Gerd Riedmeier: Die "Plattform Inklusion" stellt sich vor
Gerd Riedmeier, zertifizierter Mediator und Mitgründer der geschlechterpolitischen Initiative "Plattform Inklusion", wurde in München geboren und wohnt im Chiemgau. Er ist verheiratet und hat drei Kinder, davon zwei erwachsene Söhne. Im Verlauf von Trennung und Scheidung machte er Erfahrungen mit dem deutschen Familienrecht und seiner Verbesserungswürdigkeit. Diese Erlebnisse brachten ihn dazu, das Verhältnis der Geschlechter zueinander auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen in Deutschland zu analysieren. Dabei lernte er: Geschlechterpolitik bedeutet mehr als Familienrecht oder die Frage, ob ein nebenbetreuender Trennungsvater seine Kinder sehen kann oder nicht.
Genderama hat Gerd Riedmeier zu seinem Ansatz der Männerpolitik interviewt.
Arne Hoffmann: Gerd, woher kommt Dein Engagement?
Gerd Riedmeier: Ich verstand mich seit den 1970er Jahren als ein Mensch, der der Frauenbewegung stets positiv gegenüber eingestellt war, und bin dies teilweise auch heute noch. Viele sinnvolle Anliegen der Frauenbewegung, wenn auch nicht alle, ließen sich in den letzten Jahrzehnten – auch durch männliche Unterstützung – politisch umsetzen. Frauenförderung wurde salonfähig und wird mittlerweile von weiten Teilen der Gesellschaft positiv bewertet. Der ausschließliche Blick jedoch auf – vermeintliche oder zutreffende – gesellschaftliche Benachteiligungen von Frauen verstellt den Blick auf männliche Lebenswirklichkeiten und führt zur Polarisierung in der gesellschaftlichen Wahrnehmung.
Arne Hoffmann: Worin besteht Deine Kritik?
Gerd Riedmeier: Es besteht eine Schieflage im herrschenden Geschlechterdiskurs in Deutschland. Die weibliche Seite dominiert und nützt ihren Einfluss und ihre Macht in der medialen Darstellung der eigenen Sichtweisen und Bedürfnisse. Einige Väter- und Männer-Initiativen versuchen, öffentlich Gehör zu finden, um sozusagen einen Gegenpol zu bilden – mit geringem Erfolg. Die deutsche Medienlandschaft scheint nicht bereit dafür zu sein. Viele dieser männlich geprägten Initiativen verfallen dem gleichen Fehler wie die weibliche Seite. Sie fokussieren ausschließlich auf ihre eigenen Interessen und polarisieren – jetzt "von der anderen Seite". Ein ganzheitlicher Ansatz und gegenseitige Empathie ist auf beiden Seiten so gut wie nicht erkennbar.
Arne Hoffmann: Wo liegt Deiner Ansicht nach die Lösung dieses Dilemmas?
Gerd Riedmeier: Plattform Inklusion vertritt einen gemeinsamen Ansatz der Geschlechter mit einem Verständnis von Mann und Frau auf Augenhöhe. Dazu wurde sie als Initiative von Frauen und Männern gegründet. Plattform Inklusion nimmt also beide Geschlechter in den Fokus und steht für ein modernes, paritätisches Rollen- und Familienbild – unter Inklusion des Männlichen. Dabei dürfen Bereiche, in denen Frauenförderung weiter nötig ist, ruhig "mitbearbeitet" werden.
Arne Hoffmann: Welche Problemkreise hältst du bei einer lösungsorientierten Geschlechterpolitik für besonders wichtig?
Gerd Riedmeier: Es warten im Wesentlichen fünf Bereiche auf Lösungen:
1) Mann und Frau im Erwerbsleben: Da sprechen wir beispielsweise über die Equal-Pay-Day-Kampagne und über Frauen-Quoten.
2) die Frage, wie ist Familie definiert? Es geht um die fehlende Wertschätzung der Triade Mann-Frau-Kind - unabhängig vom Familienstand und unter Inklusion des Männlichen.
