Warum Jungen abgehängt werden und was wir dagegen tun können
1. Die Neue Zürcher Zeitung hat als meines Wissens erste deutschsprachige Zeitung den US-amerikanischen Männerrechtler Richard Reeves interviewt. Ein Auszug:
NZZ: Richard Reeves, ist die Emanzipation zu weit gegangen, wie viele Maskulinisten behaupten?
Reeves: Im Gegenteil. Sie ist zu wenig weit gegangen. Gleichberechtigung braucht den Blick auf beide Seiten. Was Frauen sich erkämpft haben, ist richtig und wichtig. Die Gesellschaft braucht starke Frauen. Aber sie braucht auch Männer, die stark sein dürfen.
NZZ: Dürfen sie das nicht mehr?
Reeves: Gerade weil Geschlechterfragen so ideologisch diskutiert werden, argumentiere ich stets datenbasiert. Und die Statistik zeigt: Buben und junge Männer haben Probleme: Sie sind einsamer, haben Mühe, eine Freundin zu finden, werden in der Schule abgehängt und in vielen Branchen von Frauen überholt. In einer Umfrage des amerikanischen Meinungsforschungsinstituts Pew war die Hälfte der Befragten der Meinung, die Gesellschaft bestrafe Männer dafür, wenn sie sich wie Männer benähmen.
NZZ: Männlichkeit gilt per se als toxisch?
Reeves: Offenbar befürchten das viele. Genau deswegen wehre ich mich vehement gegen den Ausdruck "toxische Männlichkeit". Mir ist nämlich noch niemand begegnet, der definieren kann, wie ein Mann sein muss, damit er nicht toxisch ist und sich dennoch von einer Frau unterscheidet. Das aber lässt den Buben bloss zwei Optionen: entweder dem Männerbild eines Andrew Tate nachzueifern oder sich an der Schwester zu orientieren. Müssen sie sich zwischen reaktionär und weiblich entscheiden, wählen sie das Erstere. (…) Für mein Buch "On Boys and Men" von 2022 habe ich von Verlagen noch Absage über Absage kassiert, weil sie fürchteten, Bubenthemen könnten als antifeministisch ausgelegt werden.
Das kommt mir irgendwoher bekannt vor.
NZZ: Hat die Wahl von Donald Trump die Kehrtwende eingeläutet?
Reeves: Sicher hat sie vielen Linken die Augen geöffnet: Buben- und Männerthemen zu ignorieren, heisst, sie der Rechten zu überlassen. Es ist kein Zufall, dass jetzt linke Gouverneure Bubenthemen ansprechen. Denn überall, auch in Europa, sind populistische Bewegungen dort am erfolgreichsten, wo junge Männer am meisten Schwierigkeiten haben. Allerdings hat die Wahl von Trump es auch schwieriger gemacht, überhaupt zu Geschlechterthemen zu forschen und Massnahmen finanziert zu bekommen. Seine Anti-Gender-Politik trifft nicht nur Transgender und Frauen, sondern alle.
NZZ: Die neusten Daten aus Schweizer Schulen zeigen, dass Mädchen die Buben nicht nur in den Sprachen abgehängt haben, sondern auch in den naturwissenschaftlichen Fächern deutlich aufholen. Sind sie einfach fleissiger?
Reeves: Dieses Phänomen zeigt sich in der ganzen westlichen Welt. Es kann also weder am Schulsystem noch am individuellen Fleiss liegen. Vielmehr ist das Problem systemisch. Überall fehlen im Klassenzimmer die Männer. Überall wurden Mädchen in Mathematik und Naturwissenschaften aktiv gefördert. Dauernd werden sie gefördert und angetrieben, weil Bildung für ein unabhängiges Leben wichtig ist. Das ist zwar richtig und gut.
NZZ: Aber?
Reeves: Welche Botschaft hören die Buben? Dass sie mehr wie die Schwester sein sollen. Buben aber wollen keine Mädchen sein. Also kommen sie ungefähr mit zwölf Jahren zu dem Schluss, dass dieses ganze Schul-Ding etwas für Weiber ist. Es gibt in Bezug auf Geschlechterbilder nichts Konservativeres als Buben in der Pubertät.
