Donnerstag, Oktober 16, 2025

Süddeutsche Zeitung: "Wer weiße Männer aus den Bibliotheksregalen räumt, stellt womöglich zu spät fest, dass sie Alliierte waren"

1. Die Süddeutsche Zeitung kommentiert die Säuberung von Bibliotheken, die Bücher von weißen Männern betrifft:

Auf Festivals, in Preisreden, auf Podien wird die Forderung, alte weiße Männer lieber heute als morgen aus dem Kanon zu entfernen, so oft und so gedankenlos vorgetragen, dass sie längst etwas Ritualisiertes hat.


Das sei bedenklich, weil das gegnerische Lager darauf reagiere:

Die Literaturwissenschaft beobachtet schon seit einiger Zeit, dass der Umbau des Kanons zu den zentralen Kulturkampftechniken der autoritären Rechten zählt. Sie gemeinden Bücher ein, interpretieren sie um und versuchen, Werke, die vom liberalen Lager als zu weiß, zu männlich, zu hetero suspendiert werden, in ihren eigenen Gegenkanon zu integrieren – auf Augenhöhe mit faschistischer Literatur.


Generell sei es zweifelhaft, Autoren allein wegen ihrer Hautfarbe und ihres Geschlechts zu verbannen, die das Denken vieler Linker teilten:

Heute liest die Literaturwissenschaft Thomas Mann als einen schwulen Aktivisten, der sich für eine Demokratie auf deutschem Boden stärker eingesetzt hat, als viele Linke es je getan haben, einschließlich Brecht. Sie liest einen Kleist, der sich in seiner Novelle "Die Verlobung in St. Domingo" mit den Sklavenaufständen in Haiti beschäftigt, einem klassisch postkolonialen Thema. Und sie liest, wie Schiller, Novalis, Kant die Idee eines freien Menschen entwickeln, der sich von der Zugehörigkeit zu einer Nation nicht verzwergen lassen will.

(…) Das hieße alles erst einmal: lesen. Wenn man fordert, weiße Männer aus den Bibliotheksregalen zu räumen, wird der Applaus immer preiswerter zu haben sein. Im schlimmsten Fall stellt sich zu spät heraus, dass sie eigentlich Alliierte waren.


Ich finde es ja erfreulich, wenn die Süddeutsche Zeitung sich dagegen stellt, dass Autoren wie ich aus Bibliotheken verbannt werden. Der Artikel ist mit Sicherheit gut gemeint. Trotzdem hinterlässt er einen seltsamen Nachgeschmack: Er legt nahe: Solche Säuberungen wären dann in Ordnung, wenn durch eine Lektüre bestimmter Bücher nachweisbar wäre, dass die Linke entsprechende Autoren NICHT als Verbündete gewinnen könnte. Könnte man eine Novelle Kleists nicht als "postkolonial" einordnen, wäre die Entfernung seiner Werke aus öffentlichen Bücherregalen dann okay? Darf die Meinung Andersdenkender, solange es sich nicht offenkundig um Volksverhetzung etcetera handelt, in öffentlichen Einrichtungen wie Bibliotheken nicht ebenfalls vorkommen – und sei es, damit man deren Denken gründlicher versteht und seine eigene Meinung daran schärfen kann?



2. In Luxemburg geht das Theater um den DP-Politiker Schockmel weiter, nachdem eine große Tageszeitung einen feminismuskritischen Artikel von ihm veröffentlicht hatte. (Genderama berichtete.) So behauptet ein Leitartikel des Tageblatts, Kritik an der feministischen Weltsicht sei eine "Einstiegsdroge"

Es gibt keinen Zweifel. Die Aussagen, die der DP-Abgeordnete Gérard Schockmel in seinem Wort-Gastbeitrag zum Thema Abtreibungsrecht niedergeschrieben hat, sind dezidiert antifeministisch – und stellen eine grobe Verzerrung feministischer Ideen und Ideale dar. Nicht ohne Grund haben sie schnelle und harte Reaktionen aus einem breiten Spektrum hervorgerufen. Von Chamber-Kollegen über Politikerinnen seiner eigenen Partei (darunter die Diversitätsministerin und die DP-Chefin) bis zur Zivilgesellschaft.