3) der Umgang mit und der Diskurs über häusliche Gewalt: Ist es rechtens, Männer in einen Generalverdacht der Ausübung von Gewalt zu stellen?
4) staatliche Gleichstellungspolitik: Wann wird Gender Mainstreaming als reine Frauenförderung abgelöst durch einen ganzheitlichen Ansatz?
und 5) Mann und Frau in der Gesellschaft: Es geht um Misandrie in den Medien, also um offene oder unterschwellig abwertende Darstellung des Männlichen.
Was fehlt, ist das Eingeständnis, dass keines der Geschlechter alleine vollständig sein kann. Frauen und Männer sind gleichwertig, haben unterschiedliche Bedürfnisse und Potentiale, die sich gegenseitig ergänzen können.
Arne Hoffmann: Wie sehen derzeit deine konkreten Aktivitäten in der Geschlechterpolitik aus?
Gerd Riedmeier: Sehr wichtig sind unserer Meinung nach Teilnahmen an Frauenveranstaltungen, um dabei Präsenz zu zeigen, aber auch eine Art soziale Kontrolle auszuüben. Das bedeutet Wahrnehmung elementarer demokratischer Rechte. Viele Teilnehmerinnen sind dankbar für diese Art von Feedback. Sie empfinden den sachlichen und empathischen Dialog mit Männern als gewinnbringend – sonst "schwimmen wir Frauen immer in der gleichen Soße", wie eine Teilnehmerin unlängst auf einer Veranstaltung zur Equal-Pay-Day-Kampagne 2012 treffend bemerkte.
Viele Männer scheinen jedoch Berührungsängste zu haben, an diesen Veranstaltungen teilzunehmen. Nicht wenige ziehen es vor, in Internetforen unter ihresgleichen zu diskutieren, und laufen damit Gefahr, auf jede seriöse Außenwirkung zu verzichten.
Ein weiteres Projekt von Plattform Inklusion besteht in der Auseinandersetzung mit der "european strategie for equality between women and men 2010 - 2015" der Europäischen Kommission. Darin wird u. a. das Recht der Frauen in Europa auf gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben gefordert. Der berühmte "gender pay gap" (die Lohnlücke) zwischen Männern und Frauen wird darin vornehmlich auf familienbedingte Unterbrechungen in den weiblichen Erwerbsbiographien zurückgeführt. Frauen benötigen demnach Unterstützung und Empowerment – sonst droht ihnen ein Abgleiten in Altersarmut. Männer sollten sich diesen Zusammenhängen öffnen und konstruktiv an Lösungen mitarbeiten.
Arne Hoffmann: Was sind Deine konkreten Erfahrungen mit der Equal-Pay-Day-Kampagne 2012?
Gerd Riedmeier: Die Equal-Pay-Day-Kampagne 2012 wird von Business and Professional Women Germany e. V. (BPWG) organisiert und durch öffentliche Gelder finanziert. Spricht man auf den zentralen Veranstaltungen mit Vertretern des Bundesfamilienministeriums, so stellt man fest, dass von Ministeriumsseite mit dem Thema inhaltlich sehr sensibel umgegangen wird.
Anders jedoch Business and Professional Women Germany e. V.: Das Motto der Kampagne "Entgeltgleichheit" wird irreführend eingesetzt. Die Entgelte für geleistete Arbeit sind in Deutschland für beide Geschlechter gleich, in Tarifverträgen, in BAT-Verträgen (Beamte) oder durch Mindestlöhne geregelt. BMWG kommuniziert jedoch Halbwahrheiten und transportiert Botschaften wie: "Frauen verdienen pro Stunde für die gleiche Arbeit um 23 % weniger als Männer" – was nicht zutrifft. BPWG ignoriert damit die eindeutigen Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamtes.
Nach Intervention durch Plattform Inklusion beim Bundesministerium wurden bereits Formulierungen wie "Diskriminierung" aus den vorbereitenden Veranstaltungs-Flyern von BPWG gestrichen. Wir wünschen uns weitere soziale Kontrolle durch ein bundesweites Engagement von Männern und Frauen an den lokalen Equal-Pay-Days bis März 2012.
