Mittwoch, April 22, 2015

MANNdat und Genderama als Experten vom Landtag Nordrhein-Westfalen angehört

Seit mehreren Monaten steht ein Antrag der nordrhein-westfälischen FDP für eine moderne und ganzheitliche Geschlechterpolitik online, der erkennbar von der Männerrechtsbewegung geprägt ist und zentrale maskulistische Positionen enthält:

Die Landesregierung wird aufgefordert,

1. den eingeleiteten Perspektivwechsel in der Gleichstellungspolitik auf Bundesebene aktiv für eine chancengerechte Gesellschaft politisch mitzugestalten;

2. in die landesseitige Gleichstellungspolitik die Jungen- und Männerpolitik auf allen Ebenen fest zu verankern, so dass der Boden für eine Vielfalt männlicher Rollen und Lebensentwürfe geschaffen wird;

3. die Umgestaltung von Karrieremustern von Jungen und Männern sowie gleichermaßen von Mädchen und Frauen, die Männerforschung und die Männerarbeit (Beratung, Bildung, Begegnung von Männern) zu unterstützen und zu fördern;

4. zu überprüfen, ob in die Entwicklung des "Landesaktionsplanes zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen NRW" auch Präventionsangebote für gewaltbetroffene Männern einbezogen werden können;

5. sich dafür stark zu machen, dass künftig ein möglichst ausgewogenes Geschlechterverhältnis der Lehrkräfte in der Bildungskette vertreten ist;

6. das Präventionskonzept des Landes durch eine Landesinitiative zur Förderung der Gesundheit von Männern zu erweitern.


Unterzeichnet ist der Antrag unter anderem vom FDP-Bundesvorsitzenden Christian Lindner sowie von der emanzipationspolitischen Sprecherin der FDP-Landtagsfraktion Susanne Schneider. Nachdem sich Schneider in einem Interview mit der "Welt" dafür ausgesprochen hatte, Männer politisch zu unterstützen, hatte ich zu dieser Neuausrichtung der Liberalen einen Beitrag für den Opinion-Club auch deshalb verfasst, um die FDP auf mein Interesse an dieser Entwicklung aufmerksam zu machen. Wie sich jedoch zeigte, als Susanne Schneider etwas später tatsächlich mit mir Kontakt aufnahm, wäre das noch nicht einmal nötig gewesen: "Wenn ich als geschlechterpolitische Sprecherin meiner Fraktion Genderama nicht kennen würde, wäre ich eine Fehlbesetzung für diesen Job."

Frau Schneider nahm mit mir Kontakt auf, um mich um eine begleitende Expertise zu diesem FDP-Antrag zu bitten, ergänzt um eine Stellungnahme bei einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Frauen, Gleichstellung und Emanzipation des nordrhein-westfälischen Landtags, die am 22 April 2015 stattfinden sollte. Während das Erstellen einer solchen Expertise für mich natürlich unproblematisch ist, erschien es mir sinnvoll, für die Landtags-Anhörung jemanden dazuzunehmen, zu dessen Beruf es gehört, Politikern und anderen Verantwortungsträgern aktuell vorliegende Statistiken zu erklären: den MANNdat-Vorsitzenden Dr. Andreas Kraußer. Die Einladung des nordrhein-westfälischen Landtags erging insofern kurz darauf an uns beide.

Natürlich waren wir beiden nicht die einzigen, die eine solche Einladung erhielten. Dazu zählten auch Vertreter des Gender-Establishments, wie sie in diesem Verteiler aufgeführt sind, also beispielsweise das Bundesforum Männer, Barbara Stiegler von der Friedrich-Ebert-Stiftung, die Bundesarbeitsgemeinschaft Mädchenarbeit in NRW sowie Henning von Bargen vom grünen Gunda-Werner-Institut, der allerdings der heutigen Expertenbefragung fern blieb.

Unsere Stellungnahme und unsere Expertise zum FDP-Antrag sind hier nachzulesen; eine Übersicht der eingegangenen Stellungnahmen findet man hier.

Wie bereits erwähnt, fand heute Nachmittag die öffentliche Anhörung und Expertenbefragung im nordrhein-westfälischen Landtag statt. Diese Anhörung kann ich nicht im Einzelnen schildern, da ich mich natürlich darauf konzentrieren musste, der Diskussion zu folgen und die an mich gerichteten Fragen zu beantworten, und nicht darauf, eine neue launige Reportage für Genderama zu verfassen. Belassen wir es also dabei, dass Andreas Kraußer und ich mit dem Verlauf der Anhörung sehr zufrieden sind: Andreas konnte eine ganze Bandbreite von Aspekten darstellen, die sonst oft untergehen; ich selbst konnte viel Raum für mein Kernthema "häusliche Gewalt gegen Männer" gewinnen, was mir in der etablierten Männerszene sonst viel zu kurz kommt, weil die dort rührigen Männer in der Regel aus den Bereichen Väter, Gesundheit und Jungenarbeit kommen und das Gewaltthema weitgehend unbesetzt ist (zumal Hans-Joachim Lenz nicht mehr sehr aktiv zu sein scheint, der sich früher um diese Problematik gekümmert hat).

