Mittwoch, April 09, 2025

Zum Höhepunkt der Krise: Union und SPD leisten sich bizarre Quotendiskussionen

1, Die Neue Zürcher Zeitung kommentiert die Berliner Koalitionsverhandlungen:

Der christlichdemokratische Bundeskanzler in spe, Friedrich Merz, und sein mutmasslicher Vizekanzler von der SPD, Lars Klingbeil, haben einen politischen Ausnahmezustand von historischen Ausmassen an die Wand gemalt. Sie beschworen ein Europa, das von Amerika verlassen ist und von Russland bereits heute mit Krieg bedroht wird; darin ein praktisch kampfunfähiges Deutschland, das schleunigst seine Bundeswehr aufrüsten und eine militärische Führungsrolle in EU und Nato übernehmen muss. Donald Trumps Angriffe auf die Weltwirtschaft verschärfen die globale Krise nun zusätzlich.

(…) Es ist tatsächlich nicht abwegig, die weltpolitische Lage so dramatisch zu zeichnen, wie Merz und Klingbeil es zu Beginn der Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD taten. Daraus müsste dann allerdings auch eine wehr- und wirtschaftspolitische Prioritätensetzung folgen, die dieser Dramatik entspricht. Und vor allem eine Personalpolitik, die nach Staatsmännern und Staatsfrauen von besonderem Format sucht.

Stattdessen diskutieren 275 Unterhändler von CDU, CSU und SPD in aller Seelenruhe über telefonbuchdicke Spiegelstrichpapiere, die den Problemen des Landes schon in wirtschaftlich entspannten Friedenszeiten nicht gerecht würden. Was künftige Minister angeht, so bricht sich in allen drei Parteien ein bisher ungekannter Quoten-Fetischismus Bahn, dem Merz, Klingbeil und der CSU-Vorsitzende Markus Söder keinerlei Riegel vorschieben.

Das Kabinett soll, so wünscht es sich beispielsweise die Grande Dame der CDU Rita Süssmuth, zu mindestens 50 Prozent aus Frauen bestehen. Es müsse aber auch zu mindestens 20 Prozent mit Ostdeutschen besetzt sein, fordern die ostdeutschen SPD-Ministerpräsidenten Dietmar Woidke und Manuela Schwesig. Der Queer-Beauftragte der bisherigen Bundesregierung, der Grünen-Politiker Sven Lehmann, möchte mehr queere Personen in Verantwortung sehen. Und die CDU-Abgeordnete Serap Güler erwartet die angemessene Berücksichtigung von Migranten bei der Besetzung von Ministerposten.

Von all diesen Forderungen geht ein fatales «Weiter so!»-Signal aus: Selbst im drohenden Ausnahmezustand scheint keine Interessengruppe bereit, ihre Repräsentationsbedürfnisse vorübergehend zurückzustellen. Das verheisst nichts Gutes für den Fall, dass Deutschland sich einmal wirklich zusammenreissen müsste.

(…) Heutzutage dürfte in Deutschland kaum jemand etwas gegen Vielfalt in Parlament und Regierung einzuwenden haben. Aber Quotierung um ihrer selbst willen richtet mehr Schaden an, als dass sie nützt.

Besonders deutlich wurde das am Beispiel der 2023 entlassenen SPD-Verteidigungsministerin Christine Lambrecht. Sie kam auf Wunsch des noch amtierenden Bundeskanzlers Olaf Scholz aus reinen Quotengründen in ihr Amt, obwohl sie zuvor nie auch nur das geringste Interesse am Militärischen hatte erkennen lassen. Als dementsprechend unfähig erwies sie sich, die dringend notwendige Bundeswehrreform zustande zu bringen.

