Pädophiliedebatte als Umbruch: Das Bild der grünen "Bessermenschen" ist zerstört
Die Grünen sehen sich als die besseren Menschen. Sie stehen auf der Seite der Opfer, sie schützen die Frauen, die Kinder, die Ausländer, die bedrohten Lurche und die ausgebeutete Natur. Und nun werden sie plötzlich mit Kinderschändern in Verbindung gebracht. Dies sei eine "Schmutzkampagne" der Union, schimpft Trittin, und man kann seine Empörung sogar ein wenig verstehen. Die Grünen hatten von den Medien bisher nicht viel zu befürchten gehabt. Die Kindersex-Vergangenheit und andere Leichen im Keller der Partei – wie die Sympathien vieler prominenter Gründerfiguren für Terror, Stadtguerilla und stalinistische Massenmörder – waren ein offenes Geheimnis. Dass darüber kaum geschrieben wurde, hat damit zu tun, dass die meisten Journalisten mit Rot-Grün sympathisieren. Und wer es trotzdem wagte, diese Geschichten auszugraben, wurde wie die Publizistin Bettina Röhl als psychisch und charakterlich angeschlagene Person abqualifiziert. Die Tochter von Ulrike Meinhof hatte Joschka Fischers Zeit als rabiater Frankfurter Politschläger enthüllt und schon vor zwölf Jahren auf Cohn-Bendits sexualpädagogischen Abirrungen aufmerksam gemacht.
So berichtet die Basler Zeitung über eine Debatte, die eigentlich längst überfällig ist, aus Sicht der Grünen aber zur Unzeit über sie hereinbricht: Ausgerechnet unmittelbar vor der Bundestagswahl bekommen sie, die sonst so gerne auf Moralkeule, Pranger und Empörung setzen, ihre eigene Medizin zu schmecken: Beck wollte Sex mit 12jährigen straffrei machen titelt die "Welt". Volker Beck hat seine Glaubwürdigkeit verspielt findet inzwischen sogar die "taz", schmollende Abonnenten hin oder her. Auch auf regionaler Ebene gibt es immer neue Enthüllungen. So berichten die Westfälischen Nachrichten:
Die Pädophilie-Debatte hat Münsters Grüne jetzt mit voller Wucht getroffen. Die Partei räumte am Donnerstag ein, im Kommunalwahlprogramm 1984 eine Legalisierung einvernehmlicher sexueller Handlungen zwischen Erwachsenen und Minderjährigen gefordert zu haben.
Der politische Gegner reagiert in verständlichem Triumph darauf, das mediale Schweigetabu über die Leichen im grünen Keller endlich durchbrochen zu haben. So berichtet das Handelsblatt, wie sich Volker Beck inzwischen von Erika Steinbach, für die Grüne regelmäßig nur Verachtung übrig hatten, jetzt herunterputzen lassen muss:
Die CDU-Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach legte Beck den Rückzug nahe. Beck habe den Bundestag "auf meine Fragen hin mehrfach glatt belogen". Als menschenrechtspolitischer Sprecher seiner Fraktion habe er sich daher "disqualifiziert", schreibt Steinbach bei Twitter. Auch die Junge Union reagierte über den Kurznachrichtendienst: "Wer die Morallatte so hoch legt wie @Volker_Beck, kann am Ende drunter herspazieren", schreibt der CDU-Nachwuchs.
Empörung auch bei der FDP: "Jetzt ist Euer bigotter Volker Beck aber wirklich dran", schreibt der liberale Bundestagsabgeordnete Hans-Joachim Otto bei Facebook. Er müsse "sofort seine Kandidatur zurückziehen und sich für seine Lüge und vor allem für seine instinktlose Forderung nach straffreiem Missbrauch von Kindern öffentlich entschuldigen". Rückendeckung für Beck kommt hingegen von den Berliner Grünen.
Immer wieder thematisieren Artikel die Kluft zwischen der grünen Selbstinszenierung als moralisch höherstehenden Menschen, die andere vom hohen Ross herab niedermachen, und der schnöden Wirklichkeit. Ebenfalls im Handelsblatt kommentiert Wolfram Weimer:
Es wird – so kündigen die Historiker bereits an – nach der Wahl weitere, erschütternde Enthüllungen aus der pädophilen Verstrickung geben. Über kurz oder lang werden die Grünen eine menschlichere, eine andere Haltung und Sprache zu den Vorgängen finden müssen. Denn der Skandal droht nicht nur die Karriere Trittins zu beenden, er könnte zur "Kernschmelze" (FAZ) oder zum "Desaster" (Spiegel) der Grünen als Bewegung werden. Er untergräbt nämlich genau das, worauf bei dieser Partei so viel gebaut ist: eine demonstrative Moral.
Vor diesem Hintergrund gelangt der FOCUS zu dem Urteil:
Das wird das Image der Grünen verändern. Denn sie haben sich als Besser-Partei überholt. So, wie die SPD sich in ihrem Kampf für Arbeitnehmerrechte in Teilen zu Tode gesiegt hat, ist die grüne Partei mit ihrem Umbau der Gesellschaft fertig. Schon die wachsende Ablehnung der grünen Ver- und Gebote, von denen der Veggie-Day nur der letzte Tropfen war, der das Fass zum Überlaufen brachte, zeugt davon, dass die Menschen es leid sind, an die Stelle der alten Tabus neue gesetzt zu bekommen. Die Grünen haben als gesellschaftliche Erneuerer ausgedient.
Bis diese Einsicht auch in den Köpfen der Grünen ankommt, dürfte es geraume Zeit dauern. Bei ihnen herrsche, so berichteten in den letzten Tagen mehrere Zeitungen, "Ratlosigkeit, Lähmung, Furcht vor der Debatte". Lucas Schoppe kommentiert:
Unverzeihlich (..) ist vor allem, dass mit dem grünen Selbstverständnis der Gedanke nicht vereinbar ist, es könne Opfer der eigenen Politik geben. Eine pragmatisch agierende und moralisch weniger hochgestimmte Partei hätte angesichts des Pädophilie-Skandals schon längst eine Anlaufstelle für Opfer eingerichtet – allein schon, um zu erfahren, ob und inwieweit ihre Politik denn eigentlich Opfer produziert hat. Die Grünen aber wirken erstarrt in moralisierendem Größenwahn, der unvermittelt schwankt zwischen dem standesgemäßen Versprechen der rückhaltlosen Aufarbeitung und der herrischen Forderung, dass es doch jetzt endlich einmal gut sein müsse mit diesem Skandälchen.
Das Problem der Grünen ist also nicht, dass sie eine Partei sind wie alle anderen. Ihr Problem ist, dass sie das nicht anerkennen können.
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