Vor diesem insgesamt sehr erfreulichen Hintergrund kann ich es nicht mal der Abgeordneten der Piratenpartei übel nehmen, dass sie während der Anhörung immer wieder lästernde Kommentare über Andreas und mich auf Twitter setzte – schließlich war auch Genderama daran beteiligt, dass diese Partei ihre Zukunft inzwischen hinter sich hat, da kann ich einen gewissen Unmut absolut nachvollziehen.

Nach der Sitzung kam einer der Teilnehmer auf Andreas und mich zu, um anzumerken, dass ihm durchaus gefiele, wie wir Aspekte zur Sprache brächten, die sonst eher unter den Tisch fallen gelassen würden, allerdings seien wir womöglich besser beraten, wenn wir die Dinge diplomatischer formulieren würden. Wir antworteten darauf, dass uns allzu "diplomatisches" Auftreten als keine sinnvolle Strategie erscheint, zumal niemand von uns eine Karriere im Bundesforum Männer anstrebt. Rückblickend fällt mir dazu ein, dass etwa Barbara Stiegler keine Scheu hatte, ihren Ärger über einige Passagen des FDP-Antrages rauszuhauen, während mehrere Männervertreter einen Großteil ihrer Redezeit für weitschweifige Erklärungen verwendeten, dass sie auf keinen Fall Männer- gegen Fraueninteressen ausspielen wollten, sondern das Ganze eher "multiperspektivisch" angehen zu wollen und so weiter und so fort. Ist ja alles richtig, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass diese ständigen Kratzfüße, die allein von uns Männern gefordert werden, auf Dauer viel Spaß machen.

Festzuhalten bleibt jedenfalls: Bislang war die Männerrechtsbewegung ein Teil der außerparlamentarischen Opposition (APO). Mit der FDP gewinnen wir aktuell Zugang auf die parlamentarische Ebene. (Derzeit ist die FDP bekanntlich nur in Landesparlamenten und nicht auf Bundesebene vertreten. Aber wie zuletzt die Hamburg-Wahl gezeigt hat, ist die Partei alles andere als tot, und Ende März lag sie bundesweit erstmals wieder bei fünf Prozent.) Der "Cordon Sanitaire", den etwa Thomas Gesterkamp als Vertreter des Gender-Establishments um missliebige Meinungen ziehen wollte, lässt sich nicht aufrecht erhalten. Dasselbe gilt für die Diffamierungen von Andreas Kemper, Hinrich Rosenbrock und Co. Der FDP dürften sämtliche Denunziationen aus dem radikalen und fundamentalistischen Lager der Geschlechterszene ziemlich wuppe sein. Das merkte man auch, nachdem sich vor der heutigen Anhörung die Landeskonferenz der Gleichstellungsbeauftragten an den Hochschulen, die NICHT eingeladen waren, in ihrer Stellungnahme nicht entblödeten, gegen die Teilnahme von MANNdat an der Anhörung zu wettern. Als Reaktion auf diese Stellungnahme konnte ich bei meinen Gesprächspartnern bei der FDP keine große Betroffenheit feststellen.

Soweit zu den aktuellen Entwicklungen in diesem Bereich. Es wird zu diskutieren sein, was sie für die linke Männerpolitik bedeuten, für die ja auch Genderama steht.

Vor mehreren Wochen befand Lucas Schoppe, an diesen Entwicklungen zeige sich, "wie gewohnte Fronten in Unordnung geraten", und befand: "Wenn linke Männerrechtler parteipolitisch ausgerechnet mit der FDP Hoffnungen verbinden, ist das möglicherweise weniger eine tragfähige Perspektive als ein Zeichen für Verzweiflung." Muss das so sein?

Verzweifeln kann man in der Tat an der verlässlich reaktionären Geschlechterpolitik linker Parteien wie den Grünen und der SPD, die sich gegenüber Männeranliegen bislang komplett uneinsichtig und verstockt zeigen. Mir ist natürlich klar, dass andererseits bei manchen linken Männerrechtlern die FDP im Augenblick wegen ihrem Verhalten bei anderen Themen unten durch ist. Allerdings könnten die Liberalen für Linke mit einem Interesse an Geschlechtergerechtigkeit zumindest einen geeigneteren Verbündeten als die AfD darstellen – die einzige andere bekannte Partei, die zwar noch immer nicht Männeranliegen, aber immerhin Kritik an Feminismus und Gender im Programm hat. Wenn ich mich aus männerpolitischer Perspektive für eine Partei entscheiden müsste, wäre das die FDP: Die SPD, die Grünen und Die Linke fahren eine radikale Anti-Männer-Politik, während die CDU/CSU in Scharen aus dem Bundestag flüchtet, sobald dort über die Frauenquote abgestimmt wird.