Derart zur Schau gestelltes Unvermögen nützt der emanzipatorischen Sache nicht im Geringsten – das sollten der scheidende Kanzler Scholz rückblickend und der womöglich nächste Kanzler Merz vorausschauend einsehen. Das ursprüngliche Anliegen des Feminismus war es auch nie, Frauen in die Stufe ihrer Inkompetenz zu befördern. (…) Es ging vielmehr darum, kompetente Frauen vor Diskriminierung zu schützen: Kein beruflicher oder politischer Weg sollte ihnen versperrt bleiben, nur weil sie Frauen waren.

(…) Nach Qualifikation wird dabei zu selten gefragt. Doch die Weltkrise verlangt, danach zu fragen. Ein Gedankenspiel: Hätten Friedrich Merz und Lars Klingbeil mehrere Männer (oder, ganz egal, auch mehrere Frauen) vom politischen und charakterlichen Kaliber eines Winston Churchill zur Verfügung – sie sollten das deutsche Krisenkabinett mit ihnen vollstopfen. Selbst wenn diese Ausnahmepersönlichkeiten alle so viel Alkohol tränken, so viele Zigarren rauchten und so viele politisch unkorrekte Witze erzählten, wie der legendäre britische Premierminister es tat.

Doch dazu brauchten Merz und Klingbeil ja selbst ein Format, das sie, jedenfalls bisher, nicht haben erkennen lassen. Der CDU-Chef ist vielmehr demonstrativ bemüht, den Vorwurf unterschwelliger Frauenfeindlichkeit abzuwehren, der immer wieder gegen ihn erhoben wird. Und in der 16-Prozent-SPD ist die Quote ohnehin Dogma. Insofern dürfte die schwarz-rote Kabinettsliste, wenn sie denn bekannt wird, das Gefühl von Déjà-vu, von Enttäuschung und, ja, auch von Fassungslosigkeit befördern, mit dem viele Wähler in Deutschland gerade die Regierungsbildung beobachten.




2. Der Hessische Rundfunk ruft in einem seiner Podcasts Alarmstufe Alpha aus – natürlich wegen toxischer Männlichkeit.

Frauen haben mittlerweile fast alles erreicht. In der Politik, in der Wirtschaft, in den Medien stehen sie immer häufiger an der Spitze und fordern ihre Rechte ein. Seit einiger Zeit formt sich aber eine Gegenbewegung: Junge Männer wollen zurück zu alten Rollenbildern, in den sozialen Medien trenden Alpha-Males. Auch eine rechtsgerichtete, maskulinistische Politik ist zurückgekehrt. Es sind Donald Trump, Elon Musik, Victor Orbán und bei uns AfD-Politiker wie Björn Höcke und Maximilian Krah, die wollen, dass die Männer wieder stark und aggressiv auftreten und die Frauen dominieren. Online propagieren Tausende dieses Männer-Bild. Es gibt die Rechtspopulisten, aber auch Abtreibungsgegner und so genannte "Incels", Männer, die gerne Sex hätten, aber keine Partnerin finden. Sie alle wollen patriarchale Strukturen und die Macht der Männer über die Frauen zurück.


Ehrlich? Alle Männer, die gerne Sex hätten, aber keine Partnerin finden, wollen die Macht der Männer über die Frauen zurück? Hyperventilieren wir da vielleicht ein bisschen, liebe Redaktion? Und was macht Abtreibungsgegner so viel gefährlicher als Abtreibungsbefürworter? Ist Abtreibung eine tolle Sache, die man auf keinen Fall kritisieren sollte?

Es geht hin bis zu Gewaltfantasien und Angriffen auf Feministinnen. Online werden schon Kinder und Teenies mit toxischer Männlichkeit konfrontiert. Wie sollen wir damit umgehen? Und wie viel Verantwortung tragen die Mütter, dass ihre Jungs keine Machos und Frauenhasser werden? Wir sprechen mit Corinna Dolezalek, Expertin für Hass und Hetze im Netz, mit der Soziologie-Professorin Melanie Groß, der Journalistin und Autorin Heike Kleen und Tarik Masovic, der in Offenbach Jungs erklärt, was Gleichberechtigung bedeutet.


