Plädoyer für eine männerfreundliche Psychotherapie
Im Magazin des Zentrums für Männerpsychologie beschäftigt sich Dr. John Barry damit, wie man die seelische Gesundheit von Männern verbessern kann.
Seit ich vor fast 15 Jahren angefangen habe, im Bereich der Männerpsychologie zu arbeiten, hat sich die Zahl der Menschen und Organisationen, die Männern helfen wollen, explosionsartig vermehrt. Das klingt großartig – oder etwa nicht?
In einem Gespräch mit Bill Clinton erklärte Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom kürzlich, er wolle sich stärker für Männer einsetzen. Als Inspirationsquelle nannte er jedoch unter anderem die Dokumentation seiner Frau, die Männlichkeit eher in einem negativen Licht darstellte. Genau hier liegt das Problem: Der Bereich der psychischen Gesundheit von Männern ist noch immer stark vom sogenannten Defizitmodell der Männlichkeit geprägt – also der Vorstellung, Männlichkeit sei grundsätzlich problematisch oder gar schädlich. (…) Selbst gut gemeinte Initiativen laufen Gefahr, ins Leere zu laufen oder gar das Gegenteil dessen zu bewirken, was sie eigentlich wollen, wenn sie auf diesem fragwürdigen Ansatz beruhen.
Aus meiner Erfahrung in diesem Feld – und nachdem ich anfangs selbst naiv darauf vertraut hatte, man könne einfach auf der bestehenden Forschung aufbauen – halte ich es für entscheidend, vier zentrale Punkte über die psychische Gesundheit von Männern zu verstehen:
1. Männlichkeit ist nicht die Hauptursache psychischer Probleme von Männern
Es ist fast schon ein Gemeinplatz: Männlichkeit schade der seelischen Gesundheit von Männern, etwa weil Männer dadurch nicht über ihre Probleme sprechen würden. Eine der meistzitierten Studien zu diesem Thema trägt den Titel "Masculinity and Suicidal Thinking." Doch ein Blick in die Analyse zeigt: Männlichkeit war keineswegs der stärkste Faktor für Suizidgedanken. Deutlich wichtiger waren Depressionen, belastende Lebensereignisse, das Fehlen einer Beziehung und Drogenkonsum. Trotzdem heißt die Studie nicht "Depression and Suicidal Thinking" oder "Life Events and Suicidal Thinking".
Von den elf untersuchten Teilaspekten von Männlichkeit war nur einer – "Auf-sich-selbst-vertrauen" bzw. die Weigerung, Hilfe zu suchen – überhaupt messbar mit Suizidalität verbunden, und selbst das nur sehr schwach. Trotzdem wird die Studie immer wieder als Beleg angeführt, dass Männlichkeit Männer suizidgefährdet mache. Dadurch lenkt sie die Aufmerksamkeit von den eigentlich relevanten Faktoren – wie Lebenskrisen oder Beziehungsproblemen – ab.
2. Die Forschung zur Männergesundheit läuft seit Jahrzehnten in die falsche Richtung
Seit den 1980er Jahren konzentriert sich die Forschung zur psychischen Gesundheit von Männern fast ausschließlich auf Männlichkeit – und ist seither in einer Art Paradigmenfixierung gefangen. Immer wieder werden dieselben Studienansätze wiederholt, ohne aus früheren Fehlern zu lernen.
Typische Probleme dieser Forschung sind:
• Die Definition von Männlichkeit ist meist von vornherein negativ besetzt (das "Defizitmodell"), oft sogar mit Klischeevorstellungen wie "Homophobie" oder "Machtstreben über Frauen".
• Aussagen junger Männer werden auf alle Altersgruppen übertragen, obwohl sich Einstellungen im Laufe des Lebens deutlich verändern.
• Korrelationen werden fälschlicherweise so behandelt, als bewiesen sie eine ursächliche Verbindung – obwohl jeder Statistiker weiß: Korrelation ist nicht Kausalität.
Die Vorstellung, Wissenschaft stehe "auf den Schultern von Giganten", gilt nur, wenn diese Giganten tatsächlich gute Forschung leisten. Wenn sich aber über Jahre ein Berg fehlerhafter Studien auftürmt, dann machen auch Metaanalysen daraus keine solide Erkenntnis – sie verleihen nur fragwürdigen Ergebnissen einen Anschein von Autorität. Noch problematischer wird es, wenn KI-Modelle wie ChatGPT oder Grok diese fehlerhaften Schlussfolgerungen ungefiltert übernehmen, einfach weil sie in der Literatur so häufig vorkommen.
3. Männlichkeit kann die psychische Gesundheit von Männern stärken
Das mag viele überraschen, aber es gibt Belege dafür, dass traditionelle Männlichkeitswerte mit besserer psychischer Verfassung zusammenhängen. Eine Studie fand zum Beispiel, dass Männer, die traditionelle Männlichkeit stärker bejahten, tendenziell mehr Selbstwertgefühl und Optimismus zeigten.
