Polizeieinsatz an Humboldt-Universität: Referent_innenRat tut sich schwer mit Lektüre von Platon, Rousseau und Kant
Der Fachbereich Gender der Berliner Humboldt-Universität wird offenbar nicht nur von männerbewegten und feminismuskritischen Vereinen wie MANNdat und AGENS an die Grenzen seiner Toleranz gebracht. Kaum anders sieht es bei den "toten weißen Männern" aus, die die Grundlagen unserer Kulturgeschichte bilden.
Wie Fefe, einer der bekanntesten deutschen Blogger, heute berichtet, wurde vorgestern eine Pressemitteilung des studentischen Referent_innenRates der Berliner Humboldt-Universität online gestellt, dessen Verfasser sich rhetorisch ereifern, das "kritische Hinterfragen" an "rassistischen Inhalten einer Vorlesung" werde mittlerweile "polizeilich unterbunden":
"Es ist unglaublich. Das kritische Hinterfragen von Texten und die Auseinandersetzung mit Diskriminierung, gerade in den Erziehungswissenschaften, sollten zentrale Bestandteile unseres Studiums sein. Stattdessen aber wurde verboten, kritische Gedanken zu äußern. Uns wurde unterstellt, ein drohendes Verhalten zu haben. Auch unsere Emailadresse wurde offensichtlich gehackt und nun taucht die Polizei in der Vorlesung auf", sagt eine der Protestierenden, die ungenannt bleiben möchte.
Detaillierter und dadurch fast automatisch mit entgegengesetztem Tenor wird der Sachverhalt in der ebenfalls öffentlich gemachten Mail der Studentin Vera Thaxton dargestellt. Ich betrachte diese Stellungnahme hier als Offenen Brief und dokumentiere sie deshalb entgegen meiner üblichen Gewohnheiten im Volltext – auch um eigene Verkürzungen des dargestellten Sachverhalts zu vermeiden. Sollte das der Autorin so nicht Recht sein, bitte ich um eine entsprechende Info an Cagliostro3@hotmail.com.
Ich möchte hiermit meine Empörung bezüglich der Pressemitteilung des Referent_innenRats vom 11.02.2014 ausdrücken.
Die Situation und die Gründe für die Eskalation der angesprochenen Vorlesung wurden einseitig und zum Teil falsch dargestellt. Wichtige Punkte wurden ausgelassen und der Inhalt wurde so verallgemeinert, dass ein völlig falscher Eindruck entsteht.
Bei der Veranstaltung handelt es sich um eine Einführungsvorlesung für Erstsemester der Erziehungswissenschaft, die den Studierenden einen allgemeinen Überblick über die Geschichte und den Inhalt erziehungswissenschaftlicher Theorien geben soll.
Um sich diesen Überblick zu verschaffen, waren unter den Pflichttexten auch Autoren wie Platon, Kant und Rousseau zu finden, da diese die Erziehung in unserer Kultur maßgeblich beeinflusst haben.
Schon in den ersten Sitzungen kam die Frage auf, wieso wir denn Texte aus der Antike lesen sollten, also aus einer Zeit, in der Frauen unterdrückt und Menschen versklavt wurden. Daraufhin antwortete der Professor, dass man sich mit der Geschichte auseinandersetzen müsse, um diese zu verstehen.
Die Frage danach, warum man bestimmte Texte lesen müsse, wurde im Zusammenhang mit Autoren wie z.B. Kant und Rousseau wiederholt gestellt, woraufhin der Professor seine Antwort wiederholte und darauf verwies, solche Fragen aus Zeitgründen in den Seminaren oder Tutorien zu diskutieren. Die Vorlesung sei nicht das richtige Format dafür. Für die meisten Studierenden der Vorlesung war seine Antwort absolut plausibel und das weitere Nachfragen eine störende Unterbrechung. Vor allem der Ton des Fragenstellers bzw. der Fragenstellerin empfanden viele als respektlos und unangebracht. Auch ich persönlich war geschockt, wie patzig und unsachlich kritisiert wurde.
In den Tutorien diskutierten wir, inwiefern die Fragen gerechtfertigt waren. Es herrschte der Grundkonsens, dass es wichtig sei, Autoren kritisch zu hinterfragen. Die Art und Weise, wie dies in der Vorlesung geschah, wurde allerdings stark kritisiert.
