Samstag, Oktober 04, 2014

"Feministinnen benutzen die Gesundheit der Sexarbeiter für ihr politisches Spiel"

Auf Telepolis kommentiert Bettina Hammer heute die verschiedenen Formen von Selbstinszenierung, von denen die Prostitutionsdebatte durchsetzt ist. Ein Auszug:

Sexarbeit ist vor allen Dingen auch ein Thema, bei dem über Menschen gesprochen wird, nicht mit ihnen. Die diversen Äußerungen, nicht zuletzt auch jene von Politikern, quellen geradezu über vor Empörung und zur Schau gestelltem Mitgefühl für die Frauen, die von Prostitution betroffen sind, ohne dass der Dialog mit den Betroffenen überhaupt gesucht wird.

Da Prostitution fast immer mit Zwangsprostitution gleichgesetzt wird, ist eine solche Empörung leicht. (...) Ebenso einfach verläuft die Diskussion, wenn ein Artikel sich nicht nur negativ mit dem Thema Sexarbeit befasst. Hierbei wird dann streng nach (vermeintlichem) Geschlecht eine ad hominem gerichtete Angriffsschiene gefahren: Der männliche Verfasser ist wahrscheinlich unattraktiv und geht selbst zu Sexarbeitern, bekommt keine anderen Frauen ab oder steht halt darauf, wenn "Frauen sich erniedrigen".

Die Verfasserin will sich bei Männern anbiedern, hat selbst ein Trauma erlitten, ist selbst Sexarbeiterin oder aber will aus irgendwelchen Gründen mit ihren Geschlechtsgenossinnen abrechnen und sieht auf diese herab. Auch hier gilt: Wer Sexarbeit nicht sofort und ohne Ausnahmen ablehnt, wird angefeindet.

(...) In der öffentlichen Wahrnehmung besteht die Sexarbeit letztendlich nur aus oralem, vaginalem und analem Sex, aus mehr oder minder einem Wrack gleichenden Frauen, die meist drogensüchtig oder aber gequält und erniedrigt von geilen Männern besprungen werden und diesen "zu Willen sein müssen". Diese Ansicht wird der Realität, gelinde gesagt, nur bedingt gerecht.

Nicht nur lässt sie die männlichen Sexarbeiter außen vor, welche höchstens ab und an als "drogensüchtige Stricher" mit in die Gesamtbetrachtung einfließen, sie ignoriert auch die Vielfalt der Tätigkeit an sich.


Zu diesem Artikel passt ein Interview, das Spiegel-Online mit Gira Grant führte, einer ehemaligen Prostituierten und Verfasserin des Buches "Hure spielen":

SPIEGEL ONLINE: In Ihrem Buch schreiben Sie, dass man Prostituierte trotz aller Gewalt gegen sie nicht als Opfer sehen sollte. Warum?

Gira Grant: Wer Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter Opfer nennt, meint, sich in sie hineinfühlen zu können und glaubt, über ihre Befindlichkeiten besser Auskunft geben zu dürfen als die Prostituierten selbst. Sie Opfer zu nennen, hilft doch nichts. Wir müssen stattdessen über die vielen Gefahren in ihrem Leben sprechen: die Polizei, die Diskriminierung im Gesundheitssystem, in der Ausbildung oder beim Finden einer Wohnung. Darauf möchte ich mit meinem Buch aufmerksam machen.

SPIEGEL ONLINE: Aber sind manche Prostituierte nicht tatsächlich Opfer ihrer Lebensumstände und wollen eigentlich aus dem Job raus?

Gira Grant: Die gleiche Frage können wir auch Taxifahrern, Putzfrauen oder Espresso-Baristas stellen, und die Antworten würden sich kaum unterscheiden. (...)

SPIEGEL ONLINE: Aber es gibt doch genug Menschen, die Prostituierten helfen und die Arbeitsbedingungen verbessern wollen, viele feministische Organisationen beispielsweise. Dennoch kritisieren Sie gerade den Feminismus in Ihrem Buch.

Gira Grant: Sexarbeiterinnen wollen, dass Feministinnen ihre Rechte unterstützen. Leider schweigen viele Feministinnen aber, wenn es um dieses Thema geht. Manche machen sogar Stimmung gegen sichere Arbeitsbedingungen für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter. Die Organisationen Equality Now und die Coalition Against Trafficking in Women unterstützen, dass Sexarbeiter von HIV-Aufklärungsprojekten ausgeschlossen werden. Sie sagen den Regierungen, dass Sexarbeit besser komplett geächtet werden sollte. Solche Feministinnen benutzen die Gesundheit der Sexarbeiter für ihr politisches Spiel, ähnlich wie Gruppen, die gegen Abtreibung sind.


Hier findet man das vollständige Interview.

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