Dienstag, September 18, 2012

Lesermail (Andreas Kemper)

Normalerweise sind bei mir eingehende Bestellungen meines Klassikers "Sind Frauen bessere Menschen?" kurz und knapp. Gestern Nacht allerdings ist eine längere Mail bei mir eingetroffen, die durchaus ein Zitat in Genderama lohnt, weil sie einiges Interessantes über die aktuelle Diffamierungskampagne gegen die Männerbewegung zu sagen hat, ohne als Reaktion darauf selbst in einen aggressiven Stil zu verfallen. (An einer Stelle habe ich die Mail zusätzlich anonymisiert, an anderen Stellen habe ich versucht, ihre Grammatik ein wenig aufzuhübschen; sie war ja ursprünglich wohl nicht für eine Veröffentlichung gedacht.)

Lieber Herr Hoffmann,

hiermit bestelle ich bei Ihnen ein Exemplar Ihres E-Book: "Sind Frauen bessere Menschen?". Bitte senden Sie mir die Zahlungsdaten zu.

Ich habe zwar Ihr Buch aus der Bücherei, aber da ich immer wieder gerne mit Ihrem Buch arbeite, ist das E-Book für mein Studium der Kulturwissenschaften weiter hin sehr nützlich, auch wenn diese Version überarbeitet ist. Als Studentin kann ich mir im Moment z.B. die bei Amazon angebotenen Exemplare nicht leisten.

Ich arbeite gerade einen Feldforschungsbericht über das Gewaltschutzhaus im Ketzin aus. Dabei bin ich auch mit dem Buch von Andreas Kemper (Hg.) "Die Maskulisten" beschäftigt, was mich unerwartet zu sehr tief enttäuschte. In allen Artikeln vermisse ich eine wissenschaftliche Sachlichkeit bzw. irgendwas Objektives. Die Autoren dieses Buches sind alle sehr stark mit der virtuellen verbalen Gewalt von den rechtsradikalen Trollen angegriffen worden? So ganz erschließt mich nicht, woher ihre starke Wut entstand. Leider bedienen sie sich der selben Propaganda und der selben "Hasskommunikation".

Was ich Sie fragen wollte, was für einen Hintergrund gibt es bei Andreas Kemper, gerade Sie so anzugreifen?

Ich bin über seinen Schreibstil enttäuscht, wie auch über seinen Aufsatz "Männerbewegung versus Männerrechtsbewegung" (s.o. 28-43), weil er nicht objektiv auf Verweise oder Textbezüge beruft, geschweige seine Behauptungen mit Zitaten oder Quellennachweisen konkret belegt, sondern nur sehr willkürlich im Text hervorhebt. Durchgängig gleicht seine subjektive Wut und Meinung eher einer "Allung" (also etwas Meinen, was man glaubt, was alle dazu sagen würden ... eine Wortschöpfung von Vera F.Birkenbihl). Er verwendet fast ausschließlich Ihre Blogeinträge wie auch Ihre Bücher ohne konkrete Seitenzahlen oder andere Verweise und impliziert nur, indem er "Zitate" hervorhebt. In welchem Kontext diese Aussagen bestehen, wie auch die Behauptung, dass Sie behauptet hätten, dass die Männerbewegung erst seit dem Millennium besteht, bleibt für mich nicht nachvollziehbar (ebd. 28).

Mir kam dieses Buch wie ein sehr schlechter Blog vor, in dem sich bis auf die Textanalyse des "hate speech" in keinem der Beiträge aller Autoren und Autorinnen sich irgendeiner wissenschaftlichen Analyse des Phänomen "Rechtsradikalität in der Männerbewegung" widmete. Wobei auch H. Rosenbrock leider selber auch dieselbe Sprache und Verurteilung verwendet, die er den Textpassagen der "Trolle" vorwirft.

Ich entnehme jedem Kapitel dieses Buches eine starke Wut und eine sehr persönliche Kränkung. Dafür ist das Buch gut, als beeindruckendes Mahnmal, wie Worte verletzen können und was für ein Schaden durch diese virtuellen Trollidioten entstanden ist. Das Schlimme ist wohl, dass sich Herr Kemper dazu verleiten ließ, diese Bücher in so einer Weise zu veröffentlichen.

