Leserbrief (Suizid 3)
Ein weiterer Genderama-Leser beteiligt sich an der gestern begonnenen Debatte über Selbsttötungen – und er hat Fachkompetenz zu bieten:
Nachdem so zahlreiche Leserbriefe zu dem Thema bei Ihnen eingetroffen sind, dachte ich mir, ich gebe Ihnen auch eine kleine Impression.
Ich habe selbst, bevor mein Studium 2011 anfing, mehrere Jahre im Rettungsdienst gearbeitet. Da hat man das ein oder andere Mal auch mit Suizidversuchen zu tun (Großstadt). Meine Erfahrung – es ist ja auch nicht so, dass es an jedem Tag mehrere Suizidversuche gemeldet werden – sieht folgendermaßen aus :
1. Durch die Bank bei allen "erfolglosen" Suizidversuchen war für jeden erkennbar, dass nicht mal im Ansatz eine Tötungsabsicht vorlag. Meistens war die Methode, die zur vermeintlichen Selbsttötung benutzt werden sollte, nicht ansatzweise geeignet, ein menschliches Leben zu beenden (z.B. Überdosis Paracetamol/Aspirin oder das Zufügen von oberflächlichen Schnittwunden weit weit entfernt von einer Arterie). Ich erinnere mich exakt an den einzigen männlichen Patienten, der in diese Kategorie fiel, und zwar deswegen, weil er sich mit seinem Geschlecht von den sonstigen Mitgliedern dieser Gruppe unterschied. Meine persönliche Schlussfolgerung ist nicht, dass Frauen mit dem Suizid "scheitern", sondern dass sie es a priori nicht wollen.
2. Es gab einige Fälle (gerade Verkehrsunfälle), in denen die Feuerwehr, die meist zuerst am Einsatzort eintrifft, keine offensichtliche Unfallursache feststellen konnte. Klassisches Beispiel ist da ein Auto, das ungebremst in eine Wand/gegen einen Baum rast. Kommentare der Feuerwehr: "wie kann man nur so dumm sein", "schlechter Autofahrer", "Raser". Als dritte Einsatzkraft untersucht dann die Polizei das Geschehen, und meist ältere Polizisten äußern dann die Theorie, dass es sich um einen Suizid gehandelt haben könnte. Das Resultat dieser Ermittlungen bekam ich leider nie mit, weil nach der Todesfeststellung der Einsatz für den Rettungsdienst logischerweise beendet ist. Mitglieder dieser Gruppe sind ausschließlich Männer. (Wohlgemerkt: Meine Einsätze, es kann durchaus möglich sein, dass ein Kollege das komplett invertierte Bild in seinen Einsätzen erlebte.)
Interessant ist da auch die Ansicht mancher Notärzte, mit denen ich mich dann doch sehr intensiv über das Thema unterhalten habe. Unter den Notärzten gab es eine ziemlich herrschende Meinung und zwar, dass jemand mit konkret entwickelter Tötungsabsicht in seinem Vorhaben niemals scheitert. Jemand, der sein Leben wirklich aus tiefster Überzeugung beenden möchte, würde damit auch Erfolg haben. Jedem erfolglosen Suizid würde vorneweg die Tötungsabsicht fehlen. Die Begründungen zu dieser Theorie waren trivial, einleuchtend und nachvollziehbar.
Nimmt man diese Meinung mancher Notärzte und überträgt sie auf das Problem der Suizidraten, muss man folgerichtig jeden erfolglosen Suizidversuch komplett ignorieren, denn er ist ja nur ein Quasi-Versuch.
Demnach ist das Argument der hohen "Erfolglosrate" bei Frauen nicht gültig, um zu erklären, dass sich mehr Männer das Leben nehmen bzw. um zu beweisen, dass "Frauen genauso verzweifelt sind".
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