Samstag, Mai 11, 2013

Hin zu einer maskulistischen Filmkritik: "Girls Against Boys"

Der Film "Girls Against Boys", der auf dem Sundance-Filmfestival 2012 vorgestellt wurde, wird als "mutiger Psychothriller über zwei junge Frauen aus Manhattan" beworben, die "gender empowerment" suchen, "indem sie alle Männer umbringen, die ihren Weg kreuzen" – eine Vorstellung, die aktuell ja mal wieder sehr im Trend liegt. Einen Trailer mit allen wesentlichen Schlüsselszenen des Films findet man hier. (Witzigerweise ist im letztgezeigten Ausschnitt des Trailers ein Poster mit der Aufschrift "Alice" zu sehen, auch wenn ich kaum annehme dass die Filmemacher damit auf Deutschlands bekannteste Radikalfeministin anspielen wollen.) In den folgenden Absätzen erzähle ich die Handlung dieses Films kurz nach.

Die Studentin Shae lernt in einem Seminar der Genderstudien ihre Kommilitonin Lu kennen. Kurz darauf wird Shae von ihrem verheirateten Lover verlassen, der sich stattdessen nur noch seiner Familie widmen möchte. Lu lädt Shae ein, mit ihr Nachts durch diverse Clubs zu ziehen, um sie wieder aufzubauen. Die beiden machen einige Männer scharf, im Gegensatz zu Lu ist Shae aber nicht zu Sex mit ihrem Verehrer bereit, der sie daraufhin vergewaltigt. Shae will sich bei ihrem Ex-Lover ausweinen, der möchte sie aber nicht mehr in seinem Leben haben, was zu einer tätlichen Auseinandersetzung führt. Als Shae dies bei der Polizei zur Anzeige bringen will, erhält sie dort die aus Sicht der Filmemacher offenbar übliche Reaktion: Der Beamte teilt ihr mit, dass sie doch ganz in Ordnung aussehe, und gibt sich auch sonst extrem desinteressiert (eine Szene, die vermutlich nicht zufällig an Adrienne Rich's Gedicht Rape erinnert). Lu erkennt, dass Shae das alles vollkommen falsch anfängt, und verführt den Beamten zu wilden Sexspielen, bei denen sie ihn fesselt und, als er hilflos ist, schließlich erschießt. Das wird der Auftakt zu einer Tour der beiden, bei der sie alle Männer umbringen, die ihnen schon immer auf die Eierstöcke gegangen sind (und ein paar andere, weil es Lu so großen Spaß macht). Einer der Männer wird von den Frauen gefesselt, woraufhin sie ihm die Füße absägen. Er fleht seine Peinigerinnen an, gehengelassen zu werden, was ihm die Frauen scheinbar gewähren. Als er feststellt, dass es sich ohne Füße schwer gehen lässt, gibt ihm Lu den Gnadenschuss.

Irgendwann hat Shae von dem Gemetzel genug, trennt sich von Lu und besucht wieder ihr Genderseminar. Dort lernt sie einen jungen Kommilitonen kennen, der dem Modell der hegemonialen Männlichkeit fern ist; die beiden werden ein Paar. Diese Partnerschaft endet allerdings aprupt, als der junge Mann von der eifersüchtigen Lu ebenfalls umgebracht wird. Daraufhin kommt es zur Konfrontation zwischen Shae und Lu, die damit endet, dass Shae Lu tötet. Damit scheint sie ihre schwierige Phase endgültig hinter sich zu lassen. Als sie das nächste Mal durch die Clubs zieht, begegnet ihr allerdings auf derselben Treppe, auf der sie ihr erstes längeres Gespräch mit Lu hatte, eine andere junge Frau, die gerade das Opfer eines sexuellen Übergriffs geworden war ...

Wenn Sie diesen Film nun spontan als "ekelhafter Schwachsinn" abwerten würden, würde dies nur beweisen, dass Sie einer dieser radikalen Maskulisten sind, von denen man in letzter Zeit immer wieder lesen muss. Wie wir in den vergangenen Tagen aus dem Valerie-Solanas-Fanblock lernen durften, stellt auch "Girls Against Boys" in Wahrheit wohl eine exzellente Satire auf die wahren Verhältnisse dar und sollte ins Pflichtprogramm der Genderstudien aufgenommen werden. Und wie das Beispiel Femen zeigt, ist die Inszenierung der Verstümmelung von Männern aus Sicht bekannter feministischer Journalistinnen auch alles andere als ein Grund, sich von solchen Leuten zu distanzieren.

