Wissenschafts- und Meinungsfreiheit an TU Berlin unter Beschuss – Offener Brief von Prof. Gerhard Amendt
Für morgen, den 26. November 2013, hatte die Fachschaft der Technischen Universität Berlin in Zusammenarbeit mit der Fakultät Wirtschaft und Management eine Veranstaltung mit Kurzvorträgen und einer Podiumsdiskussion angekündigt. Das Thema: "Zwischen Gleichberechtigung und Gleichmacherei – brauchen wir eine gesetzliche Frauenquote?"
Eingeladen waren: Thomas Sattelberger, ehemaliger Vorstand der Deutschen Telekom, Erik Marquardt, Mitglied des Kuratoriums der TU Berlin, Professor Dr. Gerhard Amendt, Soziologe mit Schwerpunkt Geschlechter- und Generationenforschung, Dr. Florian Schilling, Partner bei Board Consultions International, sowie Johannes Schneider, Redakteur des Tagesspiegels.
In dem Flyer zur Veranstaltung heißt es unter anderem:
Um zu verhindern, dass typische Geschlechterklischees den Inhalt der Diskussion überschatten, haben wir uns für einen ungewöhnlichen Ansatz entschieden. Ausschließlich männliche Redner werden befürwortende und ablehnende Meinungen mit euch diskutieren. Denn nicht nur Frauen haben eine Meinung zu diesem Thema. (...) Gegenstand der Diskussion ist eine gesetzlich verpflichtende Quote für Frauen und Männer von je 40% in Vorständen und Aufsichtsräten von großen Unternehmen, die bis 2020 umgesetzt werden soll. Ist sie ein wichtiger und richtiger Schritt in Richtung Gleichberechtigung oder katapultiert sie Frauen in Positionen, für die sie nichts außer ihrem Geschlecht qualifiziert?
Am Samstag wurde Gerhard Amendt kurzfristig von der Fachschaft der TU-Berlin ausgeladen. Der Grund dafür: zunehmende interne und externe Proteste und Bedrohungsszenarien, die teilweise anonym über das Internet erfolgten.
Darüber hinaus protestierte der AStA der TU Berlin in einem phantasievollen Text gegen die Teilnahme des Schriftstellers Bernhard Lassahn. Und ausgerechnet die "Linke Liste" ist empört darüber, dass Prof. Amendt die Nähe der feministischen Ideologie zu antisemitischen und rassistischen Diskursen problematisiert – was offenbar lieber unter den Teppich gekehrt werden soll.
Ja, Sie haben es richtig verstanden: Linke erzeugen Druck, damit ein jüdischer Wissenschaftler an einer deutschen Universität nicht auftreten kann, weil er antisemitische und dem Antisemitismus ähnliche Diskurse kritisiert hatte - womit Amendt übrigens frühere Analysen aufgreift. Und die Fachschaft der TU Berlin beugt sich diesem Druck. Nach diesen und anderen Attacken geißelte sich die Fachschaft der TU Berlin öffentlich auf Facebook:
Was haben wir falsch gemacht?
Unsere vorherige Formulierung im Facebook-Event war missverständlich und ein Fehler! Wir bedanken uns für die Kritik und haben daraus gelernt. Außerdem entschuldigen wir uns für die unklare Vermittlung unseres Konzepts. Da wir uns seit Monaten mit der Planung des Abends beschäftigen und intern viele Gespräche darüber geführt haben, gingen wir fälschlicherweise davon aus, dass unsere Intention verstanden wird. Doch nach außen hin haben wir unsere Entscheidung für ein rein männliches Podium nicht ausreichend kommuniziert. Wir hätten das Konzept viel detaillierter und genauer beschreiben müssen. Das haben wir versäumt.