2. Dieses Wochenende fand in Berlin ein profeministischer Kongress "zu Männlichkeiten – über Männlichkeiten – gegen das Patriarchat" statt. Zu den Programmpunkten gehörten "girl meets boys – Schneewittchen und die 7 Zwerge", ein Crashkurs Männlichkeitskritik, ein Workshop Feminizide (vermutlich keine Anleitung) und eine Lesung über "Migränntlichkeit". Die "taz" stöhnte vorab, wie schwierig es ist, Männer zu einer solchen Veranstaltung zu schleppen:
Christoph May kennt das Problem: "Es kostet viel Energie, Männer zu so einem Event zu bewegen, auf das sie keine Lust haben", sagt der Literaturwissenschaftler und Gründer des Instituts für Kritische Männerforschung. Doch es gebe Wege, meint er: "Die Ansprache muss viel niedrigschwelliger sein." Schon der Titel "profeministischer Kongress" klinge für viele "sehr links und elitär" und könne abschreckend wirken. "Wenn,Feminismus' im Titel steht, springt leider meistens schon die Hälfte der Männer ab", erklärt May.
Ein Kongress sei ein guter Anfang, so der Literaturwissenschaftler, wichtiger sei es jedoch, Männer in ihrem Alltag zu erreichen: im Fußballverein, in der Kneipe um die Ecke oder über Serien wie "Adolescence".
3. Der Spiegel hat den Rechtspsychologen Max Steller zu Falschaussagen interviewt. Auch hieraus ein Auszug:
SPIEGEL: Womit könnten Sie eher leben: Wenn jemand unschuldig in Haft sitzt oder schuldig ist, aber frei herumläuft?
Steller: Einen Unschuldigen einzusperren, widerspricht den Grundsätzen unseres Rechtsstaates. Wenn ich weiß, dass jemand zu Unrecht in einer Zelle sitzt, weil ein Gericht falschliegt, bereitet mir das schlaflose Nächte. Manche Fälle belasteten mich so sehr, dass ich überlegte, an die Presse zu gehen. Ich war mir aber auch bewusst, dass ich danach nie wieder einen Gutachtenauftrag erhalten hätte. Und dann hätte ich keinem Menschen, ob Opfer oder Unschuldiger, mehr helfen können.
Das Interview kommt auf die berüchtigten Wormser Prozesse zu sprecen:
SPIEGEL: Damals waren 25 Frauen und Männer aus der Gegend um Worms angeklagt, mindestens 16 Kinder missbraucht zu haben. Weil es so umfangreich war, gab es drei Prozesse, die von 1994 bis 1997 am Landgericht Mainz verhandelt wurden. Sie waren Gutachter in einem der Verfahren. Wie haben Sie die Prozesse damals erlebt?
Steller: Das Ganze fing mit zwei Scheidungskonflikten an. Eltern kämpften um ihre Kinder. Einige Kinder schliefen deshalb schlecht, wachten manchmal schreiend auf. Eine Sozialpädagogin und ein Kinderarzt sahen darin Reaktionen auf Missbrauch. Dabei hatte keines der sehr jungen Kinder von sich aus eine Andeutung in diese Richtung gemacht, entsprechende Fragen sogar wiederholt verneint. Ihre belastenden Aussagen entstanden erst nach wochen- und monatelangem Befragen. In der Anklage war dann von einem sadistischen Porno-Ring die Rede. Während des Ermittlungsverfahrens hatten drei psychologische Gutachter die späten Aussagen der Kinder als glaubhaft eingestuft.
SPIEGEL: Sie sahen das anders.
Steller: Ein Beispiel: Wir hörten uns in der Verhandlung Aufklärungskassetten an, die die Sozialpädagogin den Kindern vorgespielt hatte. Audiokassetten über den Wettlauf von Spermien, untermalt mit Musik von Beethoven. Und beim Crescendo traf das Spermium auf die Eizelle. Wenn sich eine Fünfjährige dann abrupt der Sozialpädagogin zuwandte, meinte sie, Bescheid zu wissen: Das Kind wurde missbraucht. Geht es noch absurder? Eine Großmutter, die mitangeklagt war, hatte es damals auf den Punkt gebracht: Die Kinder sind dummgebabbelt worden. Die Gehirnwäsche hat bei ihnen zu Scheinerinnerungen geführt.
