Freitag, Mai 23, 2014

"Alles nur Spinner?"

Da ich Pirincci heute morgen ohnehin erwähnt hatte: Gregor Keuschnig hat sich gestern in einer sehr ausführlichen Analyse mit "Deutschland von Sinnen" auseinandergesetzt. Dabei macht er sich über den Gehalt dieses Buches keine Illusionen, findet aber die Frage viel spannender, warum ein derartiges Machwerk massenweise gekauft wird. Ein Auszug seines Erklärungsansatzes:

Es wurde Sitte, alle gesellschaftlich und sozial kontroversen Themen aus Wahlkämpfen aus Furcht vor »Instrumentalisierungen« auszuklammern. Gesellschaftlicher Konsens wurde reduziert auf die Übereinstimmung in den Parteigremien. Medien haben dies zumeist affirmativ begleitet und umgesetzt. Am Ende wurde aus der Wahl zwischen zwei Kandidaten um ein Amt in einer Partei eine »Kampfabstimmung«. Das Wort »Streit« ist nur noch pejorativ gemeint, niemals als konstruktiver Prozess.

Die Diskussion um die potentiellen Interessenten dieses Buches (die ja nicht alles Befürworter sein müssen) verläuft in bekannten Bahnen. Sie werden stante pede in das rechte politische Lager überführt (das ist sehr bequem) oder mit Beruhigungsfloskeln abgespeist. Eine interessante Folge formuliert immerhin Ijoma Mangold: »…wer immer sein Wort erhebt gegen die Diskursvorherrschaft von Gender-Mainstreaming, Steuerstaat, Rauchverbot, Konstruktivismus und Adoptionsrecht für Homosexuelle, findet sich jetzt in der Gesellschaft von Akif Pirinçci wieder.« Und sogar resignativ schließt: »Da überlegt man sich dreimal, ob man nicht doch lieber kleinlaut ins Lager der Gleichstellungsbeauftragten überläuft.« Der Einwurf, dass solche Schmähschriften wie die von Pirinçci den weiteren Diskurs um bestimmte konfrontative gesellschaftspolitische Themen hemmt, wäre dann exakt die Reaktion, die Pirinçci et. al. als Status quo ausweisen.

Mangolds Formulierung, das Buch habe der »Meinungsvielfalt…einen Bärendienst erwiesen« wird nur dann zur selbsterfüllenden Prophezeiung, wenn man nicht mehr diskursiv reagiert, sondern nur noch mit sozialen Repressionen. Substantielle, argumentative Kritik an was auch immer muss immer möglich bleiben. Die Furcht des Feuilletonredakteurs vor der Zustimmung von einer vermeintlich »falschen« Seite darf nicht zum vorsätzlichen Beschweigen eines vielleicht unangenehmen Sachverhalts führen. Dann hätten Pirinçci und Konsorten in ihren überzogenen Diagnosen reüssiert.


Damit ist der bestehende Irrsinn gut beschrieben. Auf der einen Seite wird von Privatpersonen wie mir per Facebook oder Mail verlangt, dass ich meine Zeit ausgerechnet für Diskussionen über Pirinccis Gepolter verschwende, als ob man zu reinen Beschimpfungen und Nonsens-Sätzen wie "Mit dem Arschloch sieht man besser" ernsthaft argumentieren könnte. Das halte ich für genauso daneben, wie der Glaube, feministischen Bloggerinnen eine Diskussion quasi abverlangen zu können, nur weil man gerade wegen irgendwas in Rage ist.

Auf der anderen Seite haben wir gesellschaftliche Instanzen, die Zeit, finanzielle Mittel und eigentlich sogar die soziale Aufgabe hätten, kontroverse Diskussionen auf einem seriöseren als dem Pirincci-Level zu führen, die aber nur mit Ausgrenzungen und Anfeindungen reagieren. In Talkshows werden Männerrechtler erst gar nicht einladen, auch ihre sachlich argumentierenden Veröffentlichungen kaum in den Medien besprochen. Organisationen wie die Heinrich-Böll-Stiftung erklären alles, was von Männerrechtlern kommt, pauschal als indiskutabel und nennen selbst seriöse Vereine wie MANNdat und AGENS in einem Atemzug mit Anders Breivik, während Betonköpfe wie Thomas Gesterkamp und Andreas Kemper selbst mich als halb Rechtsextremen phantasieren. Birgit Kelle, die eigentlich nur das klassische Familienmodell bewirbt, geht es kaum anders. (Während in der Migrationsdebatte schon der Vorschlag, über eine Zuwanderungspolitik wie in Kanada zu diskutieren, genügt, damit radikale Linke einen mit einem Neonazi vergleichen.)

Das Resultat: Frustrierte Bürger glauben, ihren Unmut am besten zeigen zu können, indem sie aus reinem Trotz ein Haudrauf-Buch wie den Pirincci kaufen. Und die Gesinnungswächter ergötzen sich daran, dass sie vermeintlich von Anfang an Recht hatten und eine Feindgruppe ihrer Wahl, beispielsweise die gesamte Männerbewegung, aus unzurechnungsfähigen Scharfmachern besteht. Psychologisch alles verständlich. Nur ändern wird sich auf diese Weise nichts.

Gregor Keuschnigs Analyse ist in Gänze lesenswert.

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