"Girls Against Boys" bedient mehrere Topoi, die in männerfeindlichen Filmen (und anderen Medienerzeugnissen) besonders beliebt sind, darunter All Men Are Perverts, wobei die einzige Ausnahme, Shaes späterer Partner, einer Abwandlung von All the Good Men Are Gay zum Opfer fällt: der einzige gute Mann, also der Mann, der überleben darf, ist derjenige, der ein Seminar der Genderstudien besucht. (Ich behaupte ja, dass im Unterbewusstsein jener Gendermänner, die auf die Männerrechtsbewegung einprügeln, genau jene Angst eine Rolle spielt, von Frauen andernfalls vernichtet zu werden.) Zwei weitere Topoi, die wir auch aus anderen feministischen Rachefilmen wie Thelma & Louise sowie Baise-Moi kennen, lauten "Vergewaltigung verdient Lynchjustiz" sowie "Die unschuldige Femme findet ihre Freiheit, indem sie von der herberen Butch zur Rache verführt wird". Die Botschaft lautet: Männer sind doch sowieso Müll, Baby, wage lieber den wilden Ritt mit mir!

Natürlich gibt es auch Beispiele aus dem Genre des feministischen Rachefilms, in denen sich die meisten der skizzierten Topoi nicht finden, beispielsweise Die Frau mit der 45er Magnum, Hard Candy und I Spit on your Grave. Und "Girls Against Boys" enthält im Vergleich zu Vorgängerfilmen auch Brüche, etwa als eine der beiden Hauptfiguren erkennen muss, dass die mörderische Aggression gegen das männliche Geschlecht auch Männer treffen kann, die man liebt. Daraufhin scheint sie sich einen Augenblick von ihrer bisherigen Führungsfigur zu emanzipieren und etwas ausüben, was Alice Schwarzer wohl als "bei vielen Frauen leider allzu beliebten Muttermord" bezeichnen würde, nur um zuletzt aber doch noch in Lus Fußstapfen zu landen, wie es die Schlussszene des Filmes andeutet. Auch den jungen Feministinnen in Deutschland, die sich eigentlich von Schwarzer emanzipieren wollten, wurden von dieser im Rahmen eines für eine "Emma"-Ausgabe inszenierten Treffens doch wieder heim ins Reich geholt.

Dem unbenommen wird in "Girls Against Boys" die feministische Rachephantasie zumindest ansatzweise problematisiert, was eine Weiterentwicklung etwa zu "Baise-mois" darstellt, einem Film, in dem ebenfalls zwei Frauen massenweise Männer ermordend durch die Lande ziehen. Dieser Trip mündet schließlich in ein sadistisches Massaker in einem Swingerclub sowie einen Banküberfall, bei dem die jüngere der beiden Frauen erschossen wird (von den fiesen Männern natürlich). Während man schon "Thelma & Louise"dafür kritisiert hatte, dass er weibliche Gewalt als positive Reaktion auf eine fast durchgehend bösartig gezeichnete Männerwelt propagierte, wobei sich die Frauen auch an Männern rächten, die mit den eigentlichen Tätern nur das Geschlecht gemeinsam hatten, hielt man "Baise-moi" entgegen, ein etwas merkwürdiges Konzept von Gleichberechtigung zu verfolgen, wenn der Film Frauen "mit ihren Kanonen so phallisch wie jeder Revolverheld" (so Christiane Peitz im "Tagesspiegel") posieren lasse, und Gewalt zu erotisieren, solange die Täter nur weiblich, jung und attraktiv seien. Die Schwulen-Website "eurogay" nannte "Baise-moi" schon in der Überschrift seiner Kritik "brutal, sexistisch und wenig glaubhaft" und warf den Regisseurinnen vor, die Vergewaltigung als aufgesetzte Begründung herbeizuzerren, so dass das Publikum dem Amoklauf der Heldinnen wenigstens noch einen Ansatz von Verständnis entgegenbringen konnte. Die französische Zeitung "Libération" erkannte in dem Film "ein Roadmovie aus Sex und Blut, feminin, genauer: feministisch, eine bittere Farce mit den Männern als Schuldigen, den Opfern, den Zielscheiben". Und der "Tagesspiegel" gelangte damals zu dem Fazit: "Männer sind Schweine, sagt der Film. Männer sind – arme – Schweine ist der von den Regisseurinnen wohl kaum beabsichtigte Subtext, wie er durch die in Frankreich erschienenen Kritiken hindurchscheint."

All dies lässt sich auch "Girls Against Boys" attestieren. Allerdings hatte eine der Regisseurinnen von "Baise-moi", Virginie Despentes, den Sexismus ihres Film verteidigt: "Es stimmt, dass ich ein ziemlich großes Problem mit Männern habe. Ich habe ein Problem mit allem, was von Natur aus überlegen sein will. Ich habe ein Problem mit allem, was mich niederhalten und unterdrücken will." Alice Schwarzers "Emma" feierte "Baise-moi" erwartungsgemäß als neue Offenbarung, und als mehrere deutsche Zeitungen den Film nicht bewerben wollten, weil in Deutschland die Werbung für Gewaltpornographie gesetzlich untersagt ist, wetterte Schwarzer gegen diese "Zensur". Eine sehr ähnliche Debatte könnte sich abspielen, wenn demnächst "Girls Against Boys" auch auf deutsch als DVD erhältlich sein wird. Allenfalls ist damit zu rechnen, dass das radikalfeministische Schwarzer-Lager "Girls Against Boys", weil darin auch Lu von Shae schließlich getötet wird, eine verstörende Frauenfeindlichkeit attestiert, was wohl nur daran liegen kann, dass der Regisseur dieses Filmes ein offenbar noch nicht vollständig durchgegenderter Mann ist. (Dieser Regisseur spricht über seinen Film und wie überraschend gut er gerade Frauen mittleren Alters gefalle in diesem Interview.)