SPIEGEL: Für Ihre kritische Haltung wurden Sie heftig angefeindet und als "Täterschützer" beschimpft.
Steller: Solch eine Aggressivität hatte ich noch nie erlebt. Ich weiß, dass man mich sogar beobachten ließ. Unser Institut in Berlin befand sich in einer alten Villa. Viele Tage stand dasselbe Auto vor der Tür. Darin saß jemand, der sich primitiv hinter einer Zeitung zu verstecken versuchte. Die wollten etwas finden, um mich zu diskreditieren und aus dem Prozess zu kicken.
Am Ende sprach das Gericht sämtliche Angeklagten frei. Der vorsitzende Richter erklärte, dass es diesen Prozess niemals hätte geben dürfen, zumal die Kinder dabei ihren Familien entrissen worden waren. Aber der Wahn, im Mann von nebenan, die Verkörperung des Bösen zu sehen, hatte damals einen ersten Höhepunkt erreicht. Einen zweiten Höhepunkt gab es 20 Jahre später.
SPIEGEL: In den vergangenen Jahren hat sich der Umgang mit sexueller Gewalt geändert, es gibt die #MeToo-Bewegung. Manche Aktivisten und Aktivistinnen fordern, einer Frau immer zu glauben, wenn sie angibt, vergewaltigt worden zu sein.
Steller: Das verstößt gegen Grundsätze unseres Rechtssystems, und es widerspricht rationalem Denken. Rechtlich und ethisch für mich undenkbar. Eine falsche Anschuldigung kann Leben zerstören. Jeder Vorwurf muss geprüft werden.
SPIEGEL: Sie sagten einmal, solchen Anschuldigungen müsse mit der gleichen Skepsis begegnet werden wie Vorwürfen, bei denen es um Autodiebstahl geht.
Steller: Mir wurden zweimal kurz nacheinander gute Rennräder gestohlen. Und beide Male hatte ich beim Anzeigen das Gefühl, die Polizisten seien skeptisch, vermuteten Versicherungsbetrug. Ich fand das damals nicht fair. Aber natürlich war es richtig, meine Angaben zu hinterfragen und so etwas mitzudenken. Warum sollte das im Bereich von Sexualdelikten anders sein?
SPIEGEL: Kann es einen Übereifer beim Aufdecken von Sexualdelikten geben?
Steller: Ja, und das wird auch öffentlich zugegeben. In vermeintlich wissenschaftlichen Publikationen finden Sie das zynische Argument, dass man früher den sexuellen Missbrauch häufig übersehen habe, weswegen man heute eben in Kauf nehmen müsse, dass er auch mal fälschlich angenommen wird. Da sträuben sich mir alle Haare. Man kann altes Unrecht nicht mit neuem ausgleichen.
Klar, dass Steller sich mit solchen Positionen so viel Hass wie sonst nur wir Männerrechtler zuzieht.
4. In der "Welt" findet Christine Brinck eine Wehrpflicht auch für Frauen selbstverständlich:
Allein der Gedanke, dass Frauen Wehrdienst verrichten sollen, erscheint all jenen als Affront, die sonst gar nicht genug Gleichberechtigung kriegen können. (…) "Frauen dienen längst" lautete eine Überschrift in der "Zeit". Damit war freilich der Dienst an der Mutterfront gemeint. Beschworen wurden die lebensbedrohenden Gefahren von Schwangerschaften, die den Wehrdienst der Männer aufwögen. Warum dieses Argument in die Irre führt? Der Muttertod während Schwangerschaft und Geburt ist minimal dank der guten Betreuung (drei bis vier Todesfälle auf 100.000 Geburten).
Sodann: Die junge Frau von heute kriegt ihr erstes und statistisch oft einziges Kind eher mit dreißig und nicht mit zwanzig. Da bleibt genug Zeit, ein Jahr Wehrdienst nach der Lehre oder vor der Uni abzudienen. Schließlich ist die medizinische Versorgung in der Truppe hochprofessionell. Eine schwangere freiwillige Soldatin muss nicht durch den Schlamm robben oder Panzer fahren. Sie wird genauso freigestellt wie eine schwangere Ärztin oder Orchestergeigerin.
