Multitasking weniger nützlich als fatal
Eines der beliebten Vorurteile, denen zufolge Frauen Männern überlegen seien, ist die angebliche Fähigkeit der Damen zum Multitasking:
Sprechen, zuhören, gleichzeitig auch noch darauf achten, dass das Essen nicht überkocht und den Film im Fernsehen verfolgen – unmöglich? Nein, Frauen können das. Denn: Sie sind wahre Meisterinnen im Multitasking und können mühelos mehrere Dinge gleichzeitig tun.
heißt es etwa auf der Website Frauen-Erfolgstag. Zahlreiche populärwissenschaftliche Zeitungsartikel griffen diese Ansicht auf. „Frauen sind die besseren Multitasker“ meldet so etwa auch heise online und berichtet:
Die sich hartnäckig haltende Meinung, Frauen könnten besser als Männer mehrere Dinge gleichzeitig verrichten, wurde durch eine vom Halbleiterhersteller Intel in Auftrag gegebene Studie bestätigt. Die Mehrheit der für diese Studie Befragten meinte außerdem, es sei heutzutage vor allem im Beruf vorteilhaft, mehrere Sachen parallel erledigen zu können. Frauen als die besseren Multitasker genössen deshalb Wettbewerbsvorteile.
Allerdings erklärt die Informatikerin Dr. Cornelia Brunner in einem Interview folgendes:
Männer können häufig im Gegenteil zu Frauen kein Multitasking, also konzentrieren sie sich immer ganz auf eine einzige Aufgabe, was Frauen oft sehr schwierig finden. Das ist einer der Hauptgründe, warum Frauen ihr technisches Studium abbrechen oder die Arbeit aufgeben. (...) Natürlich können Männer Multitasking lernen, wenn damit früh genug angefangen wird. Frauen können es nur deshalb, weil sie so erzogen werden, weil es von ihnen erwartet wird, im Gegenteil zu Männern. Es ist ja auch unmöglich, auf ein Kind aufzupassen, wenn man keinen Multitasking kann! Diese Fähigkeit ist sehr wichtig für die Zusammenarbeit, deshalb werden zur Zeit Frauen für die technischen Berufe gesucht.
Öhm ... Moment mal. Männer sollen eine Fähigkeit lernen, die, wenn man sie besitzt, dazu führt, dass man erfolglos bleibt und schließlich den Bettel hinschmeißt, aber trotzdem werden Leute mit dieser Fähigkeit gesucht? Irgendwas ist hier doch mal wieder oberfaul.
Tatsächlich wird Multitasking in der Fachwelt schon seit längerer Zeit kritisch gesehen. So berichtete vor etwa einem Jahr die “Berliner Zeitung“:
Im menschlichen Alltag kann Multitasking sogar mehr Zeit fordern als das geordnete Arbeiten auf ein Ziel hin. Das fanden unter anderem David Meyer und Jeffrey Evans von der University of Michigan heraus. "Können sich die Angestellten nicht einmal zehn Minuten hintereinander konzentriert einer Sache widmen, verliert die Firma 20 bis 40 Prozent an Effektivität", rechnet David Meyer vor.
Und aktuell erfährt man aus den Wissenschaftsseiten von Spiegel Online:
Der Mensch ist nicht in der Lage, erfolgreich mehrere Dinge auf einmal zu tun. Das bestätigen Wissenschaftler in neuen Untersuchungen. Zwar beharren viele Unternehmer und Betriebsberater auf der Ansicht, verschiedene Aufgaben zugleich zu erledigen, sei das Patentrezept gegen Dauerstress, gegen zu viel und zu langsam erledigte Arbeit. Multitasking nennen sie dieses Rezept. Doch Psychologen, Neurowissenschaftler und Ökonomen widersprechen mittlerweile einhellig: Der Mensch mache bei solchem Vorgehen haufenweise Fehler, sein Gehirn sei der Doppelbelastung nicht gewachsen. Er verplempere sogar Zeit, und zwar mehr als ein Viertel, weil er Fehler wieder ausbügeln und sich an die jeweils nächste Aufgabe erinnern müsse. (...) Jonathan Spira, Geschäftsführer der New Yorker Beratungsfirma Basex, befragte amerikanische Manager nach ihren Arbeitsgewohnheiten. 28 Milliarden Arbeitsstunden, so rechnete Spira danach aus, nehmen pro Jahr allein Unterbrechungen in Anspruch, die durch das ständige Wechseln der Tätigkeit entstehen. (...) Spira errechnete bei einem angenommenen Stundenlohn von 21 Dollar einen gigantischen Verlust: Der sinnlose Versuch, im Job mittels Multitasking produktiver zu werden, koste die amerikanische Wirtschaft jedes Jahr 588 Milliarden Dollar. Vielleicht ist diese Schätzung sogar noch zu optimistisch. Denn Spira hat nicht die Spätfolgen berücksichtigt, die der Glaube ans Multitasken mit sich bringen kann. Ernst Pöppel prophezeit "Konzentrationsstörungen und den Verlust des Kurzzeitgedächtnisses". Daraus resultiere ein "unzusammenhängender, schizoider Denkstil", so der Hirnforscher. "Wir können keinen Kontext mehr verinnerlichen. Alles wird sofort wieder gelöscht, nichts bleibt dauerhaft im Gedächtnis."
Tja, das ist rückblickend wohl eher doof, dass ganze Regale von Frauen-sind-besser-Literatur das weibliche Geschlecht zum Meister in Multitasking erklärten, solange diese Begabung noch als Merkmal für herausragende mentale Fähgkeiten galt. All diese Artikel und Bücher wieder umzuschreiben dürfte nicht ganz einfach sein.
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