Leserbrief eines Transsexuellen: "Deshalb bin ich Maskulist"
Dr. Walter Greiner schreibt mir:
Hallo Arne,
Erst mal ein Kompliment für Dein Blog und Dank für die viele, gute Arbeit für Männer!
In Baden-Württemberg läuft derzeit eine Petition gegen den dort von der grünroten Regierung initiierten "Bildungsplan", mit dem wohl vorwiegend unter dem Deckmantel des Minderheitenschutzes feministische Ideologie in den Lehrplänen verankert werden soll - und zwar nicht nur in einem speziellen Sexualkunde-Unterricht, sondern erklärtermaßen mittelfristig in allen (!) Unterrichtsfächern: so ähnlich, wie ja schon an den Universitäten allmählich alle Fächer mit den wissenschaftsfeindlichen Gender-Studies ideologisch verseucht werden.
Männerpolitisch ist das insofern besonders interessant, weil man die Petition erstmals auch als einen Hilferuf eines breiteren Bevölkerungsanteils gegen die selbstgewählte Regierung verstehen kann - gegen alle Pressehetze, die natürlich mal wieder extrem einseitig gegen die Petition polemisiert. Freilich nutzen leider auch stockreaktionäre und/oder homophobe Trittbrettfahrer die Gelegenheit zur Selbstdarstellung, obwohl der Text der Petition sowas nicht hergibt; das lässt sich bei dieser Fragestellung wohl nicht vermeiden.
Zwei eigene Diskussionsbeiträge von mir (jeweils mühsam in die vorgegebenen 500 Zeichen gequetscht):
"Ich bin selbst transsexuell und neige von daher eigentlich eher der Seite "homo/lesbisch/transgender" zu. Was aber derzeit in BW geplant ist, hat kaum noch mit seriösem Minderheitenschutz zu tun - dafür umso mehr mit ideologischer Indoktrination bereits im Kindesalter. Der anti-aufklärerische, im Wortsinn totalitäre Geist dieses staatlichen Übergriffs auf unsere Kinder zeigt sich in Inhalt und Methode, und nicht zuletzt auch in der völligen Ignoranz gegenüber anderen Minderheiten, die sich nicht so gut vor den linksfeministischen Ideologie-Karren spannen lassen - siehe mein zweites Posting."
"Ich bin selbst transsexuell und rot/grün-blind (Deuter-Anomalie, ca.10% der männlichen Bevölkerung). Als Transsexueller staune ich seit Jahr und Tag, wer in der Politik so alles meine angeblichen Interessen "vertritt" - und mit welch zunehmend grotesken Argumenten und Methoden. Für die schulisch mindestens ebenso relevante, rotgün-blinde Minderheit interessiert sich dagegen nach wie vor keine Sau. Liegt's an den Farben - RotGrün? Oder daran, dass die Betroffenen 10:1 männlich sind? Jedenfalls lassen sich Deuter-Anomale nicht so gut vor den Karren einer gewissen Ideologie spannen."
Wie Du siehst, stecke ich als Transsexueller persönlich mitten in dem Streit drin. Eine grundlegendere - und somit sehr viel längere - persönliche Stellungnahme zu dem Verhältnis Männerpolitik/Transgender habe ich im Dezember in Alles Evolution" gepostet, passend zu der gerade aufgetauchten Frage des Verhältnisses zu Homosexuellen (letzter Beitrag ganz unten; da es der dreihundertnochwasigste Beitrag war und dazu auch noch ziemlich ausführlich, wurde er wohl kaum gelesen).
Dr. Walter Greiner hat mir freundlicherweise freigestellt, auch diesen Kommentar auf Genderama zu zitieren, was ich gerne tue:
Jetzt muss ich hier als unmittelbar Betroffener (ich bin transsexuell veranlagt) doch auch mal meine 5 Cent beitragen – nachdem die Diskussion inzwischen bis zur institutionellen Intelligenz/Nichtintelligenz von Rechten oder Linken abgeschweift ist (dass die stramm Konservativen, die sich offenherzig dazu BEKENNEN, minder intelligent sind, wundert mich übrigens nicht: angesichts der gehässigen Angriffe, denen man sich heutzutage mit so einem Bekenntnis aussetzt).