Bemerkenswert bleibt zuletzt, dass es keine Filme gibt, in denen Männer gefeiert werden, die aus Rache massenweise Frauen umbringen. Generell behandelt das Kino männliche und weibliche Serienkiller höchst unterschiedlich. Am deutlichsten zeigt sich das bei der filmischen Darstellung der Serienmörderin Aileen Wuornos, die für den Mord an sieben Männern verurteilt und als eine von wenigen Frauen in den USA sogar hingerichtet wurde. Wie Patricia Pearson in ihrem Buch When She Was Bad: Violent Women and the Myth of Innocence schildert, versuchte Wuornos vor Gericht darzulegen, dass sie in all diesen Fällen die Männer in Selbstverteidigung getötet hatte, weil jeder von ihnen sie zu vergewaltigen versuchte. Dieser Geschichte schenkte zwar niemand Glauben, aber dennoch konnte Wuornos mit einem Wohlwollen der Medien rechnen. Sie gab zahlreiche Interviews und ist inzwischen Heldin mehrerer Filme und einer Oper. Ein TV-Film wurde als Beziehungsdrama präsentiert und Wuornos selbst als eine nachdenkliche, nette und melancholische Frau. (Die echte Aileen Wuornos schrie vor Gericht die Geschworenen an, sie hoffe, dass sie bzw. deren Töchter vergewaltigt würden, und wünschte ihnen, in der Hölle zu verrotten.) Die Polizisten, die Wuornos verfolgten, waren ähnlich mitleidsvoll und geduldig, wie der von Harvey Keitel gespielte Charakter in "Thelma & Louise" und beklagten die Mörderin noch während der Ermittlungen betrübt als "Opfer von Kindesmissbrauch". Nun wurden auch die meisten männlichen Serienmörder von John Wayne Gacy bis Charles Manson als Kinder aufs übelste missbraucht, argumentiert Patricia Pearson, aber kein Film versucht, Mitleid für sie zu erwecken. Betrachtet man hingegen einen wenige Wochen alten deutschen Artikel über diese Serienmörderin, Aileen Wuornos – Morden für den Feminismus?, dann heißt es dort schon im ersten Absatz, dass "bis heute unklar" sei, ob Wuornos "Täter oder Opfer war". Der Artikel erwähnt auch, dass "viele Feministinnen die Verurteilung Wuornos als einen weiteren Siegeszug des Patriarchats bezüglich der sexuellen Ausbeutung von Frauen einstuften". In der deutschen Wikipedia findet man dazu die folgende Passage ohne Quellenangabe:

Während des Prozesses meldeten sich Feministinnen wie die Schriftstellerin und Professorin für women’s studies Phyllis Chesler zu Wort, die Wuornos' Taten als Folge von Gewalt gegen Prostituierte verstand und den Gerichtsprozess als Beispiel dafür ansah, was "zurückschlagenden" Frauen bevorstehe. Chesler vermutete, dass "eine Viertelmillion Freier" für Wuornos schließlich zu viel gewesen seien, "bevor sie verrückt wurde, oder, so wage ich zu sagen, einen lichten Moment hatte". Das kalifornische Center for Lesbian, Gay, Bi, Transgender Art and Culture stellte einen Dokumentarfilm über Wuornos mit den Worten vor, er erzähle die Geschichte "einer gewöhnlichen Frau aus der Arbeiterklasse", deren Missbrauch durch Männer sie in "außergewöhnliche Lebensumstände" getrieben habe. Das Prison Activist Resource Center behauptete auf seiner Website, das Todesurteil sei Folge von "Sexismus und Vorurteilen gegen Lesben und Prostituierte".


An dieser Stelle muss man "Girls Against Boys" zubilligen, dass er zumindest eine gelungene Szene enthält: Beim Essen in einem American Diner fragt Shae ihre Mentorin Lu, warum sie all diese Morde begehe. Lu erwidert schluchzend, dass sie als Kind von ihrem Vater an dessen Freunde als sexuelles Spielzeug ausgeliehen wurde, was sie schwer traumatisiert habe. Dann plötzlich beginnt Lu zu lachen und es wird klar, dass sie Shae nur veralbert hat. In Wirklichkeit, gesteht sie jetzt wieder in gewohnter Gelassenheit, töte sie Männer, weil jeder in irgendeiner Weise schuldig sei, weil sich in der Natur nun mal der Stärkere durchsetze und weil es für sie schlicht mit Spaß und Lust verbunden sei. Für einen kurzen Moment ist "Girls Against Boys" gegenüber den hegemonialen Narrativen plötzlich wirklich subversiv und deutet die Verknüpfung von Radikalfeminismus und Faschismus zumindest an.

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