Dienstag, Februar 04, 2014

Debatte: Wir müssen die blinden Flecken sehen

Ein Psychologe, der als Feminismuskritiker anonym bleiben möchte, eröffnete vor kurzem hier auf Genderama eine Debatte über die seelischen Ursachen für das Entstehen des radikalfeministischen Hasses auf Männer. Darauf fragte ein anderer Psychologe, der MANNdat-Gründer Dr. Eugen Maus, in seiner Erwiderung "Was können wir mit seiner These anfangen, gesetzt, wir finden sie überhaupt zutreffend?" Darauf gibt der Angesprochene nun eine Antwort:

Gute Frage. Im Gegensatz zu der darin implizierten Vermutung, dass "wir" damit nämlich gar nichts anfangen können, schlage ich vor: Wir können damit eine ganze Menge anfangen. D.h., wir müssen auch bereit sein, einen neuen Anfang zu machen und nicht nur nach Benzin für die laufenden Motoren zu suchen. Mehr noch: Ich sehe darin die notwendige und fehlende Zutat für die nächsten Veränderungen. Eigentlich dachte ich, dies müsste für einen Psychologen am ehesten einleuchtend sein. Andernfalls ist ja jede Psychologie "Quatsch" und "unpraktisch", weil sie uns nicht unmittelbar hilft, unser Spiegelei zu backen und unser Auto zu reparieren. Die angerissene These und Perspektive ist viel mehr als "Psychoanalyse" (Übersetzung in dem Fall: "erdachtes Phantasieprodukt aus geistigem Leerlauf") und es geht auch nicht bloß um "kleine Mädchen". Ich kenne keine Frau, die nicht mal ein kleines Mädchen war und psychisch daraus erwachsen ist. Also, wir reden hier von Frauen an sich. Immerhin.

Klassisches Problem: Der Praktiker will einfach nur wissen, was er als nächstes tun soll und kann. Einfach, effektiv und sofort machbar. Der Stratege schaut sich erstmal genau die Situation, die Vernetzungen und die Ursachen an und legt sich dann eine Strategie zurecht, die vielleicht auf den ersten Blick abwegig erscheint.

Also, inwiefern ist das psychologische Verständnis von Radikalfeminismus und Männerhass für die "Männerarbeit" sinnvoll? ("Was bringt mir das?")

* An erster Stelle, weil es die Perspektive der Mitläufer und Zuschauer verändert, wenn man die Zusammenhänge korrekt benennt. Ein Kind ruft: "Der Kaiser hat ja gar nichts an." und schon ändert sich die Wahrnehmung des ganzen Volkes. Wer glaubt, dass das nur ein Märchen ist, der hat von (Sozial-)Psychologie wirklich keine Ahnung. In der Therapie ist dieses "proper naming" DER entscheidende Faktor für Bewusstsein und dadurch Veränderung. Das ist keine Nebensache.

Empfinden wir nicht alle heutzutage das Schauspiel eines Adolf Hitlers oder anderer Diktatoren als unwürdig und geradezu lächerlich? Wir verstehen nicht mehr, wie man von so einem schreienden Typen fasziniert sein und ihn als Führer bezeichnen kann. Warum? Weil wir für diese Pathologie nicht mehr blind sind. Wir erkennen sie. Aber im Gewand des Feminismus erkennen wir sie noch nicht, deshalb funktioniert auch die Institutionalisierung und Indoktrination so gut. Das geht nur, wenn Menschen nicht SEHEN (sprich: FÜHLEN), was da gesagt und getan wird. Stattdessen werden eigene Motive (Befreiung, Schutz, Sicherheit usw. hineinprojiziert). Solche Menschen mussten die Augen als Kinder zumachen und seitdem sind sie zu. Wir kämpfen also nicht bloß gegen den bösen Feminismus (schön wär’s), sondern gegen eine epidemische Blindheit.

* Zweitens, weil es in der konkreten Konfrontation ein anderes Verständnis und einen anderen Kontext gibt, wodurch neue Möglichkeiten gesehen werden können. Ich spreche aus wiederholter Erfahrung. Allein der Perspektivwechsel eines Ehemannes gegenüber seiner Frau, eines Mitarbeiters gegenüber seiner Chefin oder Kollegin, eines Talk-Show-Teilnehmers gegenüber der Moderatorin usw. gibt ihm eine ganz andere Souveränität und Möglichkeit, mit der Situation umzugehen. Es ist ein Unterschied, ob ich glaube, dass ich jemanden bloß mit guten Argumenten überzeugen muss, oder ob mir klar ist, dass hier Pathologien und irrationale Mechanismen im Spiel sind (sonst hätte man den Nazis doch auch einfach erklären können, dass es keine Lösung ist, einfach nur alle Juden zu töten und Angst und Hass zu säen). Es macht einen Unterschied für mich, ob ich glaube, ich müsse bloß eine neue, gute Lösung vorschlagen oder ob hier ein System krank ist.