Ich selbst habe als Linker auch aus einem anderen Grund mit der Unterstützung der FDP keine Probleme: Die größte Schuld und zugleich das größte Trauma der deutschen Geschichte war der Nationalsozialismus, eine Ideologie, die die Ansprüche des Kollektivs rigoros über die Ansprüche des Individuums gestellt hat. Eine Linke, die sich konträr zum Nationalsozialismus versteht, sollte die Werte der persönlichen Freiheit und der Autonomie des Individuums zwingend verteidigen, was durch die FDP ebenso geschieht wie durch die diversen liberalen und libertären Medien, in denen ich schon veröffentlicht habe. Mir ist klar, dass meine Orientierung an liberalen Werten demagogisch dazu benutzt wird, mich bzw. die Männerbewegung als "rechts" zu etikettieren, womit nicht "konservativ", sondern "rechter Rand" gemeint ist (siehe das oben erwähnte Protestschreiben der Gleichstellungsbeauftragten), aber ich habe kein Interesse daran, diesem Rufmord nachzugeben. Dass es im vergangenen Jahrhundert auch unter dem Banner linker Ideologien zu Gleichschaltung und einem Ignorieren der individuellen Freiheitsrechte kam und sich ähnliches aktuell unter dem Feminismus abzeichnet, ist eine Schattenseite des eigenen Lagers, der sich verantwortungsbewusste Linke im Jahr 2015 endlich mal stellen könnten.

Eine Alternative zum parlamentarischen Weg, für den die FDP steht, schlug unlängst der linke Männerrechtler Leszek vor:

Meiner Überzeugung nach wird die Männerrechtsbewegung langfristig nur Erfolg haben, wenn sich reife und verantwortungsvolle Leute finden, die die Bereitschaft besitzen konsequent gewaltfreie direkte Aktionen durchzuführen. Diese sollten so durchgeführt werden, dass sie dazu geeignet sind, Interesse und Sympathie in der Mehrheitsbevölkerung zu wecken (also NICHT die Methode IGAF) sowie die Medien zu erreichen.


Zu solchen gewaltfreien direkten Aktionen hatte in der deutschen Männerbewegung aber in den letzten Jahren noch niemand ernsthafte Bereitschaft gezeigt, und es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass sich das in der überschaubaren Zukunft ändern wird.

Verständlicherweise besteht unter Männerrechtlern sämtlicher Lager vermutlich die Sorge, dass sich die FDP nur kurzfristig und aus taktischem Kalkül dem Männerthema zuwendet, dieses Engagement aber ein Strohfeuer bleibt. Immerhin aber ist es Susanne Schneider bereits letztes Jahr gelungen, für ihren Antrag, den Boys Day in Richtung Jungenförderung auszuweiten, sämtliche Fraktionen des nordrhein-westfälischen Landtags zu gewinnen, was einer kleinen Oppositionspartei nicht oft vergönnt ist. Auch waren es FDP-Abgeordnete wie Miriam Gruß und Birgit Homburger, die im Jahr 2010 gemeinsam mit Unions-Abgeordneten wie Volker Kauder einen Antrag mit dem Titel "Für eine moderne Gleichstellungspolitik – Perspektiven für Jungen und Männer erweitern" in den deutschen Bundestag einbrachten, was Professor Walter Hollstein damals als "Sternstunde in der Jungen- und Männerfrage" bezeichnete. Hier konnte sich in letzter Sekunde das Bundesforum Männer dazwischenwerfen und dafür sorgen, dass Männer zwar nominell regierungsamtliche Fürsprecher bekamen, diese angeblichen Fürsprecher aber tatsächlich feministisch ausgerichtet bleiben und das Gender-Establishment nicht ernsthaft in Frage stellten.

Aus Sicht der FDP ist es strategisch am besten, engagierte Männerpolitik als Alleinstellungsmerkmal zu haben und damit beim Wähler zu punkten. Aus Sicht der Männerbewegung ist es am besten, wenn hier zwischen den Parteien ähnlich wie seit Jahrzehnten in der Frauenpolitik ein Wettbewerb entsteht, wer die bessere Männerpolitik bietet. Meines Erachtens sollte das unser langfristiges Ziel sein.

Wie auch immer – auch der heutige Tag hat gezeigt: Genderama wirkt. Damit das so bleibt, freue ich mich bekanntlich über jede Unterstützung. Je stabiler meine finanzielle Situation ist, desto mehr Zeit habe ich, eine bessere Politik für Männer durchzusetzen – und nebenbei denjenigen Leuten auf den Sack zu gehen, die es verdient haben. (Weder unsere Expertise noch unsere Anhörung im Landtag wurde in irgendeiner Form finanziell honoriert.) Die Dinge entwickeln sich zwar entnervend langsam, aber wir sind weiterhin auf einem guten Weg.

Der einzige Genderama-Leser übrigens, der auf meine Herausforderung, noch könnten Wetten abgegeben werden, mit welcher Partei ich derzeit sympathisiere, einging, war der Frontberichterstatter. Er schrieb mir am Montagnachmittag unter Verweis auf die aktuellen Anträge der Liberalen: "Es ist die FDP". Herzlichen Glückwunsch!

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