Freitag, Juli 04, 2008

Ekin Deligöz versagt beim Abgeordnetentest

Abgeordnetenwatch ist eine feine Sache, um herauszufinden, was für Leute uns eigentlich im Parlament vertreten. Gerade erreichte mich eine Mail über eine Politikeräußerung, in der ich selbst vorkomme. So wurde die grüne Bundestagsabgeordnete Ekin Deligöz am 1. Juni 2008 von einem potentiellen Wähler gefragt:

Der Autor Arne Hoffmann schreibt in seinem Ende 2007 erschienenen Buch "Männerbeben", daß inzwischen über 100 deutsche wie internationale Studien existieren, die eindeutig nachweisen, daß häusliche Gewalt in gleichem Maße von Männern und Frauen ausgeübt wird, teilweise sogar von Frauen deutlich mehr häusliche Gewalt festgestellt wurde als bei Männern. Ist Ihnen die aktuelle Forschungslage unbekannt? Warum werden die Ergebnisse dieser Studien von Ihnen ignoriert?


Etwa einen Monat später antwortet die Grünen-Abgeordnete:

Sie schreiben, dass "über 100 deutsche wie internationale Studien existieren, die eindeutig nachweisen, daß häusliche Gewalt in gleichem Maße von Männern und Frauen ausgeübt wird, teilweise sogar von Frauen deutlich mehr häusliche Gewalt festgestellt wurde als bei Männern", das wäre die aktuelle Forschungslage und sie beziehen sich dabei auf Arne Hoffmann. Nun muss ich zumindest zugestehen, dass mir dieser Autor nicht bekannt war. Es könnte an seinen Publikationen zum Thema Sadomasochismus liegen, seinem Engagement für Gewaltpornographie oder auch, dass er Interviews in der rechtsgerichteten Jungen Freiheit veröffentlicht. Sein Einsatz für die Sache der Männer scheint mir eher parteiisch. Wissenschaftlichen Ansprüchen gerecht wird vielmehr die repräsentative Studie "Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland" des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, die Sie ebenso wie Materialien zu dem Sie interessierenden Thema Gewalt gegen Männer auf der homepage des Ministeriums (www.bmfsfj.de) abrufen können.


Hm, ich stelle mir gerade eine ähnliche Antwort mit anderen Rollen vor: "Alice Schwarzer? Kenne ich nicht. Das könnte an ihrem Engagement für lesbische Liebe liegen oder daran, dass sie die Zeitschrift EMMA herausgibt. Ihr Einsatz für die Sache der Frauen scheint mir eher parteiisch." Putzig. Sehen wir einmal davon ab, dass man nicht eigens mich persönlich heranzuziehen braucht, um auf die Forschungslage zur häuslichen Gewalt hinzuweisen: Es ist schade, dass Ekin Delgöz ihr Urteil darüber, wer und was "wissenschaftlichen Ansprüchen gerecht wird", danach richtet, ob die entsprechenden Forscher ihre eigenen erotischen und politischen Vorlieben teilen. Wesentlich bedenklicher allerdings ist, dass Ekin Delgöz zwar vollmundig Materialien des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zum Thema Gewalt gegen Männer empfiehlt, aber offenbar selbst keinen Blick hinein geworfen hat.

Die Autoren der ministeriellen Studie "Gewalt gegen Männer" nämlich weisen die Gleichung "häusliche Gewalt = Männergewalt gegen Frauen" als "Mythos" zurück, dem "dringend ein realistischeres Bild entgegengesetzt werden" müsse (Seite 223 der herunterladbaren Langfassung). Und sie zitieren auf Seite 221 die aktuellste deutsche Studie zu diesem Thema von Lamnek und Ottermann: "Vergleicht man die Partnergewalt gegen Männer mit der gegen Frauen, zeigt sich, dass Männer sowohl absolut als auch prozentual eher Opfer von Gewalt durch die Partnerin werden als umgekehrt. Dieses Ergebnis soll nicht überinterpretiert werden, sondern nur darauf aufmerksam machen, dass beide Formen von Partnergewalt in qualitativ ähnlicher Verbreitung aufzutreten scheinen." Natürlich wird all das umrahmt von den üblichen und ja auch zutreffenden Erklärungen, dass noch viel Forschung nötig sei (die das Frauenministerium zum Thema "Gewalt gegen Männer" ausdrücklich ablehnt) und dass diese Aufrechnerei letztlich niemandem nutze, die inhaltliche Aussage jedoch bleibt sehr klar. Dies gilt um so mehr, wenn man bedenkt, dass die aktuellste amerikanische Studie zu diesem Thema bei einer Untersuchungsgruppe von 11.370 Teilnehmern zu dem Ergebnis gelangte: "Almost 24% of all relationships had some violence, and half (49.7%) of those were reciprocally violent. In nonreciprocally violent relationships, women were the perpetrators in more than 70% of the cases." Was ich übrigens ebenfalls in "Männerbeben" bereits erwähnt habe.

Aber ich veröffentliche ja Bücher zum Thema Sadomasochismus und Interviews in der "Jungen Freiheit" und kenne mich deshalb beim Stand der wissenschaftlichen Forschung bestimmt viel weniger aus als die Stellvertretende Vorsitzende im Ausschuss Familie, Frauen, Senioren und Jugend Ekin Deligöz, die im Gegensatz zu mir sicher auch komplett unparteiisch ist.

Oder ohne Ironie formuliert: Es ist unfassbar, mit welchen abgedroschenen Ressentiments und Vorurteilen sich linke Frauen-PolitikerInnen den Blick auf den tatsächlichen Forschungsstand verbauen. Und wenn sie auf Anfragen nicht ehrlich mitteilen, dass sie sich bei einem bestimmten Thema leider nicht auskennen, sondern stattdessen versuchen, ihren Wählern mit einer abenteuerlichen Rhetorik Sand in die Augen zu streuen, dann zeigt das, wie wenig ernst sie diese Wähler nehmen.

Labels: ,

kostenloser Counter