Erstaunlich ist eher, dass solche Ergebnisse meist ignoriert oder sogar abgewertet werden. Eine Übersichtsarbeit etwa beschrieb, dass Männer mittleren Alters Tätigkeiten wie Holz hacken oder Motorradfahren nutzen, um Depressionen zu bewältigen – und verwarf das dann mit der Begründung, solche Strategien könnten "hegemoniale Ideale" und "Machtstrukturen" reproduzieren.
Solche Reaktionen zeigen, wie tief die Fixierung auf das Defizitmodell sitzt: Positive Aspekte von Männlichkeit werden kaum erforscht und, falls sie doch auftauchen, oft relativiert oder verschwiegen.
Wir sollten Männlichkeit realistisch und positiv sehen. Doch der Begriff "positive Männlichkeit" wird häufig so verwendet, als bedeute er "weniger Männlichkeit". Viele sagen zwar inzwischen: "Männlichkeit ist nicht toxisch", greifen aber weiterhin Begriffe wie "hegemoniale Männlichkeit" und "Männlichkeitsnormen" auf, die letztlich das Gleiche implizieren.
Meine eigene Forschung zeigt: Männer, die sich selbst einreden, ihre Probleme lägen an ihrer Männlichkeit – etwa daran, dass sie nicht über Gefühle sprechen oder aggressiv seien – haben im Schnitt schlechtere psychische Gesundheit. Männer also glauben zu machen, Männlichkeit sei ihr Problem, ist ganz offensichtlich keine wirksame therapeutische Strategie.
4. Wir brauchen eine wirklich männlich-zentrierte Herangehensweise
Empathie ist vielleicht der wichtigste Erfolgsfaktor jeder Therapie – und genau daran mangelt es bei vielen männlichen Klienten. Ansätze, die auf einem negativen Männerbild beruhen, schneiden entsprechend schlecht ab.
Ein positives Gegenbeispiel sind die Men’s Sheds in Australien: simple Werkstätten, in denen Männer einfach sie selbst sein dürfen – ohne theoretischen Überbau, aber mit messbar positiven Effekten auf Wohlbefinden und Gesundheit.
Die nächste sinnvolle Entwicklung wäre daher, Therapieformen zu fördern, die eindeutig männlich-zentriert sind. Ich benutze bewusst diesen Begriff statt "männerfreundlich", weil Letzteres meist nur Äußerlichkeiten betrifft – etwa Sprache oder Setting – und die Haltung der Therapeuten unreflektiert lässt.
Im Sinne der personzentrierten Therapie nach Carl Rogers bedeutet das:
• Unbedingte Wertschätzung: Der Therapeut akzeptiert den Klienten, auch wenn dieser typisch männliche Verhaltensweisen zeigt – etwa Wettstreit, Humor oder Zurückhaltung.
• Kongruenz: Der Therapeut sollte offenlegen, wie er selbst über Männer und Männlichkeit denkt.
• Empathie: Der Therapeut muss die Welt aus der Sicht des Mannes sehen – wenn der Klient also nicht glaubt, dass Patriarchat seine Ehe ruiniert hat, sollte man auf dieser Grundlage mit ihm arbeiten.
Therapien, die zwar "männerfreundlich" wirken, aber im Hintergrund weiter Patriarchat oder "toxische Männlichkeit" als Problemannahme behalten, sind letztlich widersprüchlich. Wenn ein Mann nach einer Scheidung suizidal ist, kein Zuhause mehr hat und seine Kinder kaum sehen darf, wird er kaum Verständnis für die Behauptung haben, seine Probleme lägen an patriarchalen Strukturen.
Therapeuten sollten daher ehrlich angeben, ob sie mit solchen Annahmen arbeiten – damit Klienten selbst entscheiden können, ob sie das möchten.
Schlussgedanken
Manche werden diesen vier Punkten sofort zustimmen, andere werden sich damit schwer tun. Wir alle sind in einer Kultur aufgewachsen, die seit Jahrzehnten lehrt, viele gesellschaftliche Probleme seien Folge des Patriarchats oder der Männlichkeit selbst. Diese Vorstellung prägt auch Psychologen und Forscher. Sich davon innerlich zu lösen, ist nicht leicht. Vielleicht stimmen Sie diesem Text heute zu – und morgen lesen Sie einen Artikel, sehen eine Talkshow oder eine Serie, die Sie wieder in das alte Denkmuster zurückzieht.
Doch es gibt Anzeichen für einen Wandel: Immer mehr Menschen interessieren sich für die psychische Gesundheit von Männern – und erkennen, dass die gängigen Theorien zur Männlichkeit nicht mehr passen. Neue, unabhängige Initiativen entstehen, manche erfolgreicher als etablierte Organisationen. Selbst große Institutionen wie die British Psychological Society oder die American Psychological Association beginnen, das Defizitmodell zu hinterfragen und Männer differenzierter zu betrachten.
Ob diese Entwicklung anhält, bleibt abzuwarten – denn es gibt noch immer viele, die bereitstehen, um die Diskussion wieder in alte Bahnen zu lenken: zu den ewig gleichen Erklärungen, wonach Patriarchat und Männlichkeitsnormen an allem schuld seien.