Donnerstag, Februar 06, 2014

Lucas Schoppe blickt zurück: Warum der Fall Schwarzers eine historische Chance für die Emanzipation in Deutschland ist

Lucas Schoppe nimmt den aktuellen Fall Schwarzers zum Anlass, auf deren verheerendes Wirken in den letzten Jahrzehnten zurückzublicken. Sie möchten den Text vielleicht ausführlich im Original lesen, oder aber, wenn Ihnen die Zeit dafür fehlt, die geraffte Version hier.

Schoppes Beitrag beginnt mit einer Analyse des TV-Duells zwischen Alice Schwarzer und Esther Vilar im Jahr 1975, in der Schwarzer der Jüdin Vilar (was Schwarzer perfiderweise betonte) unbelegte und unbegründete Faschismusvorwürfe an den Kopf knallte. Schoppe kommentiert:

Vermutlich hatte es dreißig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust für viele Deutsche eine erhebliche schuldentlastende Funktion, dass eine Jüdin im deutschen Fernsehen, zudem ohne nachvollziehbare Begründung und für die Angreiferin völlig folgenlos, als Faschistin und Stürmer-Agitatorin beschimpft werden konnte. Das legt die Frage nahe, ob sich nicht überhaupt der Erfolg Schwarzers ganz anderen Elementen ihrer öffentlichen Stellungnahmen verdankt als dem Klischee, sie habe für die Gleichberechtigung von Frau und Mann gekämpft.


Was Schwarzers Entwicklung in den letzten Jahrzehnten angeht, befindet Schoppe:

Eine wesentliche Wurzel für die Frauenbewegung der zweiten Jahrhunderthälfte war in Deutschland die "68er-Bewegung". Es müsste für Alt-68er eigentlich seltsam sein zu sehen, wo ihre Bewegung mit Schwarzer angekommen ist – nämlich in der dauerhaften Ko-Operation mit Springers Bild-Zeitung zur systematischen öffentlichen Hetze gegen Einzelne.


(Man sollte hier allerdings erwähnen, dass Schwarzer eben wegen ihrer oft haarsträubenden Agitation von vielen Linken, nicht nur linken Männerrechtlern, sehr viel kritischer gesehen wird als von vielen Konservativen. So wundert es nicht, dass nicht nur auf Genderama zitierte Zeitungen wie die "junge welt" und das "Neue Deutschland" Schwarzer in den letzten Tagen geißelten, während die "Welt" zu ihr hielt; auch unter meinem linken bis punktuell sogar radikal linken Bekannten auf Facebook war und ist die Häme über Schwarzer in dieser Woche immens, und zwar offenkundig auch vor dem Hintergrund von Schwarzers Vergangenheit. Deutliche Kritik an Alice Schwarzer ist seit über 20 Jahren in den verschiedensten linken Veröffentlichungen enthalten. Pikant ist natürlich, dass jemand wie der umstrittene Publizist Andreas Kemper, der sonst das Etikett "rechts" an die unpassendsten Personen pappen möchte, mit einer Nähe zu Alice Schwarzer nicht die geringsten Probleme zu haben scheint.)

Schoppe führt Schwarzers Positionen in verschiedenen Feldern aus und fasst ihre politische Haltung dann so zusammen:

Ein autoritärer Staat, der nicht lange fackelt – starre und leicht erkennbare Freund-Feind-Muster – ein herrischer und beliebiger Umgang mit der Wahrheit – Gewaltnähe – Verweigerung von demokratischen Debatten – das Festhalten an Strukturen, die sich längt überlebt haben – ein starres Gefühl eigener moralischer Überlegenheit und die beständige Weigerung, sich und andere an denselben Maßstäben zu messen: Der Feminismus, für den Schwarzer steht, hat durchgängig alle Merkmale einer autoritären, reaktionären Politik.

Nun gibt es möglicherweise in vielen Ländern, auch in Deutschland, eine heimliche Sehnsucht nach einer solchen Politik, nur dass diese Sehnsucht eben gerade in Deutschland aus guten Gründen besonders verpönt ist. Die Ursache für den Erfolg von Schwarzers Feminismus ist also möglicherweise nicht, dass sie sich für Gleichberechtigung eingesetzt hat – denn das hat sie nicht.

Die Ursache ist wohl, dass sie seit Jahrzehnten autoritäre und reaktionäre Sehnsüchte in einer schuldbefreiten Version bedient. Feminismus – als Behauptung, in einer "Männerherrschaft" für den Schutz von Frauen tätig werden zu müssen – ist hier gleichsam eine Maschine, die beständig Persilscheine produziert.


Ein Problem ist, dass Schwarzers Haltung auch in weiten Teilen des übrigen Feminismus vorherrscht:

Ob Aufschrei, Mädchenmannschaft oder Femen in Deutschland – auch der Feminismus jüngerer Generationen arbeitet mit denselben betonierten Freund-Feind-Schemata, die schon Schwarzer seit jeher verwendet. Wäre beispielweise die liberale französische Feministin Elisabeth Badinter eine Deutsche, dann würde sie hier als Antifeministin gelten und auf entsprechenden Hater-Listen landen.


Das kannst du aber singen!

Indem Positionen wie die Vilars, im Wortsinne, aus dem Diskurs geprügelt wurden, hat sich eine Idee etabliert, die von jüngeren Feministinnen unbeirrt weitergetragen wird: die offen idiotische Idee nämlich, eine sinnvolle Geschlechterdebatte könne am besten unter Ausschluss der Männer geführt werden.


So sieht Schoppe in Schwarzers aufgeflogenem Steuerbetrug eine große Chance für die Emanzipation in Deutschland:

Wenn Schwarzers auf Autopilot gestellte Dauerpräsenz in den Massenmedien tatsächlich zu Ende gehen sollte, ergibt sich daraus vielleicht die Gelegenheit, einmal in Ruhe die Frage zu stellen, welche Chancen in den vergangenen Jahrzehnten eigentlich verpasst, sogar zerstört wurden – durch eine reaktionäre, feministisch betonierte Geschlechterdebatte, die nicht auf rationalen Austausch, sondern moralisierend auf beständig verfügbare Gut-Böse-Holzschnitte setzte, nicht auf Kooperation, sondern auf Konfrontation, nicht auf den Austausch verschiedener Perspektiven, sondern auf den Ausschluss der einen Hälfte der Bevölkerung aus dem Gespräch.

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