Die Rednerauswahl verlief ebenfalls nicht fehlerfrei. Diese gestaltete sich jedoch nicht nach persönlichem Geschmack, sondern nach Diskussionspotential. Wir wissen, dass Prof. Amendt sehr kontroverse Ansichten vertritt und teilen diese nicht – doch lag unser anfänglicher Ansatz darin, dass ein breites Rednerspektrum den Diskussionsabend bereichern kann. Wir haben jedoch unterschätzt wie extrem diese Meinung ist. Wir dachten, dass eine gute Moderation, interessante Beiträge aus dem Publikum und eine gute Mischung aus Pro- und Contra-Positionen den Abend bereichern und eben nicht gezielt in eine Richtung lenken. Dass viele Menschen die Einladung eines solchen Herrn als Beleidigung aufnehmen könnten, war uns nicht bewusst. Dort haben Weitsicht und Feingefühl unsererseits gefehlt. Darüber haben wir noch einmal viel diskutiert und unseren Ansatz überdacht. Wir sehen ein, dass es falsch war, einem Redner mit solch radikalen Einstellungen eine Bühne zu bieten, und haben Prof. Amendt daher ausgeladen.
Kurz nach der Ausladung Professor Amendts soll auch der Vertreter der TU Berlin abgesagt haben. Damit ist unklar, ob die Veranstaltung überhaupt noch stattfindet.
Auf diese Entwicklungen reagierte Professor Gerhard Amendt nun mit folgendem offenen Brief an die Fachschaft, über den Amendt zeitgleich auch den Präsidenten der TU Berlin, Professor Jörg Steinbach, kollegial in Kenntnis setzte:
Liebe Frau Schachel,
meine Ausladung von der Veranstaltung über die Frauenquoten als einer Politik "Zwischen Gleichberechtigung und Gleichmacherei" – veranstaltet von der Fachschaft und Fakultät für Wirtschaft und Management an der TU Berlin – ist als respektvoller Versuch angelegt, mein Einverständnis dafür zu erlangen, dass meine Grundrechte auf freie Meinungsäußerung und Wissenschaftsfreiheit suspendiert wurden. Allerdings steht es nicht meinem Belieben, so etwas hinzunehmen, so wenig es in Ihrem steht, sich dem inneruniversitären Druck, den anonymen Drohungen aus dem Internet wie Teilen der Berliner Szene zu unterwerfen, die Beschneidung von Freiheitsrechten immer dann fordern, wenn Geschlechterbeziehungen jenseits von Platituden und Feindbildern erörtert werden sollen.
Bedauerlicherweise beugt sich auch die Leitung der TU diesem Druck, statt dem Verhalten des Rektorats der Heinrich-Heine-Universität von 2008 und 2010 zu folgen, der unerschrocken zweimal Randallierwillige und Diskussionsverweigerer mit ordnungsrechtlichen Maßnahmen in die Schranken des Rechtsstaates verwiesen hat. Und es dürfte abermals die Berliner Gleichstellungsbürokratie sein, die diesmal ein Drohszenarium vor Ort ausgebreitet hat. Nochmals: Weder darf ich Ihnen die Verletzung meiner Grundrechte nachsehen, noch haben Sie oder die Universität ein Recht, solche Verletzungen hinzunehmen.
Außerdem ist nicht nachvollziehbar, warum meine Quotenkritik zurückgewiesen wird. Kritisiere ich doch, dass die Quote Frauen ausnahmslos neuerlich dem traditionsreichen Verdacht aussetzt, dass sie es außerhalb der Familie allein nicht schaffen, sondern ein fördernder Ehemann oder staatliche Hilfe vonnöten seien, damit sie es schaffen. Das habe ich in einer kleinen Schrift unter dem Titel Frauenquoten – Quotenfrauen. Einem geschenkten Gaul ... dargestellt. Wahrscheinlich hat keiner der Kritiker das gelesen. Und entgangen scheint diesen ebenso, dass in Wien Medizinstudentinnen sich bereits gegen staatliche Bevorzugung wehren, weil sie keine Frau Dr. med quote von Staatswegen werden wollten.
