Hin zu einer maskulistischen Filmkritik: "The Central Park Five"
Am 20. April 1989 wurde im New Yorker Central Park eine Joggerin brutal vergewaltigt. Das Verbrechen erregte großes Aufsehen und führte auch außerhalb New Yorks zu Entsetzen und Wut. Das Opfer, die 28jährige Bankmanagerin Trisha Meili, brauchte Jahre, um sich von den körperlichen und seelischen Folgen der Tat weitestgehend zu erholen; ihre Identität blieb anonym, bis sie sich 2003 mit einem Buch über ihr Erlebnis outete. Ein Jahr zuvor hatte der Täter, Matias Reyes, der schon wegen anderer Schwerverbrechen lebenslang hinter Gittern saß, die Vergewaltigung gestanden. Dabei nannte er Details des Verbrechens, die außer den Ermittlern nur der Täter wissen konnte; auch stimmte Reyes DNS mit den DNS-Spuren überein, die man an Tatort und Opfer gefunden hatte.
Ein Umstand, der diesen Fall allerdings besonders problematisch gemacht hatte, war, dass fünf männliche Jugendliche im Alter von 14 bis 17 Jahren kurz nach der Tat verhaftet worden waren, woraufhin man ihnen eine spektakulären Prozess bereitete und sie jeweils für bis zu sieben Jahren ins Gefängnis gesteckt wurden. Der letztes Jahr in den USA veröffentlichte Film The Central Park Five, der diese Woche in den USA auch als DVD herauskam, erzählt die Geschichte dieses Justizirrtums. Kinokritiker äußerten sich über den Film weit überwiegend begeistert.
Im wesentlichen erzählt und zeigt der Film, auch mithilfe von dokumentarischen Aufnahmen der Verhöre, Ablauf und Hintergrund des Falles: Dass fünf unschuldige Jugendliche statt des Täters vor Gericht landeten, war zum einen dem Umstand zu verschulden, dass Meili zunächst im Koma lag und sich nach dem Erwachen nicht mehr an das Geschehen erinnerte. Zum anderen, und das dokumentiert der hier vorgestellte Film, gab es gegen die im Park aufgegriffenen jungen Männer einen Furor, der rationales Abwägen bei etlichen Menschen völlig außer Kraft setzte. Auch legte jeder der Jugendlichen ein volles Geständnis ab, nachdem Polizisten sie 14 bis 30 Stunden hintereinander verhört hatten. Dass die Geständnisse widerrufen wurden, sobald die Jugendlichen wieder psychisch bei Kräften waren, interessierte ebensowenig wie dass die "Geständnisse" und scheinbaren Berichte über den Tathergang in keiner Weise zusammenpassten. Ebensowenig ergab der konstruierte Zeitplan keinerlei Sinn: Zu dem Zeitpunkt, als die Vergewaltigung geschehen sein musste, hielten sich die Jugendlichen nachweislich in einem vom Tatort weit entfernten Teil des Central Parks auf. Und schließlich ließen sich an Tatort und Opfer keine einzige Spur von DNS finden, die mit der DNS der Angeklagten übereinstimmte. Hätten rationale Überlegungen eine größere Rolle gespielt, hätten die Jugendlichen zügig freigesprochen werden müssen. Stattdessen wurden sie als Erwachsene vor Gericht gestellt und landeten in Gefängnissen, in denen erwachsene Gewaltverbrecher verwahrt wurden.
Der irrationale Eifer der Ermittlungsbehörden lässt sich fast nur vor dem Hintergrund der Hysterie erklären, die dieses Verbrechen in New York erzeugte. Am Tag nach der Tat sprach der zuständige Polizeichef, Robert Colangelo, in einer Pressekonferenz davon, dass Meili offenbar "von einem Dutzend junger Männer" angegriffen worden war. Die Namen der verhafteten Jugendlichen, einschließlich eines 14jährigen, wurden von den Behörden an die Medien weitergegeben. Die Presse überschlug sich mit immer dramatischeren, verdammenderen Artikeln und bezeichnete die Jugendlichen in ihren Schlagzeilen als "Wolfsrudel". Der damalige New Yorker Bürgermeister Koch bezeichnete sie als "Monster" und verkündete vor Journalisten, wenn immer eine Großmutter sage, "aber er ist ein guter Junge, er hat niemals irgendwas getan", dann "glauben Sie ihr nicht!" Der rechtskonservative US-Politiker Patrick Buchanan erklärte in einem von ihm verfassten Zeitungskommentar, dass "wenn man den Ältesten aus diesem Wolfrsrudel aufhängen würde, der Park wieder sicher für Frauen" wäre. Feministinnen und andere aufgebrachte Bürger forderten lautstark, dass endlich hart durchgegriffen werden müsse.
