Warum eine auf Männer ausgerichtete Psychotherapie dringend nötig ist
Vor über zwei Wochen habe ich hier ein Plädoyer für eine männerfreundliche Psychotherapie veröffentlicht. Das legt die Frage nahe, ob die bestehenden psychotherapeutischen Angebote dasselbe nicht auch leisten können. Gibt es wirklich Bedarf an einer Ausrichtung, die sich speziell auf Männer fokussiert? Der Plädoyer für eine männerfreundliche Psychotherapeut Kevin Talbott erklärt, warum das bestehende Angebot unzureichend ist.
Meine therapeutische Reise begann nicht in einem Beratungszimmer. Bevor ich Therapeut wurde, arbeitete ich mehrere Jahre in der Transportbranche – ein Umfeld, das mich unerwartet mit Traumata, Gewalt, Verlust und tiefer menschlicher Verletzlichkeit konfrontierte. In dieser Zeit war ich auch als Gewerkschaftsvertreter tätig, und viele Männer vertrauten mir an, mit welchen persönlichen, emotionalen und psychischen Schwierigkeiten sie kämpften – Dinge, über die sie sonst mit niemandem sprechen konnten. Allmählich fiel mir auf, dass viele Männer in meinem Umfeld still litten – ohne Unterstützung, ohne Verständnis. Diese frühen Eindrücke legten den Grundstein für meinen späteren Weg in eine auf Männer ausgerichtete Therapie – lange bevor ich eine formale Ausbildung begann.
Als ich mit 22 Jahren eine Nachtschicht leitete, rief mich ein Lkw-Fahrer an: Jemand war auf die Schnellstraße gesprungen – direkt vor seinen Wagen. Es war ein Suizid, der Mann überlebte nicht. Der Fahrer war völlig aufgelöst. Drei Jahre zuvor hatte sich ein Angehöriger von mir das Leben genommen – nach häuslicher Gewalt. Er hatte sich erhängt. Kurz darauf nahm sich ein Kollege das Leben, indem er sich mit Benzin übergoss und anzündete, nachdem ihm Haus und Kinder entzogen worden waren. Diese Todesfälle zeigten mir schon in jungen Jahren, wie tief Männer Schmerz verbergen und wie selten sie Hilfe finden.
Einige Jahre später wurde ich auf einer Landstraße in einen Frontalzusammenstoß verwickelt. Der andere Fahrer riss im letzten Moment das Steuer herum und prallte in mein Auto. In seinem Wagen standen Benzinkanister – offenbar sollte der Unfall sein Leben beenden, und falls nicht, sollte das Benzin es tun. Zum Glück waren die Kanister noch verschlossen. Der Mann starb an der Unfallstelle; zu Hause fand man seinen Abschiedsbrief. Die Rettungskräfte reagierten mit Wut auf ihn, ich hingegen empfand großes Mitgefühl. Später erfuhr ich, dass auch er Haus und Kinder verloren hatte.
Das war nicht der erste Suizidversuch per Unfall, den ich miterlebte. Jahre zuvor war mir ein anderer Mann mit 190 km/h ins Heck gefahren – ebenfalls mit der Absicht, zu sterben. Ich zog ihn selbst aus dem rauchenden Fahrzeug. Er hielt einen Rosenkranz in der Hand. Diese Erfahrungen ergaben ein Muster, das ich nicht mehr übersehen konnte: Männer aus ganz unterschiedlichen Lebenssituationen gelangten an einen Punkt, an dem sie keinen Ausweg mehr sahen – und niemandem davon erzählten. Ironischerweise erzählte mir einer meiner ersten Klienten während meiner Ausbildung, er habe versucht, sich das Leben zu nehmen, indem er frontal in einen Lkw fuhr.
Meine Erfahrungen als männlicher Therapeut
Nachdem ich viele dieser Situationen selbst erlebt hatte und schließlich Therapeut geworden war, wollte ich mehr über die Psychologie von Männern erfahren. Ich nahm an einer Fortbildung zu männlicher psychischer Gesundheit teil. Zehn Therapeuten waren anwesend, neun davon Frauen. Ich war fassungslos über das, was ich hörte: Männer seien das Problem – sie öffneten sich nicht, wegen ihres Stolzes, ihrer Männlichkeit, des Systems, in dem wir leben. Diese Erklärungen schienen mir zu oberflächlich, um das Ausmaß männlicher Verzweiflung zu begreifen.
In einem verpflichtenden monatlichen Treffen mit anderen Therapeutinnen war ich der einzige Mann. Dort fielen Sätze wie: "Alle Männer sind Perverslinge", "Habt ihr mal gesehen, was für alberne Klamotten Männer mittleren Alters tragen?" (ich bin mittleren Alters), oder "Männer sind wie Homer Simpson, in ihren Köpfen läuft nur ‚döh döh döh döh‘." Während meiner Ausbildung bekam ich bei einer Eignungsprüfung für ein Praktikum sogar die Ansage, ich solle "bitte keinen Sex mit Klientinnen haben" – ein klar sexistisches Vorurteil.