Für uns direkt Betroffene sind all die gelehrten Theorien zwar interessant, aber dann doch meistens viel zu theoretisch und verstiegen: es könnte, es dürfte, es müsste so oder andersrum sein … Rein praktisch macht unsereins bereits in der Kindheit die Erfahrung, dass “irgendwas nicht stimmt”. Was es ist, wird einem dann erst viel später klar. Spätestens in der Pubertät wächst der Leidensdruck unter einer – hier der angeborenen Emotionalität zuwiderlaufenden – geschlechtsnormierenden Erziehung und Sozialisierung so sehr an, dass existenzielle Lebenskrisen die Folge sind. Transsexuelle haben ein extrem hohes Suizidrisiko – vor dem "Outing" noch sehr viel höher als danach, obwohl der öffentliche Rollenwechsel das Leben ja nun alles andere als einfacher macht …
Woher kommt’s nun also? Ich reime mir das – nach jahrelanger Psychotherapie und danach jahrzehntelangem, inzwischen gut bewährtem Kompromiss-Leben zwischen den Geschlechtern – folgendermaßen zusammen: Männer und Frauen haben nicht nur unterschiedliche Gehirne, sondern vor allem unterschiedliche, angeborene Emotionen. Wobei unsere Emotionen generell sehr viel artspezifischer und komplexer sind, als wir es ihnen üblicherweise zutrauen. Da unsere emotionalen Gehirnfunktionen von den rationalen Großhirnfunktionen samt Sprachfähigkeit überlagert werden, haben wir große Schwierigkeiten, uns verbal über Emotionen zu verständigen. Auf äußere Gegenstände können wir zeigen und uns auf Wörter dafür einigen; Emotionen von anderen Menschen kriegen wir dagegen immer nur indirekt mit, gefiltert durch ein häufig sogar genau gegensätzliches, rational gesteuertes Verhalten. Wir können nur VERMUTEN, dass bestimmte Verhaltensweisen einer anderen Person auf ähnlichen Emotionen beruhen könnte, die wir selber haben, wenn wir uns ähnlich verhalten. So kommt es, dass wir für unsere in Wirklichkeit hoch differenzierten Emotionen nur etwa zwei Dutzend Grundbegriffe wie "Angst", "Freude", "Trauer", "Wut", "Liebe" oder "Eifersucht" entwickeln konnten – und so kommt es dann auch, dass wir die Komplexität und Differenziertheit unserer menschlichen Emotionalität aus der sprachgesteuerten Ratio heraus dramatisch unterschätzen. Ein bisschen eine Vorstellung von der Sache bekommt man vielleicht, wenn man sich mal klar macht, dass sämtliche belletristische Literatur, Musik und bildende Kunst auf immens vielfältige Weise unsere Emotionen anspricht: das kann man unmöglich auf diese zwei Dutzend "primitive Triebe" reduzieren, mit denen wir üblicherweise unsere Emotionalität assozieren.
Zurück zum Thema; der kleine Exkurs war zum Verständnis des Folgenden nötig. Männer und Frauen haben also geschlechtsspezifisch unterschiedliche, angeborene – vielleicht teils auch geprägte, so genau wissen wir das nicht – Emotionen, die jedenfalls weder Erziehungsversuchen in der Kindheit noch einer Therapie im Erwachsenenalter zugänglich sind. Man kann sie allenfalls noch etwas mehr in den Hintergrund drängen, ändern lassen sie sich als motivierender Hintergrund für unsere Handlungen genauso wenig, wie man einen strikt homosexuellen Mann durch Erziehung oder Therapie dazu bringen kann, Frauen sexy zu finden.