Müssen Frauen ein Leben lang geschont werden, weil sie Kinder kriegen? Dem kleinen Frauchen ist die Wehrpflicht nicht zuzumuten? Im zivilen Leben kann sie Pilotin, Kranführerin oder Feuerwehrfrau werden – nicht gerade Schreibtischjobs. Das haben sich Frauen beherzt erkämpft. Aber Wehrdienst können sie nicht leisten? Dann sind dänische oder israelische Frauen offenbar Superweiber von einem anderen Stern.
5. Der kurdische Fernsehsender Rudaw berichtet aus Syrien:
Ein hochrangiger Hilfsbeamter hat vor weit verbreitetem sexuellem Missbrauch von Jungen im syrischen Lager al-Hol gewarnt und erklärt, dass Frauen Minderjährige ausbeuten, um Kinder zu gebären und die Ideologie des Islamischen Staates (ISIS) fortzuführen.
Dr. Lilla Schumicky-Logan, stellvertretende Geschäftsführerin des Global Community Engagement and Resilience Fund (GCERF), beschrieb die Lage nach einem Besuch des Lagers in der kurdischen Region im Nordosten Syriens (Rojava) im vergangenen Monat als "äußerst kritisch, äußerst schlimm".
Der GCERF mit Sitz in Genf ist eine internationale Stiftung, die mit Regierungen und Gemeinden zusammenarbeitet, um gewalttätigen Extremismus zu verhindern.
"Was jetzt passiert, ist, dass viele junge Jungen von den Frauen dort missbraucht werden, um sie zu schwängern und die Linie des Kalifats fortzusetzen", sagte sie am Freitag gegenüber Rudaw und bezog sich dabei auf das Lager im Nordosten Syriens, in dem Zehntausende Frauen und Kinder untergebracht sind.
"Es gibt viele schwangere Frauen. Es gibt viele Babys. Und diese Jungen im Alter von 12, 13, 14, 15 Jahren werden sexuell missbraucht, um die Linie des Kalifats fortzuführen. Das ist der schlimmste Kindesmissbrauch, den man sich vorstellen kann."
In Al-Hol leben etwa 6.500 Ausländer aus 42 Nationen sowie Zehntausende Syrer und Iraker. Schumicky-Logan sagte, sie sei schockiert gewesen, als sie kleine Kinder im Lager vorfand, wo "es eigentlich nur Frauen und Kinder geben sollte, es sollte keine Babys geben. Wir haben jedoch viele sehr kleine Kinder gesehen."
6. Die Post. Einer meiner Leser schreibt mir zu einem Artikel der "Zeit" über Mütter, die ihren Mann verlassen haben:
Dreimal anekdotisch die weibliche Perspektive. Es gilt doch auch im Journalismus der Grundsatz "Audiatur et altera pars" - auch die andere Seite anhören. Wäre interessant gewesen, auch eine Stellungnahme der verlassenen Männer gegenüber zu stellen.
7. Mehr Post. Ein anderer Leser schreibt mir:
Hallo Arne,
keine Ahnung, ob du die Geschichte von Amy Griffin schon kennst. Kurzfassung: Vermögende amerikanische Fondsmanagerin, die sich unter dem Einfluss von Drogen auf einmal an einen vermeintlichen sexuellen Missbrauch in der Schule erinnert. Darüber hat sie ein Buch ("The Tell") geschrieben, das zum Bestseller wurde. Der entsprechende Lehrer konnte natürlich identifiziert werden.
Jetzt kommen auf einmal Zweifel an ihrer Geschichte auf, die New York Times hat einen langen Artikel darüber geschrieben.
Es ist schon gruselig, dass solche Anschuldigungen, die ja im Prinzip unter Drogeneinfluss erhoben werden, vermarktet werden. Was aus dem beschuldigten Lehrer geworden ist, erfährt man leider nicht - aber er dürfte durchaus massive Beeinträchtigungen in Privat- und Berufserleben erlitten haben.
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