Anita Daniel: "Die bevorstehende Männer-Emanzipation"
Das folgende Fundstück, ein Text Anita Daniels, habe ich einmal kühn für Genderama adoptiert (strenggenommen eine Urheberrechtsverletzung, aber ich rechne in dieser Hinsicht mit keinen größeren Problemen).
Seit zwei Generationen emanzipieren sich die Frauen unaufhaltsam. Mit zäher Energie und Zielbewusstsein haben sie Schranken durchbrochen, Vorurteile beseitigt, Rechte erkämpft, Axiome für ungültig erklärt und durch neue ersetzt. (...) Wie alle Parvenüs haben auch die Frauen zunächst manchen Fauxpas getan. Aber dank dem Tempo, in dem wir leben, sieht die Frauenbewegung jetzt bereits auf eine Vergangenheit zurück.
Man wollte und man erreichte immer mehr – bis man plötzlich auf einen toten Punkt gelangte. Es geht irgendwie nicht weiter. Gegnerisches Gebiet wird kampflos geräumt. Und mitten in ihrer Siegerstimmung wird die Frau stutzig und denkt: Was ist eigentlich geschehen? Warum ist kein Fortschritt mehr fühlbar?
Weil der Mann nicht mitgegangen ist.
Der Mann sieht sich seit einer guten Weile alles mit an – belustigt, verärgert, erstaunt, ablehnend, bewundernd, achselzuckend oder mit Unbehagen. Während die Frau sich in vielen Dingen von Grund auf veränderte, ist er der gleiche geblieben. Und nun haben sie keine Verständigungssprache mehr.
Zum Tanz gehören zwei, die sich gleichzeitig, wenn auch nicht gleichartig, bewegen – wenn sich aber die Tänzerin allein dreht und wendet und der Tänzer am selben Fleck stehen bleibt, so macht das Tanzen kein Vergnügen mehr.
Es ist jetzt eine ungemütliche Situation entstanden. Die emanzipierte Frau wird wieder unzufrieden und – wie es das Natürlichste ist! – schiebt sie alle Schuld auf den Mann.
Man hört immer lautere Klagen über das Schwinden der Liebe, der Galanterie, ja selbst der äußerlichsten Höflichkeit. Die Frauen wollen und können nicht mehr zurück. Sie haben die Gleichberechtigung erreicht, aber auf die weiblichen Vorrechte nicht verzichtet. Der Mann, der bisher tatenlos zugesehen hat, wird über kurz oder lang wieder aktiv vorgehen müssen. Die Zeit des passiven Widerstands ist vorbei.
Es brodelt schon seit einer ganzen Weile, und man hat das Gefühl, als bereiteten die Männer eine große Gegenoffensive vor. Sie machen den Anfang, indem sie mit dem Feind sachlich-logisch verhandeln – ein Vorgehen, das den Frauen im höchsten Grade unsympathisch ist. Sie sehen alles ein: die veränderten Forderungen einer anderen Zeit, die neuen Verpflichtungen der Frau, das Recht auf weitere freiheitliche Bestrebungen, aber sie wollen nicht mehr darauf eingehen, gleichzeitig den Status quo ante bestehen zu lassen.
Der Mann will sich gleichfalls emanzipieren. Er wird vielleicht zum Ausgleich femininer werden – oder verstärkt männlich. Seine Einstellung der Frau gegenüber wird sich radikal ändern, da die bisherige einseitige Entwicklung zu einer großen Verwicklung geführt hat. Es ist wahrscheinlich, dass der Beginn einer brutaleren Lebensweise naht, die man gemäßigter als konsequente Sachlichkeit bezeichnen könnte. Dann aber wird es sich vielleicht erweisen, dass Mann und Frau im tiefsten Innern konservativ gesinnt sind, so dass man trotz allem Komfort der Neuzeit zum Prinzip des früheren Grundrisses zurückkehrt.
Einstweilen begeben sich die Männer auch an die Front. Und wie bei allen Kriegen: Wer die besseren Nerven hat, wird schließlich siegen.
Quellenangabe: Die Dame, Heft 10, Mitte Februar 1928.
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