Ein entscheidender Faktor für das Entstehen dieses überbordenden Massenzorns dürfte darin bestanden haben, dass bei den fälschlich Veurteilten mehrere entscheidende Diskriminierungsfaktoren – "race", "class" und "gender" – intersektionell zusammenspielten: Bei den jungen Männern handelte es sich um Schwarze und Latinos aus der Unterschicht. Hier liegt die Beobachtung nahe: Wenn in Harlem ein schwarzer Mann von anderen schwarzen Männern ins Koma geprügelt wird, gibt es einen derartig starken öffentlichen Aufschrei wie im Fall der Central Park Five nicht. Aber eine weiße Bankmanagerin, die von fünf schwarzen Männern aus der Unterschicht übel zugerichtet worden sein soll, scheint atavistische Ängste und Vorurteile anzusprechen, dem gegenüber nüchterne Analysen keine Chance mehr hatten.
Zwei dieser Diskriminierungsfaktoren beleuchtet der Film sehr gut: "race" und "class", also die ethnische und die Klassenzugehörigkeit. Hier bindet die Dokumentation die Ermittlungen und den Prozess ein in die Spannungen, die im New York der späten achtziger Jahre zwischen sozial deklassierten ethnischen Minderheiten und der weißen Mehrheitsbevölkerung bestanden. Leider verzichtet er darauf, in derselben Weise auch über die Zugehörigkeit zum männlichen Geschlecht als Diskriminierungsfaktor zu sprechen. Beispielsweise wäre es problemlos möglich gewesen, die irrationalen Ermittlungen und falschen Geständnisse der vermeintlichen Täter in Verbindung zu bringen mit ebenso irrationalen Ermittlungen und falschen Geständnissen, die in den USA etwa zeitgleich im Zusammenhang mit einer Hysterie wegen angeblich massenhaften sexuellen Missbrauchs von Kindern zu verzeichnen waren. Wie beispielsweise Debbie Nathan und Michael Snedeker in ihrer Analyse Satan's Silence darlegen, entstand unter dem Einfluss bekannter Feministinnen wie Gloria Steinem und Catharine McKinnon im Zusammenhang mit "satanischem Missbrauch" in der kalifornischen Vorschule McMartin eine Empörungswelle, die ebenfalls jegliches klares Denken außer Kraft setzte. Beispielsweise wurden von 1985 an unter der Vorschule von Ermittlern nach "Missbrauchstunneln" gegraben und man spekulierte, etliche Kinder seien einer Gehirnwäsche unterzogen worden, so dass sie sich nicht daran erinnerten, auf unterirdischen Altären missbraucht oder von Pornoringen außer Landes geschafft worden zu sein (woraufhin sie gerade rechtzeitig zurückgebracht wurden, damit ihre Eltern sie wieder aus der Vorschule abholen konnten). Wenn dieser Exkurs zu ausschweifend geworden wäre, hätten die Macher von "The Central Park Five" auch auf die zu diesem Zeitpunkt besonders einflussreichen Artikel des männerfeindlichen Forschers Michael Kimmel hinweisen können. Kimmels Buch "Men's Lives" etwa, das in eben jenem Jahr erschien, als die Central Park Five schuldlos verurteilt wurden, reduzierte, wie Walter Hollstein zusammenfasst, das Leben von Männern im Wesentlichen auf Machterwerb und Konkurrenz, Gewalt, Krieg, die Unterdrückung von Mädchen und Frauen, sexistische Witze, sexuellen Missbrauch, Vergewaltigung und Pornographie. Zwischen dieser Vermonsterung von Männern im allgemeinen durch "Forscher" wie Kimmel und die Dämonisierung von fünf ganz konkreten Männern hätten die Filmemacher durchaus einen Zusammenhang herstellen können.