Arne Hoffmann: Welche Erkenntnisse ziehst Du aus den Teilnahmen an den vorwiegend von Frauen besuchten Veranstaltungen?
Gerd Riedmeier: Zuerst einmal: Geschlechterpolitik ist bis jetzt immer noch ein weiblich dominiertes Feld. Als Mann ist man da erst einmal Exot. Viele Frauen begrüßen jedoch die Teilnahme von Männern und formulieren beispielsweise so: "Wir können Eure Arbeit ja nicht auch noch mitmachen ..." Weiter fällt auf, dass auf diesen Veranstaltungen vor allem deutsche Frauen sich streng feministisch, anti-männlich äußern. Frauen aus anderen europäischen oder aus außereuropäischen Ländern geben sich da wesentlich entspannter und formulieren deutlich den Wunsch, Männer mit ins Boot nehmen zu wollen.
Die Frauenbewegung war eine traditionell politisch links verortete Bewegung. "Links" stand dabei immer für den Wunsch und das Engagement für gesellschaftlichen Fortschritt. Konservativ stand für das Bewahren der Verhältnisse. Heute drehen sich und vermischen sich die Fronten. Frauenpolitik steht jetzt oftmals für das Bewahren gesellschaftlicher Privilegien für Frauen, unter anderem im Formulieren von Ansprüchen auf private und gesellschaftliche Transferleistungen. Das erscheint manchmal ein wenig unemanzipiert.
Auch sind viele frauenbewegte oder feministische Veranstaltungen immer noch sehr beherrscht vom Blick auf vergangene Epochen oder auf fremde Kulturen. Das verstellt den Blick auf das Hier und Heute. Frauen sind in Deutschland spätestens seit der Jahrtausendwende rechtlich gleichgestellt und haben vollen Zugang zum Arbeitsmarkt. Sie stellen generell die Mehrheit im akademischen Abschluss, so auch in Humanmedizin (80%), Tiermedizin (97%) Psychologie (95%), Architektur oder Lehramt. Der weibliche Anteil von neubestellten Richtern beträgt in Deutschland 58 %. Viele Frauen bekleiden anspruchsvolle Führungspositionen – ohne jegliche Protektion oder Quotierung.
Arne Hoffmann: Was erwartest Du zukünftig vom Dialog der Geschlechter?
Gerd Riedmeier: Wir können uns darauf einstellen, dass der Anteil von Frauen in Führungspositionen auch in DAX-notierten Unternehmen steigen wird – mit oder ohne Quote. Mittelfristig werden wir dann die Erfahrung machen können, dass Frauen nicht die besseren Unternehmenslenker im Vergleich mit Männern sind. Warum sollten sie auch?
Zukünftige Geschlechterpolitik wird sich im Unterschied zu heute um beide Geschlechter kümmern müssen. Es wird weniger um vermeintliche oder gefühlte Benachteiligungen für Frauen gehen. Frauen- und auch Familienförderung wird sich vor allem im Bereitstellen von qualifizierter Ganztagsbetreuung für Kinder an Kitas, Grund- und weiterführenden Schulen messen lassen müssen. Frauen brauchen zukünftig nicht mehr schwach geredet werden, sie sollten Empowerment und Motivation finden für ihre Selbstverwirklichung. Die sachlich unrichtigen Darstellungen, Frauen verdienten pro Stunde für die gleiche Arbeit weniger als Männer, wird verschwinden. Das wird für Männer die große Chance bedeuten, die negative öffentliche Darstellung des Männlichen in den Medien zu überwinden, um eine gleichberechtigte Wertschätzung erfahren zu dürfen. Das ist Voraussetzung dafür, nennenswerte Veränderungen im deutschen Familienrecht hinzubekommen. Davor stehen noch große Hürden.
Auffallend ist, dass in den vermeintlich fortschrittlichen Parteien wie Die Grünen, SPD oder der Linken die Dialogbereitschaft zwischen den Geschlechtern am geringsten ist. Plattform Inklusion bietet genau diesen Dialog allen Parteien an.
Arne Hoffmann: Herzlichen Dank für dieses Gespräch. Gute Nacht und viel Glück!
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