Es gibt in diesem Fall eine persönliche und gesellschaftliche Ebene. Die persönliche Ebene hat mit der Person Schockmel zu tun und dreht sich um die Frage: Ist ein Abgeordneter mit solchen Vorstellungen von politischen Freiheitsbewegungen tragbar für die liberale Fraktion im luxemburgischen Parlament? Diese Frage muss die DP selbst in den kommenden Tagen beantworten. Die gesellschaftliche Ebene reicht jedoch weit über die Person Schockmel hinaus – und geht uns alle an. Denn hier zeigt sich ein Muster, das historisch zwar altbekannt ist, aber nichtsdestotrotz in jüngster Zeit neue Brisanz entwickelt hat: antifeministische Ideen als Vorhut autoritärer, freiheitsfeindlicher und am Ende oft extrem rechter Ideologien. Es beginnt mit dem angeblichen "Maulkorb" für Männer, mit Sprechverboten, einem Abtreibungsrecht, das zu weit gehe, und endet beim Feminismus als Untergang des Abendlandes. Antifeministische Argumente sind das Einfallstor für Gedankengut vom extremen politischen Rand ins bürgerliche Milieu der Mitte.


Hier senkt sich leider die Bezahlschranke, aber man erahnt schon, mit welcher kruder Logik es weitergeht: Weil radikal rechtes Denken oft mit Antifeminismus begänne, müsse auch Feminismuskritik tabuisiert werden (was natürlich keinen "Maulkorb" darstelle). Diese Logik krankt an demselben Denkfehler wie die Logik, die man tatsächlich aus der Drogendebatte kennt. Dort argumentieren einige: Weil viele Leute, die Heroin konsumieren, mit Haschisch angefangen haben, müsse man Haschisch verbieten. Dem haben Befürworter einer Legalisierung von Haschisch entgegengehalten: Es konsumieren zahllose Menschen Cannabis, ohne später zu Heroin zu greifen. Viele, die Heroin konsumieren, haben früher Schokoriegel gegessen – verbieten wir deshalb jetzt Schokoriegel?

Ich habe natürlich keinerlei Lust, hier eine Debatte über Drogenpolitik aufzumachen, behaupte aber, dass dieses Argument im Zusammenhang mit Feminismuskritik Sinn ergibt. Man könnte zum Beispiel argumentieren: Rechtsextreme lehnen die Gendersprache ab, deshalb sollten Zeitungen keine Artikel veröffentlichen, die die Gendersprache kritisieren. Was dabei natürlich übersehen wird: Wie zahllose Umfragen zeigen, mag eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung die Gendersprache AUCH NICHT. Ohne dass all diese Menschen deswegen in den Rechtsradikalismus abzurutschen drohen. Ganz ähnlich verhält es sich mit Kritik am Feminismus.

Bemerkenswert ist, wie sehr die Luxemburger Politik wegen eines einzigen feminismuskritischen Artikels aus dem Häuschen ist. Selbst dieses Minimum an Gegenrede in der Presse erträgt man dort nur schwer. Das Luxemburger Wort berichtet über die Reaktion der Grünen:

Zum Start der neuen Chamber-Session am Dienstagnachmittag wollten die Abgeordneten von "Déi Gréng" [den Artikel] nicht unkommentiert im Raum stehen lassen. So stellten die Grünen auf Initiative der Abgeordneten Joëlle Welfring 60 lilafarbene Buttons her, auf denen in weißer Schrift "Ech si Feminist" aufgedruckt stand. Diese hefteten sie sich vor Beginn der Sitzung ans Revers und verteilten sie an Abgeordnete aller Parteien.

"Es war uns wichtig, nach den toxischen Äußerungen des DP-Abgeordneten Gérard Schockmel ein Zeichen im Namen des Feminismus zu setzen", begründete Welfring die Aktion, die spontan entstanden sei, gegenüber dem "Luxemburger Wort".

Die Resonanz der Grünen fällt positiv aus: Zahlreiche Deputierte aller politischer Couleur hätten die Buttons entgegengenommen, berichtet die Abgeordnete Djuna Bernard. Einige hefteten sie sich auch ans Revers, wo die grünen Abgeordneten zudem Sonnenblumen trugen und die LSAP-Fraktion traditionell mit roten Rosen reüssierten.

Wie bei der Übertragung der Chambersitzung zu beobachten war, trat die CSV-Abgeordnete Octavie Modert mit dem Button ans Rednerpult.

Als Gérard Schockmel kurz vor 14 Uhr vor der Chamber ankam, mied er die direkte Konfrontation mit den grünen Abgeordneten. Auf dem Balkon wurde er von Abgeordneten der DP herzlich begrüßt und posierte schließlich mit ihnen für das obligatorische Gruppenfoto.




3. Die Post. Einer meiner Leser weist mich auf einen weiteren Artikel der Süddeutschen Zeitung über ein gestern ergangenes Urteil des Bundesverwaltungsgericht hin, das sie als "Sensation" bezeichnet: Wer mit dem Argument fehlender Ausgewogenheit bei ARD und ZDF den Rundfunkbeitrag nicht zahlen will, kann das vor Gericht ausfechten.

