Bundesrichter warnt vor geplanter Verschärfung des Sexualstrafrechts
Der Bundestag diskutiert, ob das Sexualstrafrecht verschärft werden soll. Doch wissen die Abgeordneten überhaupt, von was sie reden? Oft leider nicht.
Dieser Teaser leitet einen Artikel Thomas Fischers ein, Bundesrichter in Karlsruhe. Einige treffende Auszüge:
Man wird von den Bürgern den Willen verlangen können, zu akzeptieren, dass komplizierte Sachverhalte kompliziert bleiben, und sich anzustrengen, um schwierige soziale Probleme zu verstehen sowie eigene Meinungen und Vorverständnisse infrage zu stellen. Wille und Fähigkeit dazu sind nicht von der gesellschaftlichen Position oder dem Beruf abhängig. Journalisten, die über Diskussionen zum Sexualstrafrecht oder über Einzelfälle berichten, haben oft nicht nur wenig Ahnung von der Sache, sondern auch empörend geringes Interesse, Kenntnis zu erwerben. Sie leben in einem selbst geschaffenen Parallel-Kosmos der Nachrichtenlage, der Klicks und der sich überstürzenden Neuigkeiten. Es ist ein Jammer.
sowie
Das schwierigste, aber entscheidende Problem, das die immerguten Vertreter eines konsequent opferorientierten Strafrechts nicht verstehen wollen und die verdrehten Vertreter eines überkommen männlich definierten Sexualstrafrechts nicht verstehen können, ist dies: Wir können mit dem Strafrechts alles regeln. Wir können die Freiheitsspielräume der Menschen so klein machen, dass sie wie die Ratten in der Falle quietschen. Wir können den Feminismus verordnen oder den Ganzkörperschleier, oder wir können jede Andeutung der Freiheit in irgendwelchen Tatbeständen begraben. Es geht aber nicht nur um "Schutz", sondern auch um Freiheit, auch um Selbstverantwortung. (...) Denn es ist stets zu bedenken: Je mehr der Staat – das Strafrecht – behauptet, er müsse "um der Opfer willen" einen "Missbrauch" verhindern, desto mehr verschiebt er die Grenze der Freiheit auch gegen die "Opfer" selbst.
und
Klar ist jedenfalls Folgendes: Sexuelles Verhalten der Menschen ist nicht per se strafbar oder strafwürdig. Daraus folgt: Einverständliches sexuelles Verhalten zwischen Menschen, die nicht in ihrer Willensbildung eingeschränkt oder behindert sind (siehe oben: "Missbrauch"), kann niemals den Tatbestand einer Sexualstraftat erfüllen, so wenig wie Essen, Sprechen, Berühren. Die Gegenwelt dazu wäre, jegliches menschliche Verhalten, das irgendwie sexuell motiviert ist, für strafbar zu erklären – mit "Ausnahmen" durch Zustimmung. Eine absurde Vorstellung. Dass niemand solch eine Welt will, erscheint mir gleichwohl nicht sicher.
Nach meiner eigenen intensiven Auseinandersetzung mit diesem Thema – dass ich längere Zeit z.B. das Engagement gegen Zwangsprostitution und andere Formen sexueller Gewalt finanziell und publizistisch unterstützt habe, dürfte bekannt sein – kann ich der Einschätzung von Bundesrichter Fischer nur zustimmen. Nicht immer ist gut gemeint auch gut gemacht.
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