* Drittens, weil es unser emotionales Verstehen und damit unseren Bezug zum Thema stärkt. Siehe Gehirnforschung: Erst wenn wir einen persönlichen und emotionalen Bezug zu einem Thema haben, sind wir motiviert, am Ball zu bleiben, und erst wenn dieser Bezug positiv konnotiert ist (z.B. mehr Freiheit, mehr Wohlbefinden, mehr Gerechtigkeit …), können wir die neurophysiologischen Netzwerke aktivieren, die wirklich kreativ und lösungsorientiert sind, statt bloß auf Missstände zu reagieren. Dann können wir FÜR etwas kämpfen statt GEGEN.

* Viertens, weil wir damit unseren Blick wieder auf Menschen und das Menschliche richten statt auf abstrakte Konstrukte (wie "der Feminismus", "der Männerhass" usw.) oder auf Gruppen ("die Feministinnen") oder Prozesse. Dadurch würde sich unsere Art der Diskussion und Lösungssuche völlig verändern. Ich frage mich schon lange, warum wir ständig noch in den Trott verfallen, von Männern und Frauen zu reden, wo wir doch Menschen meinen. Warum? Ich bin für klare Benennung der Missstände, aber auch für eine Ausdrucksweise, die nicht bloß reaktiv ist und die die Einseitigkeiten der Missstände überwindet. Allein der naive Satz "Gerechtigkeit zwischen Männern und Frauen" basiert auf einer impliziten Trennung. Warum nicht einfach "Gerechtigkeit für alle Menschen"? Man überprüfe stets seine Annahmen und seine eigene Ausgangsbasis. Wir ernten, was wir sähen, auch wenn wir blind sind.

Mal konkreter: Würde es nicht unsere Ansichten und Vorgehensweise ändern, wenn wir entdecken müssen, dass es sich hier um ein Phänomen pervertierter (unterdrückter) Sexualität handelt? Dass es nicht um Gender, sondern um Sex und sexuelle Bedürfnisse geht? Dass wir es hier mit einer der stärksten Kräfte im Menschen zu tun haben, die alles andere mit Leichtigkeit wegfegt und dominiert? Ich denke schon.

* Fünftens, weil wir aufhören können, gegen Windmühlen zu kämpfen (und uns dabei als Helden zu fühlen) und stattdessen unseren Blick und unsere Energie auf das richten können, was wir wollen, statt was wir nicht wollen. Wir wollen: gesunde Menschen (Frauen wie Männer), die nicht unterdrückt werden und nicht andere unterdrücken müssen. Wir wollen Menschen, die fähig sind, Ungerechtigkeit, Gewalt und Hass als das zu erkennen, was sie sind. Wir wollen, dass Menschen ihre menschlichen Bedürfnisse wahrnehmen und erfüllen können. Wir wollen einen Kontext schaffen, in dem freie Entfaltung möglich ist. Dafür brauchen wir Menschen, die schon gesund genug sind, um es aufzubauen (und in Institutionen zu bringen). Dafür brauchen wir Möglichkeiten der Heilung und Gesundwerdung. Dafür brauchen Information und Orientierung. Dafür brauchen wir Einfühlung und richtiges, gesundes Denken.

* Sechstens, weil es uns Kraft gibt. Wenn ich es schaffe, z.B. eine Alice Schwarzer tatsächlich als verwundeten Menschen wahrzunehmen (nicht bloß zu denken, sondern wirklich diese empathische Wahrnehmung zu haben, wie ein gesundes Kind sie hätte), dann werde ich mich weniger ausgeliefert und vor allem weniger entwürdigt fühlen, als wenn ich in ihr eine übergroße, starke politische Kraft sehe. Das Thema Würde spielt hier eine herausragende Rolle. Wie schon gesagt: Wenn ich einen Hitler als krank erkennen kann, kann ich zwar von seinem System und Anhängern bedroht werden, ich werde aber nicht in meiner Würde als Mensch bedroht. Für uns hier: Wenn ich schon mal erkennen und fühlen kann, dass es sich um eine institutionalisierte Krankheit (nicht abwertend gemeint) handelt, werde ich zwar nicht sofort Gerechtigkeit herstellen können, ich werde aber erkennen, dass ich hier gegen sehr viel Größeres und Tieferes antrete als nur einen dummen Denkfehler einiger Entscheider (so kommt mit manchmal die Debatte vor). Letzteres würde mich zur Verzweiflung bringen, weil die entsprechenden Lösungen nie funktionieren. Ersteres gibt mir den größeren Maßstab, vielleicht sogar Sinn und Bedeutung in der Suche nach HEILUNG, statt nach Waffen.