Als ich meine Qualifikation erlangte, bewarb ich mich bei einer bekannten Hilfsorganisation für häusliche Gewalt. Sie nimmt Spenden entgegen, um Erwachsene und Kinder zu unterstützen – aber sie teilte mir mit, sie beschäftige nur weibliche Berater. Männer seien ausgeschlossen. Andere Auszubildende bestätigten mir, dass männliche Klienten dort ebenfalls keine Hilfe erhalten.
Während meiner Tätigkeit als telefonischer Berater in einem Employee Assistance Program erlebte ich, wie weibliche Kolleginnen männliche Klienten mit Pornografieproblemen einfach zurückwiesen. Ich bewerte das nicht, jeder Mensch hat eigene Grenzen – aber es wirft die Frage auf, wo Männer Hilfe finden sollen.
In meiner späteren Praxis erzählte mir ein Klient: "Schicken Sie mich auch weg?" Er war bereits von vier Therapeutinnen abgewiesen worden, weil er Sexarbeiterinnen aufsuchte und sich deswegen hasste. Ein anderer berichtete, seine Therapeutin habe sich als überzeugte Feministin bezeichnet, was das Vertrauen zwischen ihnen zerstörte.
Ich höre zudem von Männern, deren Partnerinnen sich ebenfalls als Feministinnen verstehen und keine Hausarbeit mehr übernehmen wollen – aus der Überzeugung heraus, ihre Männer seien Teil des Problems, wenn sie um Unterstützung bitten.
Ich betone: Ich urteile nicht über meine Kolleginnen. Ich kenne viele hervorragende Therapeutinnen. Aber die Frage bleibt: Wenn nur etwa 20 % der Therapeuten Männer sind, wenn manche Organisationen Männer ausschließen und einige Therapeutinnen sich im Umgang mit männlichen Klienten unwohl fühlen – wohin sollen Männer sich wenden?
Vor Kurzem schrieb ich für ein bekanntes Fachportal einen Artikel über väterliche Entbehrung. Darin stellte ich wissenschaftliche Erkenntnisse vor und kritisierte die Pathologisierung von Männlichkeit. Grundlage waren analytische Übersichtsarbeiten, unter anderem von Tania Reynolds. Obwohl der Beitrag sorgfältig belegt war, lehnte das Portal die Veröffentlichung ohne Begründung ab. Offenbar sind selbst Fachleute nicht immer frei von unbewussten Vorurteilen.
Ich bin froh, dass ich nach meiner Weiterbildung am Zentrum für Männerpsychologie den Mut fand, mich offen als auf Männer fokussierter Therapeut zu bezeichnen. Anfangs hatte ich Sorge, dadurch als frauenfeindlich zu gelten – diese Angst habe ich überwunden.
Erfahrungen mit männlichen Klienten
Die Arbeit mit Männern ist vielfältig und tiefgehend. Nach unzähligen Sitzungen mit Klienten aus ganz unterschiedlichen Lebenssituationen erkenne ich immer wieder ähnliche Themen.
Eines der auffälligsten ist die fehlende Wahrnehmung männlicher Opfer häuslicher Gewalt. Viele meiner Klienten sehen sich selbst nicht als Opfer oder können nicht akzeptieren, dass emotionale, verbale oder körperliche Übergriffe gegen sie ebenfalls Missbrauch darstellen. Dieser blinde Fleck hängt oft mit gesellschaftlichen Bildern zusammen, die Männer ausschließlich als Täter darstellen. Das führt zu Scham, Verdrängung und Einsamkeit.
Ein weiteres häufiges Thema ist Überarbeitung. Viele Männer arbeiten lange, meist nicht aus Ehrgeiz, sondern aus Pflichtgefühl – aus Angst, den Job zu verlieren oder ihre Familie nicht versorgen zu können. Zuhause stoßen sie dann oft auf Kritik oder emotionale Kälte. Der Druck von außen und innen zehrt an Selbstwert, Beziehung und Psyche.
Dazu kommt ein verbreitetes Gefühl der Orientierungslosigkeit. Trotz Einsatz und Disziplin spüren viele Männer Leere und den Verlust von Sinn. Fehlt die innere Richtung, wächst die Anfälligkeit für Stress, Verbitterung und Entfremdung.
Diese Erfahrungen zeigen mir, wie wichtig sichere, urteilsfreie Räume sind, in denen Männer sich öffnen und ihre Erfahrungen ordnen können. Therapie kann ihnen helfen, destruktive Muster zu erkennen, Selbstachtung wiederzufinden und ein Leben zu gestalten, das nicht nur auf Funktionieren, sondern auf Sinn beruht.
Ich arbeite mit Menschen aller Geschlechter und sexuellen Orientierungen, beobachte aber, dass viele Männer anders über Gefühle sprechen. Sie suchen nicht immer tiefenpsychologische Analysen, sondern praktische Wege, um weiterzukommen. Obwohl ich in psychodynamischer Therapie ausgebildet bin, habe ich mich zusätzlich in lösungsorientierter Kurztherapie fortgebildet – ein Ansatz, der den Bedürfnissen vieler Männer besonders entgegenkommt.
Mein Ziel ist es, Männer nicht nur beim Verstehen ihrer Vergangenheit zu unterstützen, sondern ihnen zu helfen, eine Zukunft zu gestalten, die sich echt, stabil und sinnhaft anfühlt. Diese Reise beginnt damit, gehört zu werden – und führt dahin, verstanden zu werden.
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