Mehr als das scheinen die diskussionsunwilligen Gegner mir aber nachzutragen, dass ich 2009 mich gegen Frauenhäuser aussprach. Allerdings unterschlagen sie, dass ich stattdessen für Zentren für Familien mit Gewaltproblemen plädiert habe, die allen Familienmitgliedern professionelle Hilfe jenseits von politischen Ideologien leisten. Wer auf Feindbilder verzichten und sich mit meinen Analysen der Geschlechterverhältnisse auseinandersetzen will, dem empfehle ich Von Höllenhunden und Himmelswesen (November 2013). Es ist ein Plädoyer für eine neue Geschlechterdebatte, die auf Diskussion beruht und fremde Meinungen ertragen kann. Für den Abschied von Klischees über Gewalt in Geschlechterbeziehungen eignet sich auch das 2014 erscheinende aus dem Englischen übersetzte Handbuch über Familiäre Gewalt und Interventionen.
Völlig unverständlich ist mir, wie angehende Akademiker sich von "Meinungen" beleidigt fühlen können. Die Universität beruht gerade darauf, dass selbstverständlich Erscheinendes auf unhinterfragte Voraussetzungen reflektiert wird. Wer das nicht als privilegierte Chance für neue Erfahrungen erlebt, sondern sich davon beleidigt fühlt, der verkennt das Wesen der kritischen Analyse. Der sollte die Universität verlassen, denn anders wird er seine festgefahrenen Ansichten vor dem Einbruch fremder Perspektiven nicht schützen können.
Sie hoffen in Ihrer Email, dass ich "Ihre Lage nachvollziehen" kann. Gewiss, aber ich messe Sie an Ihrem politischen Verhalten. So mutig Ihr Unterfangen anfangs war, so haben Sie vergessen, dass Grundrechte wieder im Alltag auch kämpferisch bestätigt werden müssen.
Bitte veranlassen Sie, dass innerhalb der TU und den sozialen Netzwerken, sowie Personen und Organisationen dieses Schreiben zur Verfügung steht. Selbstverständlich werde auch ich diesen außergewöhnlichen Vorgang der Öffentlichkeit und der Presse in geeigneter Weise zur Kenntnis bringen. Ebenso bitte ich Sie, mein Schreiben den verbliebenen Podiumsmitgliedern umgehend zur Verfügung zu stellen. Denn wahrscheinlich wollen weder der Schriftsteller, Bernhard Lassahn, der Redakteur des Tagesspiegel, Johannes Schneider, Dr. F. Schilling, Partner bei Board Consultants International, noch Thomas Sattelberger, ehemaliger Vorstand Deutsche Telekom, an einem durch Zensur ausgedünnten Panel sich beteiligen.
Es ist ein bedrückendes Symptom, dass alle Welt dieser Tage über die Frauenquote spricht, dass aber ausgerechnet an der TU Berlin, Genderforscher und Frauenbeauftragte eine von Studenten initiierte Debatte abwürgen, ohne dass die Universität sich geschlossen gegen die Verletzung der Wissenschafts- und Meinungsfreiheit stellt?
Mit besten Grüßen
Prof. Dr. Gerhard Amendt
Ergänzt wird dieser offene Brief durch eine kurze Mail Bernhard Lassahns, die ebenfalls zur Veröffentlichung freigegeben ist:
Sehr geehrte Hanna Schachel!
Ausdrücklich danke ich Ihnen für Ihre Mühe und den Versuch, eine Pro-und-Contra-Diskussion zu veranstalten. Allein: Es ist nicht möglich. Das spricht nicht gegen Sie, sondern gegen die Zustände an der TU. Es ist nicht Ihre Aufgabe, für Sicherheit zu sorgen und in feinfühliger Voraussicht sich denen zu beugen, die so eine Diskussion unmöglich machen wollen. Die Argumente sind vorhanden. Natürlich hat jeder die Freiheit, ein Buch nicht zu lesen. Wenn jedoch ein Argument nicht mehr vorgetragen und zur Diskussion gestellt werden darf, dann ist das nicht nur eine Einschränkung der Meinungsfreiheit, sondern auch eine Einschränkung der Möglichkeiten des Studiums an so einer Universität.
Freundliche Grüße
Bernhard Lassahn
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