Klingt mal wieder nach einer ausgewogenen Sendung, in der die unterschiedlichsten Seiten zu Wort kommen und ein Thema aus vielfältigen Perspektiven beleuchtet wird. Dafür zahlen wir gerne unsere "Demokratieabgabe". Wäre ja auch schlimm, wenn wir öffentlich-rechtliche Medien hätten, die sich in einseitiger Propaganda verlören.

Gekränkte Männer haben eine Nische in der Online-Welt gefunden: Sie degradieren Frauen zum Sexobjekt und träumen von der Überlegenheit des eigenen Geschlechts. In der sogenannten Mannosphäre propagieren sie neben Flirttipps auch handfeste Gewaltfantasien gegen Frauen. In diesem Podcast wird eine aktuelle Studie vorgestellt, die darstellt, welche Gruppierungen dazu gehören und welche Gefahr von diesen Online-Milieus ausgeht.


Passend dazu erklärt bei Netzpolitik.org eine Angstforscherin, wie in der Politik die Strategie, Ängste zu schüren, zum Machtinstrument wird.

Medien leben davon, dass sie Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Medien, die nicht wahrgenommen werden, verschwinden. Und weil die Ängste etwas Tiefsitzendes sind, sind Menschen natürlich darüber ansprechbar. Das ist ein unglückliches Zusammenwirken, das für die Gesellschaften eher ungut ist. Es hilft niemandem, außer dass es Klicks produziert.




3. Die britische BBC hinterfragt, warum die Gesundheit von Männern so stark vernachlässigt wird:

Professor Alan White, der die Wohltätigkeitsorganisation Men's Health Forum mitbegründet und an der Leeds Beckett University ein spezielles Zentrum für Männergesundheit eingerichtet hat, sagt, das Thema müsse ernster genommen werden.

Als Beispiel führt er die Pandemie an, bei der 19.000 mehr Männer als Frauen an Covid starben. "Wo war die Empörung? Wo war die Aufmerksamkeit?"

Es sei zu einfach, die schlechte Gesundheit von Männern auf ihren Lebensstil zu schieben, und argumentiert: "Es ist viel komplexer als das."


Mark Brooks, politischer Berater der All-Party Parliamentary Group on Men's and Boy's Issues, hat eine Schlüsselrolle bei der Beratung der Regierung zur Ausarbeitung einer Strategie für die Gesundheit von Männern. Er äußert sich folgendermaßen zu dieser Frage:

"In der Gesellschaft haben wir unterschiedliche Erwartungen an Männer. Von ihnen wird erwartet, dass sie ihren Mann stehen und die Dinge in die Hand nehmen, dass sie stark und widerstandsfähig sind. Wenn es um die Gesundheit von Männern geht, müsse man jedoch besonders auf die Auswirkungen von Armut achten. Die Lebenserwartung in den ärmsten 10 % der Gebiete ist zehn Jahre niedriger als in den wohlhabendsten - ein größerer Unterschied als bei Frauen - und in den am stärksten benachteiligten Gebieten ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mann vor dem 75. Man kann die krassen Unterschiede nicht ignorieren, wenn es um zurückgebliebene Gemeinden und um Menschen geht, die in Arbeiterberufen wie dem Baugewerbe und der Produktion arbeiten. Die Art und Weise, wie die Gesundheitsdienste konzipiert sind, funktioniert nicht für Männer."

Gesundheitsuntersuchungen, die alle fünf Jahre für 40- bis 74-Jährige angeboten werden, gelten als entscheidende Maßnahme, wenn es um viele der Krankheiten geht, die das Leben von Männern frühzeitig fordern. Doch weniger als vier von zehn Männern nehmen das Angebot wahr.

"Für jemanden, der auf dem Bau oder in einem Industriegebiet arbeitet, ist es sehr schwierig, sich frei zu nehmen, sei es für einen Gesundheitscheck oder für einen Besuch beim Hausarzt."