Der Film "The Central Park Five" macht insofern vieles bewusst deutlich und eines unfreiwillig: Während es in unserer Gesellschaft bereits eine starke Sensibilität für Diskriminierung insbesondere wegen ethnischer Zugehörigkeit und Hautfarbe gibt, existiert dieselbe Sensibilität noch nicht im Zusammenhang mit der Diskriminierung von Männern. So war die ganzen neunziger Jahre hindurch und darüber hinaus in den USA Polizeigewalt gegen ethnische Minderheiten ein Skandalthema. Nachdem im Jahr 1991 Videoaufnahmen davon publik wurden, wie der Schwarze Rodney King in Los Angeles von Polizisten zusammengeprügelt wurde, erregten mehrere ähnliche Fälle von überbordender Polizeigewalt öffentliche Aufmerksamkeit. Dieses Interesse an institutionalisiertem Rassismus erreichte einen Höhepunkt im Jahr 1999, als Amadou "Ahmed" Diallo, ein 22jähriger Einwanderer in der Bronx von 41 Polizeikugeln niedergemäht wurde, als er nach seiner Brieftasche griff, um sich auszuweisen – die Polizisten vermuteten, er greife nach einer Waffe. "Fast alle Opfer von Todesfällen in Polizeigewahrsam oder bei Schusswechseln mit der Polizei entstammten ethnischen Minderheiten wie Afro-Amerikanern, Latinos und Asiaten" hatte Amnesty International bereits 1996 in einer Studie über Polizeigewalt in New York City erklärt. Das sind wichtige Erkenntnisse, aber eine weitere wichtiges Erkenntnis, merkt der Professor für Politikwissenschaft Adam Jones in seinem Buch Gender Inclusive an, wird oft übersehen: Fast alle Opfer waren Männer – und das Geschlecht spielt hier eine noch größere Rolle als die ethnische Herkunft: Eine vergleichbare Brutalität gegen weibliche Mitglieder ethnischer Minderheiten gibt es nicht. Man könnte hinzufügen: Es wurde auch noch niemals eine Frau Opfer von dermaßen einseitiger und verantwortungsloser Ermittlungsarbeit und einer derartig massiven medialen Vorverurteilung wie die Central Park Five.
Auf der Website der männerfreundlichen Feministin Wendy McElroy führt der Rechtsanwalt Marc Angelucci mehrere Studien an, die belegen, dass Männer für dasselbe Verbrechen empfindlich schwerer bestraft werden als Frauen. Während etwa eine schwarze Hautfarbe, das Risiko, im Gefängnis zu landen, um 19 Prozent hebe, hebe die Angehörigkeit zum männlichen Geschlecht dieses Risiko um 165 Prozent. Auch die Dauer der Haft wird mehr dadurch verlängert, dass die betroffene Person männlich ist als durch jeden anderen Faktor der Diskriminierung einschließlich der ethnischen Herkunft. Und mehr noch: Wer statt einem Mann eine Frau tötet, muss mit einer im Schnitt um 40,6 Prozent höheren Haftzeit rechnen.
In Linda Mealeys Fachbuch zur Geschlechterforschung Sex Differences. Developmental and Evolutionary Strategies heißt es: "Weil den Handlungen von Menschen Vorurteile unterliegen, führt es zur Diskriminierung im Justizsystem, dass Männer mit Verbrechen und Gewalt assoziiert werden. Versuche mit simulierten Geschworenenverfahren etwa zeigten, dass männliche Angeklagte eher für schuldig gehalten werden als weibliche und dass Angeklagte härter behandelt werden, wenn das Opfer weiblich ist. Eine Studie zeigte, dass sogar wenn sie das Opfer sind, Männer eher Mitschuld an einem Verbrechen gegeben wird als Frauen." Auf all diese Dinge hätte der vielgelobte Film aufmerksam machen können. Leider hat er darauf verzichtet.
Dreizehn Jahre nach der Vergewaltigung Trisha Meilis und nachdem die Central Park Five ihre Haftstrafen bereits abgesessen hatten, wurde das Gerichtsurteil gegen sie revidiert. Das Presseecho war daraufhin bei weitem schwächer als die medialen Vorverurteilungen im Jahr 1989. Mehrere Journalisten forderten, die vermeintlichen Täter nicht so schnell von ihrer angeblichen Schuld freizusprechen. Die Strafverfolgungsbehörden erklärten, bei ihren Ermittlungen keinerlei Fehler begangen zu haben. Linda Fairstein, eine der beiden verantwortlichen Staatsanwältinnen, die auf der Grundlage ihres entschiedenen Vorgehens gegen die Central Park Five eine steile Karriere gemacht hatte, erklärte, sie halte die fünf noch immer für schuldig.
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