Nun sind diese Emotionen zwischen Männern und Frauen selbstverständlich nicht völlig verschieden; die allermeisten “typisch weiblichen” Emotionen kennen auch Männner – und umgekehrt. Das ist so ähnlich wie mit allen anderen, sekundären Geschlechtsunterschieden auch: Es gibt jede Menge Frauen, die größer sind und eine tiefere Stimme haben als viele Männer, und es gibt jede Menge Männer, die mehr Busen haben als viele Frauen. Trotzdem sind diese bereichs-überschneidenden Unterschiede im Alltagsleben sehr wohl geschlechtsrelevant: an ihrer Summe identifizieren wir tagtäglich unsere Mitmenschen als "männlich" oder "weiblich". Und wo das nicht auf Anhieb klappt, sind wir erst mal SEHR verunsichert: diese Unterscheidung scheint uns wichtig zu sein…
Unterschiedliche Emotionen haben Männer und Frauen vermutlich nicht erst seit gestern, sondern seit Millionen von Jahren. Gerade der Mensch hat schon rein körperlich mehr (sekundäre) Geschlechtsunterschiede als jedes andere hochentwickelte Säugetier: andere Größe, andere Haut, andere Sinnesorgane, andere Stimme, anderer Behaarungstyp, andere Fettverteilung … So etwas entwickelt sich nicht zufällig; es entsteht dann, wenn die Auslesebedingungen für die Geschlechter in einem besonders hohen Ausmaß unterschiedlich sind, was also beim Menschen offensichtlich über sehr lange Zeit hinweg der Fall war. Wo schon der ganze Körper von Männern und Frauen so offensichtlich unterschiedlichen Auslesebedingungen ausgesetzt war, wäre es nun aber völlig grotesk anzunehmen, dass ausgerechnet das Gehirn – der Körperteil also, der sich im fraglichen Evolutionsabschnitt am drastischsten weiterentwickelt hat – bei Männern und Frauen trotz unterschiedlicher Auslesebedingungen völlig identisch weiterentwickelt haben sollte. Getoppt wird dieser Unsinn nur noch von der axiomatischen Behauptung der Gender-"Wissenschaft", dass sich selbst die bereits bei unseren tierischen Vorfahren nachweisbaren Geschlechtsunterschiede in Gehirn und angeborenen Verhaltenstendenzen beim Menschen in der fraglichen Zeit auch noch völlig verschliffen hätten. Wie das gegen jede Logik möglich sein sollte, hat mir noch niemand erklären können – es wird in dieser sogenannten Wissenschaft immer nur vorausgesetzt, nie erklärt.
Zurück also zu der geschlechtsspezifischen Emotionalität. Die Menschheit hat im Lauf der letzten Jahrtausende die unterschiedlichsten Kulturen entwickelt, in denen sich auch die Geschlechtsrollenzuweisungen immer wieder geändert haben. Aber eines war ausnahmslos allen diesen Kulturen gemeinsam: dass sie zwischen männlichen und weiblichen Geschlechtsrollen strikt und deutlich über den gesamten Alltag hinweg unterschieden haben. M.E. ist das nur dadurch erklärbar, dass die Kulturen mit diesen Rollenzuschreibungen der unterschiedlichen Emotionalität der Geschlechter Rechnung getragen haben. Es ist also gerade NICHT so, wie es die Gender-”Wissenschaft” als Glaubenssatz vor sich her trägt: nicht die "Gesellschaft" (wer wäre denn das, wenn nicht Männer und Frauen?) hat Männer und Frauen zu dem gemacht, was sie sind, und schon gar nicht patriarchalisch-hierarchisch – sondern Männer und Frauen haben mit ihren jeweils spezifischen Befindlichkeiten, Emotionen und Motivationen die Gesellschaft samt ihren Rollenbildern geprägt. Unsere kulturell gewachsenen Geschlechtsrollenbilder sind nicht Ausdruck hierarchischer Unterdrückung und Verbildung, sondern ganz im Gegenteil originärer Lebensausdruck der authentisch darin lebenden Personen.
Und was ist nun mit uns "Anderen" – mit den Transsexuellen? Auch wir haben unsere angeborene (oder geprägte – jedenfalls nicht mehr änderbare), geschlechtspezifische Emotionalität – freilich mit dem Pech, dass die bei uns nicht mit dem äusserlich sichtbaren und chromosomalen Geschlecht übereinstimmt. Wie schon eingangs erwähnt, sind aber Gefühle gerade beim Menschen weit weniger offensichtlich als etwa bei einem Hund oder einer Katze. Wir werden also bei der Geburt anhand unserer äußerlich sichtbaren Geschlechtsmerkmale identifiziert und fortan in der in unserem Spezialfall nur angeblich "dazu passenden", in Wirklichkeit aber genau falschen Rolle erzogen und sozialisiert. So viel respektvolle Sensibilität für ihr Kind haben leider die wenigsten Eltern transsexueller Kinder, dass sie schon frühzeitig kapieren würden, was da schief läuft.
