Lesermail (Schweizer "Weltwoche" verharmlost sexuellen Missbrauch)
Einer meiner Leser schreibt mir heute zu der rechtskonservativen Schweizer Wochenzeitung "Weltwoche", die er normalerweise schätze:
Umso entsetzter war ich, als ich in der heutigen Ausgabe auf den Artikel "Gleichgeschaltet" stiess, in der Alex Baur (seit letzter Woche Träger eines Zürcher Journalistenpreises) pädophile Straftaten an Jungen rechtfertigt, gewissermassen idealisiert, sowie eine Ungleichbehandlung von Frauen und Männern vor dem Gesetz fordert. Dies anhand eines Falles, in dem in Meilen (ZH) eine 37-jährige Frau vor Gericht stand, weil sie mit einem 13-jährigen Jungen Sex hatte.
Folgende von mir kommentierte Zitate sind aus dem Artikel:
"Die Liaison dauerte ein halbes Jahr, an einem einzigen Tag soll sich der sextolle Bursche fünf Mal ins Schlafzimmer der Nachbarin verirrt haben."
Man beachte bereits die Diktion. Wären die Geschlechter vertauscht, wäre ganz bestimmt nicht von "Sie verirrte sich in sein Schlafzimmer" die Rede.
"Dies schlägt sich auch im drakonischen Strafantrag beim Meilemer Gericht nieder. Es ist etwa die Strafe, die ein pädophiler Mann zu erwarten hätte."
Wahnsinn. Die Strafe wäre für den Mann akzeptabel, ist aber bei der Frau "drakonisch". Da bleibt einem doch gleich die Spucke weg. Die beiden Sätze stehen tatsächlich so hintereinander, ohne jegliche Ironie.
"Doch: Ist es wirklich dasselbe, wenn eine erwachsene Frau einen pubertierenden Burschen in ihr Bett schlüpfen lässt?"
Hier wieder: sie lässt ihn schlüpfen. Niemals wäre in einem Artikel über einen 37-jährigen, der Sex mit einer 13-jährigen hatte, eine solche Wortwahl überhaupt möglich. Zudem ist das eine rhetorische Frage, denn Baur geht gleich dazu über, zu erklären, warum es eben nicht dasselbe sei:
- Initiation durch reife Frau ist ein Klassiker der Weltliteratur
- Das Sprichwort "Auf alten Pfannen lernt man kochen"
- Sexfantasien von Teenagern mit älteren Frauen
Dass das unglaublicher Stuss ist, muss kaum ausgeführt werden. Wäre das Opfer weiblich, wäre hier von Victim Blaming die Rede. Gewisse Frauen haben Vergewaltigungsfantasien. Dürfen sie deshalb vergewaltigt werden? Natürlich nicht!
"Es ist auch nicht neu, dass Frauen, die Sex mit Minderjährigen haben, mit einer Strafe rechnen müssen, wenngleich selten ein Fall vor Gericht endet. Es kommt halt immer auf die Umstände an. Die Geschlechter sind nun mal verschieden."
Sprich: Weil die Jungen das ja wollen, müssen Frauen weniger hart bestraft werden. Dass die Fälle nicht vor Gericht landen, nimmt Herr Baur perverserweise sogar als Indiz dafür, dass es ja nicht so schlimm sein könne, während im umgekehrten Fall gerne von erschreckenden Dunkelfziffern von misshandelten Mädchen die Rede ist, wenn es um das Anzeigen von Sexualstraftaten geht.
Was in einer Frau vorgeht, die mit einem 13-jährigen schläft, wird selbstverständlich auch ausgeklammert, während im Falle eines Mannes natürlich von einem kranken, perversen Hirn die Rede wäre.
Den zitierten Artikel finden Sie im Anhang auf Seite 12. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie auf Ihrem Blog etwas darüber schreiben, oder meinen kurzen Text veröffentlichen würden. Ich bin noch dabei, einen Leserbrief zu schreiben.
Ich habe den zitierten Artikel von Alex Baur mit Interesse gelesen. Der darin behandelte Fall wird von Baur als "erster Fall zur Anwendung des neuen Pädophilen-Regimes" bezeichnet. "Die Gleichmacherei ist en vogue – ob Frauen, Männer oder Transen, ob hetero, homo oder bi, alles ist einerlei" führt Baur dazu aus. Es ist eine fast schon ulkige Warnung, die so vielleicht nur in der Schweiz funktioniert: Gebt den Homos und Transen gleiche Rechte, und die Missbrauchstäterinnen werden als nächstes dran sein! Insgesamt bestätigt der Artikel nicht nur den Eindruck, den ich von der "Weltwoche" ohnehin schon habe, er veranschaulicht auch gut, inwiefern eine rechtskonservative Haltung Männerrechten einen Bärendienst erweist.
Die Schweizer Tageszeitung 20 Minuten berichtet in weniger ekelhafter Weise über den Fall.
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