Parallel zu diesen Vorkommnissen wurden auf der moodle-Plattform verschiedene Texte und Links hochgeladen, die sich mit dem Thema Rassismus, Kolonialismus und der Genderproblematik auseinandersetzen. Dies blieb vom Professor unkommentiert, bis dieser Link hochgeladen wurde: https://linksunten.indymedia.org/node/100883
In diesem Link geht es um die Entführung des Bildes von Adolf Butenandt aus dem Foyer des Hauptgebäudes der HU. Dieser Akt war gesetzeswidrig und die Homepage stammt von einer linksradikalen Gruppierung. Der Professor wurde von der Universitätsleitung aufgefordert, diesen Link zu löschen. Er reagierte daraufhin und kündigte an, die moodle-Plattform komplett zu sperren. Nachdem alle Seiten Kritik geäußert hatten, erklärte er sich dazu bereit, die moodle-Plattform für den Austausch zwischen Studierenden offen zu lassen, bat aber darum, nur vorlesungsrelevante Inhalte hoch zu laden.
In der Pressemitteilung klingt es so, als sei der Professor nicht an Kritik und Meinungsäußerungen interessiert. Dies entspricht keinesfalls den Tatsachen. Er forderte lediglich dazu auf, kritische Diskussionen auf die Tutorien bzw. Seminare zu verlegen.
Die "Gruppe gegen Intoleranz" publizierte dann ein öffentliches Schreiben, in dem sowohl die Erziehungswissenschaft als Fach als auch der Professor diskreditiert wurden. Dieses Schreiben wurde als Flugblatt öffentlich ausgehangen und sein Inhalt kam einer Hetzschrift nahe. Als Absender fand man keine Namen. Die Schrift war nur mit "Gruppe gegen Intoleranz" und einer Emailadresse unterzeichnet.
Daraufhin formulierte der Professor eine Stellungnahme, in der er das Vorgehen und den Dogmatismus der Gruppe kritisiert.
Den Höhepunkt dieses Gefechts bildeten dann die Vorfälle in der letzten Vorlesung. Die kleine Gruppe Studierender, die zuvor Fragen gestellt hatte, rekrutierte, wie es aussah, einige ihrer Kommilitonen der Gender-Studies, die dann ironischerweise lautstark applaudierten und jubelten, sobald der Professor anfing zu reden. Diese letzte Vorlesung war für die meisten Studierenden ungemein wichtig, da auf Verständnisfragen bezüglich der klausurrelevanten Themen eingegangen werden sollte. Dies war nun nicht möglich. Der Professor versuchte in dem Chaos auch eine Annäherung, ging zu den Beteiligten, die in den Bänken saßen und versuchte ein Gespräch. Parolen wurden gerufen, er wurde ignoriert.
Sowohl der Professor als auch der Großteil der Studierenden waren perplex und auch geschockt vor dem respektlosen Verhalten der "Gruppe gegen Intoleranz". Ironisch fanden viele den Namen der Gruppe. Toleriert von dieser Gruppe wurde nämlich meist nur ihre eigene Meinung. In Seminaren und Tutorien hatten viele Studierende Angst, eine Meinung zu äußern, die von der Meinung dieser Studierenden abweicht. Anstatt einer Diskussion gab es zum Beispiel in einem Tutorium, das ich besuchte, auf eine kritische Frage die Antwort "Lies einfach mal ein Buch". Ein Gespräch und ein Austausch von Argumenten waren oft gar nicht möglich und schienen auch nicht gewollt zu sein. Die Fronten verhärteten sich immer mehr, bis es zur besagten Eskalation in der letzten Vorlesung kam. Nachdem versucht wurde, Kontakt aufzunehmen, aber die Proteste der aus ungefähr aus 15 Teilnehmer_innen bestehenden Gruppe nicht abbrachen, rief eine/r der Studierenden die Polizei, die daraufhin erschien. Die vier Beamten kamen, die "Gruppe gegen Intoleranz" ging. Alles ging friedlich vonstatten.
Was in der Pressemitteilung außerdem nicht genannt wurde, ist der Betrugsversuch bei der Evaluation. Einige Studierende füllten gleich mehrere Evaluationsbögen aus und versuchten so, das Ergebnis negativ zu beeinflussen.
Der Untertitel der Pressemitteilung "Kritisches Hinterfragen wird an der HU jetzt polizeilich unterbunden" ist ein so irreführender Schriftzug, dass ich mich wirklich fragen muss, wer diesen Artikel in welchem Zustand verfasst hat. Die Aufmachung und Recherche erinnern doch sehr an die Berichterstattung der BILD-Zeitung.
Ich rufe den Referent_innenRat dazu auf, seine Pressemitteilung zurückzurufen und sich journalistisch korrekt mit dem Thema auseinanderzusetzen. Dazu gehört sowohl die Befragung des Professors als auch den Studierenden seiner Vorlesung, die nicht der "Gruppe gegen Ignoranz" angehören. Ich kann Ihnen versichern, dass die überwältigende Mehrheit sich klar gegen diese Gruppe aussprechen und ihre Solidarität mit dem Professor bekunden wird und zwar nicht anonym, sondern mit vollem Namen.
