen lese ich Ihren Blog recht gerne. Ursprünglich bin ich durch die Frage der Islamophobie auf Sie gestoßen und erst später habe ich gemerkt, dass Sie auch noch "Genderama" betreiben. Und dort fand ich dann jede Menge Lesestoff, der mir aus dem Herzen sprach. Ohnehin habe ich seit eh und je ein Unbehagen daran, als Mann immer zu der vermeintlich gefährlichen oder wahlweise aussterbenden, absteigenden und minderbefähigten Spezies zu gehören. Ich empfinde das als persönlich belastend, weil ich damit aufgewachsen bin (ich bin 41). Es gab zwar durchaus positive Männerbilder, aber das waren dann solche, die sich aus dem Sumpf herausgearbeitet haben. In der Masse herrschte ein negatives Männerbild vor: Der Mann als Verursacher von Krieg, Gewalt, Verbrechen und Ungerechtigkeit. In der Schule (in der DDR) wurde nicht gespart mit Kritik am Manne, der nie den Mülleimer runterbringt und im Haushalt nicht mit anpackt. Später, ich glaube in den 90ern, kam dann hinzu, dass Frauen an sich begabter sein: sie seien intelligenter, einfühlsamer, bessere Chefs und überhaupt in allem besser als der Mann. Nicht gerade ermutigend, so etwas andauernd zu hören und zu lesen. Ich bin in einer Umgebung aufgewachsen, wo man nicht als Mann auf den Tisch haut, wo man selbstkritisch mit sich umgeht, wo die bürgerliche Tugend der Selbstdisziplin im Dienste einer Aufgabe eine wichtige Rolle spielte. Das sorgte dafür, dass solche Männerkritik bei mir auch auf fruchtbaren Boden fiel.

Ohnehin könnte man mal untersuchen, inwiefern feministische Vorstellungen von Männlichkeit eine Liaison eingegangen sind mit bürgerlichen Vorstellungen. Die Feminismuskritik ist oft etwas grobschlächtig und stellt vor allem Männer und Frauen gegenüber. Es wäre aber sinnvoll, auch Milieu- und Schichtunterschiede zu berücksichtigen (Sie als Linker haben ja bereits in diese Richtung gedacht). Vergleicht man verschiedene Milieus, werden auch Unterschiede im Verhalten von Männern erkennbar. Bauarbeiter verhalten sich ganz anders als Journalisten, Referenten, Beamte. In den Dienstleistungsberufen, wo der Kontakt mit Bürgern oder Kunden sehr wichtig ist, herrscht ein dezenterer Umgangston. Die dort Arbeitenden müssen in der Lage sein, sich selber stark zurückzunehmen. Das ist auf dem Bau nicht notwendig. Es gibt nun Milieus, in denen der männliche Nachwuchs eher für Dienstleistungsberufe sozialisiert wird als in anderen. In manchen Arbeitermilieus wachsen Jungen durchaus traditionell auf. Sie erlernen eine körperbetonte Männlichkeit, sind laut, auftrumpfend und in ihrem Umgang mit anderen direkt und ehrlich. In bürgerlich-akademischen Milieus wird die Körperbetonung zurückgenommen, leiser gesprochen, auf geschliffene Sprache geachtet. Konflikte werden nicht laut und offen ausgefochten, sondern durch Reden, Kompromisse und Moderation. Gewalt gilt als Tabu, während in manchen arbeiterlichen Haushalten die körperliche Wehrhaftigkeit von Jungen als sinnvoll und richtig angesehen wird.

Die bürgerlich-akademischen Männer passen damit viel besser in die feministischen Vorstellungen. Sie teilen sie auch, also zumindest teilweise. Denn sie haben längst selbst ein Problem mit lauten Jungs, die auch mal in gewalttätige Auseinandersetzungen gehen. Ich glaube daher, dass man die Abwertung (traditioneller) Männlichkeit nicht nur feminismuskritisch betrachten sollte, sondern auch als ein Konflikt zwischen Milieus, geboren auch aus der Ausdehnung der Dienstleistungsberufe.

Mit freundlichen Grüßen

Michael Lohmann


Ich finde es natürlich super, wenn sich meine Leser so stark mit meinen Beiträgen auseinandersetzen, sie also kritisch nachrecherchieren oder darauf mit eigenen, weiterführenden Gedanken aufbauen.

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