Man wird als Transsexueller von Kind auf in die falsche – nämlich auf die zum anderen, emotionalen (!) Geschlecht passende – Rolle hineingezwungen. Und zwar keineswegs nur von den Eltern, sondern noch viel mehr von Kindergarten und Schulsystem und am allermeisten schließlich von den Altersgenossen, die bei ihrer eigenen Rollenfindung in die typischen, pubertären Übertreibungen verfallen, bei denen man dann als Transsexueller schon gleich gar nicht mehr mit kann.
Individuell erlebt man das in dieser Phase noch nicht als Transsexualität, sondern ganz unspezifisch als Unfreiheit und persönliches Versagen. Man darf dieses nicht, was man so gerne möchte, und man kann jenes ums Verrecken einfach nicht, was jedermann von einem erwartet – nur weil man ein bestimmtes Geschlecht in der Geburtsurkunde stehen hat. Klar: Bis zu einem gewissen Grad kann man das alles lernen und sich anpassen. Aber wo einem die ganze Gechlechtsrolle emotional so "gegen den Strich geht" wie einem Transsexuellen die ihm zugewiesene Rolle, da sind massive, psychische Schäden vorprogrammiert. So sehr gegen die eigene Natur zu leben, schafft man auf Dauer einfach nicht.
Das Hinterhältige ist dabei, dass wir ja zunächst gar keine Chance haben, unsere Rolle angemessen zu hinterfragen. Man weist uns bei der Geburt das Geschlecht "Junge" zu – und wenn wir an uns runtergucken und uns mit anderen Jungs und Mädchen vergleichen, müssen wir das logischerweise bestätigen. Dass "Geschlecht" nicht bloß "mit oder ohne Schwanz" bedeutet, sondern viele Aspekte hat – darunter gerade für uns Transsexuelle letztlich sogar wichtigere als das zwischen den Beinen – das ist ein langer, komplizierter, emanzipativer Erkenntnisprozess. Manche Transsexuelle haben Glück und eine sensible, verständnisvolle Umgebung und können dadurch diesen Schritt in ein bewusstes, selbstbestimmtes Leben schon in sehr jungen Jahren vollziehen. Andere leiden ihr Leben lang wie ein Stück Vieh und sterben schließlich an Suizid oder an der Flucht in stoffliche Abhängigkeiten, ohne jemals kapiert zu haben, was mit ihnen "nicht stimmt".
Und die Feministinnen, die sich immer so stolz ihr Engagement gerade auch für uns Transsexuelle zugute halten? Bleibt mir bloß mit denen vom Leib … Von denen werden wir als Gallionsfigur für eine geschlechtliche Willkür und Beliebigkeit missbraucht, für die doch gerade wir Transsexuelle der lebende Gegenbeweis sind. Denn genauso wie alle Männer und Frauen – aber ganz anders, als Feministinnen glauben – sind wir geschlechtlich schon von klein auf das, was wir sind: originär, im Kern nicht veränderbar durch jegliche Erziehungs- und Therapieversuche. Gerade bei uns Transsexuellen wird das noch deutlicher als anderswo, man muss nur mal hingucken. Aber die durchschnittliche Feministin guckt halt nicht, die denkt nur immer im Kreis – manche in einem kleineren als so manche Stubenfliege. Gott schütze mich vor solchen Beschützerinnen!
Ich habe mich aus praktischen Gründen trotz allem für ein offizielles (Berufs-)Leben im männlichen Geschlecht entschieden: nicht etwa, weil’s mir so gut ginge, sondern weil’s mir als für jedermann erkennbare "Transe" in meinem Beruf NOCH schlechter ginge. Privat kann ich Gottseidank (nein – eigentlich mehr dank meiner sehr verständnisvollen, zweiten Ehefrau) so weit meine weibliche Seite leben, dass der Balanceakt insgesamt noch erträglich bleibt. Es ist definitiv NICHT lustig, im Zeitalter des Staatsfeminismus auch nur Teilzeit als Mann leben zu müssen. Für jemanden, der seelisch/emotional noch nicht mal ein Mann ist, ist das dreimal nicht lustig. Deshalb bin ich Maskulist. "Waaas – als Mann-zu-Frau-Transsexuelle MUSST du doch Feministin sein?!?!" Nein, muss ich nicht.
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