Ich selber habe die virtuellen rechtsradikalen Trolle auch in den Foren meiner Szene erlebt, wo ich mich aufgrund dieser verbalen virtuellen Gewalt abgewendet habe, da dort genau dasselbe passierte wie bei Ihnen in der Männerbewegung. Das Ganze tut mir in meiner Seele herzlich leid, weil ich auch durch den Bericht des Gewaltschutzhaus in Ketzin erfahren habe, was für ein Leid bei den Betroffenen entstand, besonders wie sehr Menschen, die aktiv tätig sind, dafür mit Rufmord geschändet worden sind.

Dass man Ihre Plattform und Ihre Arbeit so massiv angreift, ist für mich immer noch unverständlich, da ich im Gegensatz zu den Autoren vom o.g. Buch Ihre Texte gerne lese und auch Ihre Quellen und Verweise nachvollziehen kann, wobei ich in manchem Punkten andere Perspektiven einnehme. Dennoch kann ich Ihre Argumentation gut nachvollziehen.


Natürlich kann ich auch keine "Ferndiagnose" darüber abgeben, warum Andreas Kemper durch die Rüpeleien einiger Randfiguren in der Männerrechtsbewegung so nachhaltig aufgewühlt worden ist, dass er es jetzt zu einer Art Lebensmission gemacht zu haben scheint, gegen die gesamte Bewegung zu wettern und Menschen dagegen aufzubringen. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob Kemper selbst weiß, welche psychologischen Mechanismen in ihm am Werke sind. Interessanterweise hat er keine Probleme damit, sich selbst von Leuten wie Alice Schwarzer interviewen zu lassen, die wegen fremdenfeindlicher Statements und anderer Absonderlichkeiten als im Herzen rechts analysiert und immer wieder scharf kritisiert wurde, solange es ihm im Kampf gegen die Männerbewegung nur strategisch sinnvoll erscheint.

Bemerkenswert finde ich darüber hinaus: Während einige Rückmeldungen beispielsweise in der Wikipedia zeigen, dass Kemper bei manchen Gesinnungsgenossen, die durch eine bestimmte Form der Ansprache leicht manipulierbar sind, auf offene Ohren stößt (gegen Männer zu sein ist in bestimmten Kreisen IMMER richtig), zeigen sich andere Leser, die für eine sinnvolle kritische Auseinandersetzung mit der Männerbewegung eigentlich erreichbar wären, durch den Stil von Kemper und seinen Kumpels vor allem befremdet und abgeschreckt. Insofern erinnerte mich die Mail meiner Leserin an eine Analyse des politisch weit links stehenden Männerrechtlers "Leszek" in der Kommentarspalte dieses Eintrags. "Leszek" analysierte damals Kempers Vorgängerband "(R)echte Kerle" und versuchte in Ansätzen auch zu ergründen, woher Kempers radikales Gepolter rühren könnte:

Sein “Klassismus”-Buch ist ziemlich gut. Auch andere Dinge, die er schreibt, sind oft gut.

Nur wenn es um Männerrechtler und Kritik am vorherrschenden Feminismus geht, setzt es bei ihm aus. Das Thema bedroht offenbar zu stark sein einseitig pro-feministisch geprägtes Selbstwert- und Identitätsgefühl. Die Folge ist eine weitgehende Unfähigkeit, bei diesem Thema sachlich und differenziert zu denken, Pro- und Contra-Argumente nüchtern abzuwägen und auf Teilwahrheiten und -irrtümer hin zu analysieren. Dadurch entstand dann leider diese dümmliche und argumentationsfreie Hetzschrift (Rechte Kerle).

Kemper bedient sich dabei einer Vielzahl von Diskursstrategien, um ein plattes Schwarz-Weiß-Bild "guter Feminismus – böse Männerrechtler" zu konstruieren:

– Die Gemeinsamkeiten der Kritik am vorherrschenden Feminismus zwischen Männerrechtlern und kritischen Feministinnen (z.B. Equity-Feministinnen) werden nicht herausgearbeitet, geschweige denn, dass die Kritikpunkte diskutiert werden.

– Die von Männerrechtlern behaupteten Diskriminierungen und Benachteiligungen von Männern werden nicht diskutiert, geschweige denn auch nur versucht zu widerlegen.

