Sonntag, Juli 15, 2012

Beschneidung: Nur Linke schert bei Parteienkonsens aus

Alle Bundestagsparteien scheinen bis auf einige wenige Politiker weitgehend darüber einig, mit einem Sondergesetz die Genitalverstümmelung bei Jungen zuzulassen. Widerspruch besteht derzeit nur bei der Linkspartei:

Der religionspolitische Sprecher Raju Sharma sagte der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, eine Beschneidung sei ein "schwerer Eingriff" in die körperliche Unversehrtheit eines Kindes. Diese habe der Staat zu schützen. Dagegen müssten die auf religiösen Traditionen begründeten Wünsche der Eltern zurückstehen. Insofern sei das Kölner Urteil "im Kern eine zutreffende Güterabwägung".


Auch den rechtspolitischen Sprecher der Linkspartei, Jens Petermann, zitiert die FAS mit grundsätzlicher Zustimmung zum Kölner Anti-Beschneidungs-Urteil.

In der Männerbewegung sieht die Mehrheitsverteilung umgekehrt aus. Hier gehören Einzelstimmen aus dem rechten/konservativen Umfeld, etwa Thomas Lentze und Michael Klein, zu den Abweichlern.

Auch von Genderama-Lesern gibt es zu dieser Debatte einiges Feedback. Während einer MANNdat oder AGENS im Ernstfall eine Verfassungsklage vorschlägt, weist ein anderer auf das letzte Lexikon hin, worin zahlreiche obsolete, kuriose und unsinnige Einträge aus Enzyklopädien der letzten 150 Jahre (Brockhaus, Meyer, Herder etc.) zitiert werden. Auf den Seiten dieses Buches sei er auf eine Passage gestoßen, bei der er Parallelen zur Debatte um die Beschneidung erkennt:

KINDERARBEIT ist "gesund". "Wir wollen zu beweisen suchen ... daß es in Bezug auf die Kinder kein Geschäft gibt, das so gesund und bequem ist als gerade die Baumwollspinnerei." Der Beweisgang ist einigermaßen kompliziert und zieht über die "unzweifelbaren Tatsachen" alle rhetorischen Register bis zur "Absurdität und Ungerechtigkeit des Geschreies über den Fabrikanten in Betreff der Kinder". Am Ende hilft nur der Verweis auf die Konkurrenz der Religionen, notorisch das Feld von Ressentiments: "Das Schmähsystem in England ist gewissermaßen dem ähnlich, welches sich die Heiden gegen die Christen bedienten, wenn sie dieselben beschuldigten, sie lockten Kinder in ihre Versammlungen, um sie zu schlachten und zu verzehren." Conclusio: "Wenn es zu irgendeiner Zeit Grausamkeiten gab, so waren nicht die Fabrikherren, sondern die Arbeiter die Schuldigen." (Meyer 1839 - 55, Artikel "Manufaktur")


Mein Leser merkt hierzu an:

Die Art, wie die Kinderarbeit vor 150 Jahren verteidigt wurde, erinnert bemerkenswert an die Argumentationslinie der heutigen Beschneidungsbefürworter ("Beschneidung ist gesund, Kritik daran ist absurd und erinnert an antisemitische Vorurteile"). Wenn es um die Rechtfertigung von Kindsmisshandlung geht, scheinen die Täter offenbar immer in die gleichen Argumentationsmuster zu verfallen. Heute dagegen haben sich die damals "absurden und ungerechten" Ansichten über Kinderarbeit zumindest in der westlichen Welt allgemein durchgesetzt.


Ein Leser aus dem linken Spektrum der Männerbewegung weist mich auf drei Kommentarbeiträge hin, die er in der Beschneidungsdebatte für lesenswert hält: zwei von Alexander Roslin und einer von Leszek. Bemerkenswert ist einmal mehr, dass die in diesen Kommentaren enthaltenen Informationen und Argumente in der Mediendebatte über Beschneidung nur äußerst begrenzt vorkommen. Bei Leszeks Beitrag ist der Verweis auf Terre Des Femmes besonders interessant, wo man ebenfalls offen von "männlicher Genitalverstümmelung" spricht.

In New York fand am Freitag eine Demonstration von Juden zugunsten des Kölner Urteils gegen Beschneidungen statt. (Unter dem letzten Link findet man zahlreiche weitere News zur Beschneidungsdebatte.) Hierzulande setzt Phimose-Info Deutschland auf eine Briefaktion.

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