Im Anhang finden Sie eine Darstellung der Mehrheit der Studierenden dieses Moduls.
Hinzufügen möchte ich noch, dass viele im ersten Semester neu an der Universität sind und das Fach "Gender-Studies" noch gar nicht kannten. Die Vorstellung des Faches erfolgte leider auf eine Art und Weise, die zumeist Ablehnung hervorgerufen hat.
Ist es nicht schade, dass ein so wichtiges Fach aufgrund einer radikalen, dogmatischen Gruppe in negatives Licht gerückt wird? Die Gruppe hat durch ihre Vorgehensweise und ihre Attitüde genau das Gegenteil bewirkt von dem, was sie intendierte: Das Starkmachen gegen Intoleranz und gegen die diskriminierende Behandlung von Menschen.
Eine weitere, im Tenor ähnliche Mail liegt von dem Studenten Constantin Weber vor. Hier genügt mir das Zitieren eines Auszugs:
Auch in Bezug auf Sexismus und Gender-Fragen sollte die oben ausgeführte differenzierte Betrachtung von Theorien zur Geltung kommen. Die Tatsache, dass Rousseau seine Pädagogik "vom Kinde aus" in erster Linie für männliche Individuen erdachte, ist zwar aus heutiger Perspektive zu kritisieren, bedeutet aber gleichzeitig nicht, dass seine Idee von der Kindheit als eigenständige Entwicklungsphase, die bei pädagogischen Handlungen stets als solche zu berücksichtigen ist, nicht ohne weiteres in die heutige Zeit übertragbar ist – und zwar auf alle Individuen, unabhängig von ihren geschlechtlichen und sexuellen Identitäten. Die Behauptung, die Lehre und Vermittlung dieser Theorien produziere und reproduziere Rassismus oder Sexismus oder sonstige diskriminierende Geisteshaltungen, ist unter diesen Gesichtspunkten einer kritisch-historischen Beurteilung also unhaltbar.
Der Dozent der Vorlesung ging in einer ähnlichen Weise auf die Kritik der Studierenden ein. Er bestand darauf, dass eine kritische Auseinandersetzung mit Autoren erst stattfinden könne, nachdem man sich mit ihren Theorien beschäftigt hat. Eine vorschnelle Verurteilung von Autoren und die Verweigerung, sich mit ihnen auseinanderzusetzen, lehnte er aus den oben genannten Gründen ab.
Im weiteren Verlauf der Vorlesungsreihe wiederholten sich die oben angeführten kritischen Beiträge in nahezu jeder Vorlesung, und die Studierenden bestanden darauf, dass ihrer Ablehnung der zu behandelnden Autoren in der Vorlesung Rechnung getragen wird, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, dass die überwiegende Mehrheit der übrigen Hörer das Lehrangebot des Dozenten dankbar wahrnehmen wollte.
Was sich aktuell an der Humboldt-Universität abspielt, spiegelt vieles, was in Genderama-Beiträgen immer wieder Thema war: die Ideologisierung US-amerikanischer Universitäten in bestimmten Fachbereichen, die Ausgrenzung von nicht-feministischen Positionen in der akademischen Genderforschung, die Übernahme der Wikipedia durch entsprechend ausgerichtete IdeologInnen, woraufhin Feminismuskritiker pseudo-lexikalisch verunglimpft werden, die studentischen Attacken auf Vorträge von Monika Ebeling an den Hochschulen in Nürnberg und Mainz, die von Ricarda Riechert berichtete Angst von Mitgliedern der Piratenpartei, ihre Meinung frei zu äußern, und dergleichen mehr. Es scheint mittlerweile einen Typus Studenten zu geben, der, obwohl selbst oft gerade einmal Anfang zwanzig, seinen Kommilitonen bereits vorschreiben möchte, welche Veröffentlichungen ideologisch ausreichend rein sind, dass sie gelesen werden dürfen, und bei welchen das nicht der Fall ist. Diese Selbstgewissheit, als einzige Fraktion über die nötige Kompetenz zu verfügen, das zu entscheiden, ist ausgesprochen bemerkenswert. Ich glaube nicht, dass die Einstellung dieser Möchtegern-Dikatoren ... Verzeihung Diktatorinnen und Diktatoren ... urplötzlich und von sich aus entsteht. Sie ist seit einiger Zeit schon im Werden, und welche "Vordenker" bzw. Lieber-Nicht-Denker hier eine Rolle spielen, war ebenfalls schon oft Thema in diesem Blog.
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