Sonntag, Juli 26, 2009

"Diese Frauen sind nicht naiv"

Ein herzlicher Dank geht an Genderama-Leser J.K., der mich auf ein Interview in der "Neuen Zürcher Zeitung" aufmerksam macht. Die Einleitung des Artikels:

Sind Prostituierte aus der Dritten Welt alle Opfer von Frauenhandel und Ausbeutung? Nein, sagt die renommierte Soziologin Laura María Agustín. Die Entrüstung unter Feministinnen ist gross.


Viele meiner Leser wissen, dass ich mich zwar selbst gegen Zwangsprostitution engagiere (so wie gegen andere Formen von sexueller Gewalt), dass ich die von einigen heraufbeschworenen Betroffenenzahlen aber für weit überzogen halte. (Ausführlicher behandle ich das Thema in meinem Buch "Die Sklavenmädchen von Wiesbaden".)

Zwei Auszüge aus dem Interview mit Laura María Agustín:

NZZ am Sonntag: Frau Agustín, Sie schreiben in Ihrem Buch, der vorherrschende Diskurs über Prostitution sei geprägt von einem «fundamentalistischen Feminismus». Was meinen Sie damit?

Laura María Agustín: Damit meine ich Feministinnen, die davon ausgehen, dass Frauen über alle kulturellen und sozialen Grenzen hinweg eine gemeinsame Essenz und ein gemeinsames Schicksal teilen: nämlich Opfer der männlichen, sexuellen Gewalt zu sein. Frauen sind für sie generell Opfer und Prostituierte ganz besonders. Prostitution heisst für diese Art Feministinnen Vergewaltigung, und also müssen die Prostituierten gerettet werden. Diese Axiome zu leugnen, ist für sie gleichbedeutend mit einer Leugnung des Holocaust, denn auch hier geht es angeblich um eine Art Genozid: an den Frauen. Das Leiden und der irreparable Schaden, der durch Sex ohne Liebe verursacht wird, ist für sie mit keinem andern Leiden zu vergleichen. Das sind Vorstellungen von weissen, christlichen Mittelstands-Frauen, die dann auf die ganze Welt projiziert werden. Ursprünglich ging es im Feminismus doch darum, Verantwortung zu übernehmen, oder? Aber heute sieht man nur noch überall Opfer. (…)

NZZ am Sonntag: Sie legen in Ihrem Buch viel Wert auf die Tatsache, dass sich nicht nur Frauen prostituieren. Warum?

Laura María Agustín: Es wird oft so getan, als ob es nur wenige Männer gäbe, die sich prostituieren. Das ist schlicht nicht wahr, vor allem, wenn wir neben den Gigolos und Strichern auch Transsexuelle und all diese Formen von Prostitution jenseits der eindeutigen geschlechtlichen Zuschreibungen hinnehmen, das afrikanische «Sugar Mummy»-Phänomen, also reiche Frauen, die sich jüngere Liebhaber suchen, sowie die Angebote für Sextouristinnen, zum Beispiel in Gambia. Aber das bringt eben diese eindeutigen Rollenzuschreibungen der «armen Frauen» und der «bösen Männer» durcheinander. Dazu gehört auch die Tatsache, dass viele Bordellbetreiber Frauen sind. Doch selbst wenn diese Fakten anerkannt werden, dann wird immer noch behauptet, Männer würden per se durch bezahlten Sex nicht so traumatisiert, wie man das automatisch für die Frauen annimmt.


Es ist höchste Zeit, dass diese Aspekte einmal angesprochen werden.

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