* Siebtens, weil es den Männern hilft, sich selbst zu klären. Wird nicht immer wieder bejammert, dass kaum Männer merken, was da mit ihnen gespielt wird? Wie unterdrückt und abgestumpft muss die Wahrnehmung der Männer sein, wenn sie nicht mehr bemerken KÖNNEN, dass sie ausgebeutet und abgewertet werden? Dass sie zum minderwertigen Funktionsträger degradiert werden? Da müssen erst mal die Wahrnehmungsfähigkeit und der Selbstrespekt gestärkt werden. Sonst haben wir gar keinen festen Boden für unseren Kampf unter den Füßen. Ich kenne viele Männer, die innerpsychisch immer noch als kleiner Junge ihrer Mutter gegenüberstehen, sobald sie eine Frau vor sich haben. Wenn die dann kämpfen, dann kämpfen sie als dieser wütende Junge gegen eine unüberwindbare Übermacht. Das führt nicht zur Emanzipation, zum Erwachsenwerden. Ein erwachsener Mann hat eine viel größere Palette an Werkzeugen und Reaktionsmöglichkeiten auf Zickenkrieg und Domina-Gehabe. Aber das wichtigste ist: Er erkennt Manipulation, Lüge und Double Bind auf 500 Meter Abstand und wird sich nicht missbrauchen lassen. Wie konnten die Männer Jahrzehnte lang nur glauben, sie müssten den Feministinnen doch nur erklären, was besser wäre und wie die Fakten wirklich liegen? Oder noch schlimmer: mitmachen und sich anpassen? Doch nur, weil sie nicht wahrnehmen konnten, wer sich da warum so aufspielt. Denn es war nur eine gewohnte Wiederholung dessen, was sie schon kannten. Vergessen wir nicht: Die Mütter der Feministinnen und frustrierten Frauen sind auch die Mütter der Männer.

Fassen wir zusammen: Auch die Zweifler werden sicherlich zugeben, dass es den Männerrechtlern darum geht, in den Köpfen der Menschen etwas zu verändern. Das dürfte der wirksamste Hebel der Veränderung sein. Ich möchte hinzufügen: Es geht dann auch darum, etwas in den Herzen der Menschen zu verändern. Und dafür müssen wir in unseren Köpfen und Herzen anfangen. Wem das zu blumig oder zu passiv klingt, der möge es mal probieren. Dafür benötigen wir bereits ein sehr scharfes Schwert.

Ich halte mich da an das Sufi-Sprichwort: "Es ist besser, einen Mann mit Liebe zu fesseln, als tausend Sklaven zu entlassen."

Die Entweder-oder-Frage: "Wollen wir … den individualpsychologischen Mechanismus erforschen …? Oder wollen wir … die Auswüchse des Staatsfeminismus … bekämpfen?" zeigt einen Denkfehler: zu glauben, dass sich diese beiden Unternehmungen widersprechen würden. Ich hoffe, dass ich mit meinen oben genannten Punkten zumindest eine Idee davon geben konnte, dass diese Trennung Humbug ist und in eine aktionistische Sackgasse führen kann. Meine Antwort: Ja, lassen Sie uns für bessere Zustände (!) und unsere Werte einstehen und kämpfen UND lassen Sie uns dafür sehr genau hinschauen, um die Mechanismen zu verstehen, denen wir ausgesetzt sind und entgegentreten. Das halte ich für intelligent.

Zum Glück ist diese Bewegung schon im Gange und wir können sie einfach unterstützen. Die Frauen und Mädchen, die jetzt jünger als 25 sind, haben andere Geschichten und andere persönliche Themen, mit denen sie sich im Feminismus nicht mehr wiedererkennen können. Sie können damit weniger anfangen und finden ihn zunehmend störend.

Um schon mal einen ganz konkreten Ausblick zu geben: Ich sehe die wichtigste Keimzelle der Veränderung dort, wo Menschen sich persönlich (in Gruppen) treffen und die notwendige Gesundheit in sich entwickeln und reifen lassen. Zum Beispiel Männergruppen oder Frauengruppen mit diesem Ziel. Diese Bewegungen sind nämlich im Kontakt mit den tieferen, emotionalen Strömungen, die das Schiff schaukeln, und senden die Veränderungssignale permanent in ihre Umgebung aus und zwar auf einer Frequenz, die nicht leicht zu brechen ist.

Ich hatte erwartet, vertiefende Kommentare, Nachfragen oder schlichtes Abnicken zu ernten. Ich hätte eher gedacht, dass meine Thesen den meisten schon so vertraut sind, dass darin kein neues Potenzial steckt. Das scheint anders zu sein. Im nächsten Schritt könnte man konkreter ableiten, welche Arbeit und welche Aufgaben sich daraus ergeben. Vielleicht ist das dann auch neu?


Ich würde mich freuen, wenn ich mit einer Veröffentlichung dieser Beiträge auf Genderama zu einer Diskussion anstoßen konnte. Wer mit meinem Gastautor in direkten Kontakt treten und sich näher austauschen möchte, kann das über seine Mailadresse Frederik.Feinhardt@gmx.de tun. (Offenkundig handelt es sich um ein Pseudonym.)

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