– Der Männerrechtsbewegung wird "Biologismus" hinsichtlich ihres Bildes von Männern und Frauen vorgeworfen. Unterschiedliche Einstellungen zu diesem Thema in der Männerrechtsbewegung werden nicht herausgearbeitet. Eine Auseinandersetzung mit dem wissenschaftlichen Forschungsstand der Geschlechterforschung findet auch nicht statt.

– Strömungsdifferenzierungen zwischen verschiedenen Flügeln der Männerrechtsbewegung werden nicht vorgenommen, und differenzierte Beurteilungen auf dieser Grundlage bleiben aus.

– Kemper bedient sich recht offensiv der Strategie ein Zerrbild der Positionen der Männerrechtsbewegung zu entwerfen. Anstatt die tatsächlich verbreitetsten Argumente zu nennen und darauf einzugehen, werden der Männerrechtsbewegung absurde und dümmliche Positionen untergeschoben, die nicht repräsentativ sind. Die tatsächlichen zentralen Positionen und Argumente werden hingegen nicht erläutert und nicht diskutiert.

– Aus dem Umstand, dass es in der Männerrechtsbewegung einen kleinen Teil ultrarechter, sexistischer und homophober Personen gibt, wird unzulässig auf die Gesamtheit aller Männerrechtler verallgemeinert. Kritische Auseinandersetzungen aus der Männerrechtsbewegung selbst mit diesen problematischen Tendenzen, wie z.B. von Arne Hoffmann, werden als rein strategisch abgetan.

– Ein direkter Vergleich der problematischen Tendenzen in einem Teil der Männerrechtsbewegung mit den problematischen Tendenzen in einem Teil der feministischen Bewegung bleibt aus. Das Vorhandensein von Sexismus gegen Frauen in einem Teil der Männerrechtsbewegung wird z.B. hervorgehoben, das Vorhandensein von Sexismus gegen Männer in einem Teil der feministischen Bewegung wird hingegen totgeschwiegen. Frauenfeindliche Äußerungen anonymer männerrechtlicher Blogger werden zitiert, aber der Leser erfährt nichts über Valerie Solanas, Mary Daly, Sally Miller Gearhart, Andrea Dworkin, Catharine MacKinnon etc. Nach diesem Prinzip des Messens mit zweierlei Maß wird generell verfahren.

– Die Positionen von einflussreichen liberalen oder linken Vertretern der Männerrechtsbewegung wie Warren Farrell oder Arne Hoffmann, die in ihren tatsächlichen inhaltlichen Aussagen völlig konträr zu dem reaktionären Bild stehen, dass Kemper vermitteln möchte, werden falsch dargestellt oder nicht erwähnt.

- Es werden einzelne Zitate aus dem gelben Forum gefischt, (ein großer Teil dieser Zitate ist auch aus meiner Perspektive übel). Die ausführliche Kritik von Arne Hoffmann an diesem Forum wird hingegen nicht dargestellt, sondern als rein strategisch motiviert abgetan.

– Kempers eigene weltanschauliche Positionen werden übrigens ebenfalls kaum begründet.

Aus diskursanalytischer Perspektive ist Kempers Buch also interessant – inhaltlich weniger, da es ja keine Argumente enthält.

Schade. Selbstverständlich darf man die Männerrechtsbewegung kritisieren, genauso wie die feministische Bewegung – nichts steht außerhalb der Kritik.

Sich mit fundierten und differenzierten Kritiken auseinanderzusetzen kann der Männerrechtsbewegung nur gut tun, weshalb auch ich mit Kritik an ihr nicht sparsam umgehe.

Kempers Buch ist aber keine Kritik, es ist nicht einmal der Versuch einer Kritik.

Es ist einfach nur der verzweifelte Versuch einer einseitig pro-feministisch orientierten Person, welche offenbar durch die Kritik am vorherrschenden Feminismus aus dem Gleichgewicht geworfen wurde, ihre innere Stabilität wiederzuerlangen, indem der vermeintliche Gegner dämonisiert wird.

Kemper sollte mehr über andere Themen schreiben. Das kann er. Bei dem Themenkomplex Feminismus/Männerrechtsbewegung fehlt ihm leider einfach zu sehr die Fähigkeit zu sachlicher, unparteiischer Herangehensweise, als dass hier etwas Vernünftiges herauskommen könnte.

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