Herr Brooks sagt, er würde es begrüßen, wenn Arbeitnehmer ein Recht auf zwei Stunden bezahlte Freistellung hätten, um zu Gesundheitstests zu gehen, und wenn diese an Orten durchgeführt würden, an denen Arbeiter beschäftigt sind, z. B. in Industriegebieten.

Aber er sagt, dass dies auch eine Frage der Beschäftigung ist. Einige Männer in diesen Berufen haben Angst, sich gesundheitlichen Problemen zu stellen, die sich in ihren 40ern und 50ern entwickeln, und ignorieren Frühwarnzeichen oder verheimlichen Krankheiten vor ihren Chefs, weil sie befürchten, dass dies ihre Arbeit beeinträchtigen könnte.

Er fügt hinzu, dass Arbeitsplatzsorgen und finanzielle Sorgen zusammen mit Beziehungsproblemen ein wichtiger Grund für die hohen Selbstmordraten bei Männern sind. Drei Viertel der Menschen, die sich das Leben nehmen, sind Männer.

Trotzdem sind nur ein Drittel der Personen, die zu Gesprächstherapien geschickt werden, Männer, was darauf hindeuten könnte, dass die Dienste die Bedürfnisse von Männern nicht ausreichend berücksichtigen.

"Die Art und Weise, wie die Dienste die Anzeichen von Depressionen und Angstzuständen erkennen, entspricht nicht der Art und Weise, wie Männer diese äußern - sie zeigen eher Anzeichen von Wut, missbrauchen Alkohol oder ziehen sich zurück und stoßen Menschen von sich weg", sagt Professor White.


Wenn sie das tun, kann man immerhin sichergehen, dass unsere Medien alles Menschenmögliche tun, um diese Männer zu dämonisieren.



4. Im Magazin Time erklären Wissenschaftler, dass das Modell vom Mann als Versorger eine verhältnismäßig neue Entwicklung darstellt.

"Wir haben diese Erwartung an den Mann als Ernährer erst vor kurzem in unserer Evolution entwickelt. Und das ist schlecht für alle", sagt Melissa Hogenboom, Autorin des in Kürze erscheinenden Buches Breadwinners. "Es ist schrecklich für die Gleichberechtigung der Frauen. Aber es ist auch schlecht für die Männer. Der Druck auf Väter, lange zu arbeiten, ist schädlich für ihre Beziehungen, ihre Kinder und ihre Ehen - und für ihre psychische Gesundheit."

Indem wir die Möglichkeit ausschließen, dass Männer gleichberechtigte, geschweige denn primäre Bezugspersonen sein können, hat unser "Mann-der-Versorger"-Klischee auch den Vätern einen schlechten Dienst erwiesen. Es wurde viel über die jüngsten Erkenntnisse berichtet, dass sich das Gehirn von Müttern während der Schwangerschaft verändert. Doch wie Hrdy in ihrem neuesten Buch Father Time erforscht, verändern sich auch die Gehirne und Hormone von Männern - und diese Veränderungen sind umso ausgeprägter, je stärker sich ein Vater engagiert.

Dass wir dieses Betreuungspotenzial der Männer nicht nutzen, schadet ihnen. "Es ist kein Zufall, dass sich viele Männer überflüssig und übergangen fühlen, dass drei von fünf Todesfällen aus Verzweiflung durch Drogensucht und Selbstmord Männer sind", sagt Hrdy. "Es gibt ein riesiges ungenutztes Potenzial an Fürsorge bei Männern, und indem sie es zum Ausdruck bringen, können sie neue Quellen der Bedeutung finden."

Um es klar zu sagen: Es ist absolut nichts dagegen einzuwenden, wenn eine Mutter ihre Kinder ganztags erzieht; für viele Familien kann das ideal sein. Die Annahme, dass dies der Standard für alle sein sollte, weil es so "schon immer" war, ist jedoch falsch - im wahrsten Sinne des Wortes - und hält alle von ihrem vollen Potenzial ab: sowohl Frauen als auch Männer.




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