Die Pflicht zur Zahlung von Rundfunkbeiträgen entfällt, "wenn das gesamte Angebot der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten die Anforderungen an die gegenständliche und meinungsmäßige Vielfalt und Ausgewogenheit über einen längeren Zeitraum gröblich verfehlt", heißt es in dem Grundsatzurteil. Der Beitrag ist kein Automatismus, bedeutet das, keine immerwährende Garantie. Er ist nur dann gerechtfertigt, wenn die Sender das liefern, was sie versprochen haben. Und ob sie das tun, kann vor Gericht überprüft werden.


Mein Leser schreibt mir dazu:

Wäre es nicht super spannend darauf hin zu arbeiten ob in den letzten 10 Jahren der ÖRR in Sachen Gleichberechtigung ausgewogen agiert hat? Sämtliche Archive gerichtlich überprüfen lassen wie oft auf die zahlreichen rechtlichen Diskriminierungen von Männern hingewiesen wurden und wie oft es um "Pinktax" ging? Wie oft wurden Männer verbal erniedrigt und diffamiert ("toxisch") und wie oft im Vergleich dazu Frauen? Wie viele Sendungen gab es in den letzten Jahren die sich speziell an Frauen richten und wie viele die sich speziell an Männer richten. Wie oft werden frauenspeziefische Themen behandelt (zum Teil ja durchaus zu recht) und wie oft männerspezifische?




4. Mehr Post. Ein weiterer Leser schreibt:

Lieber Arne,

dieser Tage waren wieder sehr interessante Beiträge in deinem Blog zu lesen. Besonders schön zu lesen ist, wenn sich doch hin und wieder Menschen finden, die sich trauen, der feministischen Ideologie entgegenzutreten. Leider war es heute schon wieder deprimierend.

Folgende Gedanken möchte ich gerne dazu äußern:

1. In meiner universitären Ausbildung und auch danach konnte ich jeder einzelnen "feministischen Studie" Verfahrensfehler und thematische Einseitigkeit vorwerfen. Diese Verwerfungen in der Wissenschaft korrelieren interessanterweise mit solchen in der Politik und der Beobachtung zunehmender Einseitigkeit öffentlich-rechtlicher Medien und ihrer Hinwendung zur aktivistischen Berichterstattung (ein Oxymoron) oder – wie du heute zitierst – mit der zunehmenden Forderung antidemokratischer Zensur gegen Meinungen, die nicht dem "Feminismus" entsprechen. Ob dazu nicht auch gut die Durchsetzung von Frauenquoten und der Versuch passen, das Maskulinum als „grammatisch neutrales Standardgeschlecht“ aus der deutschen Sprache zu tilgen ("Gendern")?

2. In Luxemburg wurde vor Schockmels Äußerung beschlossen, die "Freiheit" zur Abtreibung in die Verfassung aufzunehmen (wie in Frankreich). Schockmel beschwert sich in dem von dir verlinkten Artikel nicht nur über eine Art Gesinnungsdiktatur des Feminismus, sondern erwähnt zurecht auch gute Gründe, warum weder ein Recht noch die Freiheit zur Abtreibung in der Verfassung eines Landes etwas zu suchen hat – interessanterweise geäußert von einer Feministin, Simone Veil. Aber leider wird es wohl auch in Luxemburg dazu kommen, ohne gleichzeitig an die Freiheit oder die Rechte des Mannes oder des Kindes zu denken. Wo ist das demokratisch und gleichberechtigt?

3. Ich glaube in der Tat auch, dass es nicht nur um positive Diskriminierung, sondern um absolute Macht für Frauen (zum Gebären eines Kindes fähige Personen) und die Abschaffung des Männlichen und der Männlichkeit an sich geht – also im Grunde ein faschistisches Projekt. Und auch ich habe die Nase voll davon, dass Männlichkeit und Männer immer nur negativ dargestellt werden, wie es Brendon Gleeson kritisiert. (…) Der diskriminierende Begriff "Toxische Männlichkeit" will einfach nicht verschwinden. Nach wie vor wird aber nur eine Wehrpflicht für Männer diskutiert!

(…) Manche sprechen inzwischen ganz offen an, welche gesellschaftliche Errungenschaft der Feminismus gebracht hat: uneingeschränkte Verachtung alles Männlichen und Hass auf Männer. Viele Männer machen bei ihrer eigenen Vernichtung übrigens nur allzu gerne mit. Dabei wäre der Kampf gegen Feminismus eigentlich eine Selbstverständlichkeit für jeden aufrechten Demokraten und Humanisten.




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