Donnerstag, Juni 11, 2020

Kontroverse: Ist der Feminismus schuld an Corona? – News vom 11. Juni 2020

1. Mit der Schlagzeile "Ist der Feminismus schuld an Corona?" betitelt die Neue Zürcher Zeitung einen Artikel über eine Kontroverse, die gerade in Spanien tobt. Natürlich geht es dabei nicht um die Entstehung, sondern die immense Ausbreitung der Pandemie:

Seit dem Beginn der Corona-Krise im März wird der spanischen Regierung vorgeworfen, die Epidemie mitverschuldet zu haben, weil sie die Kundgebungen am internationalen Frauentag zuliess. Inzwischen mischt auch die Justiz mit.


Hier geht es weiter. Wie Genderama damals berichtet hatte, waren am 8. März tausende Demonstranten durch Spaniens Straßen gezogen, ohne sich groß um die gerade ausbrechende Pandemie zu kümmern.

Schönster Satz des aktuellen Artikels der Neuen Zürcher Zeitung:

Der Vorwurf lautet also: Die linke Regierung habe die Gesundheit Hunderttausender von Frauen, die am 8. März durch die Strassen Madrids und anderer Städte zogen, im Namen des Feminismus grobfahrlässig aufs Spiel gesetzt.


Nun dürften auch in Spanien mehr Männer als Frauen durch Corona gestorben sein. Aber deren Tod ist nun mal nicht wichtig genug, als dass man einer Regierung daraus einen Vorwurf machen könnte.



2. Am Mittwoch, dem 17. Juni 2020, findet im Bundestag ab 18:15 Uhr eine Debatte zum Thema "Geschlechtergerechtigkeit nach Corona" statt. Dazu äußert sich die Interessensgemeinschaft Jungen, Männer, Väter mit folgender Pressemitteilung:

Antrag der Grünen zur Bundestagsdebatte leitet fehl

Berlin. Die Interessengemeinschaft Jungen Männer und Väter (IG-JMV) begrüßt grundsätzlich die Bereitschaft des Bundestages, über Folgen und Nebenwirkungen der Corona-Maßnahmen zu debattieren. "Dabei die Frage nach Gerechtigkeit zu stellen, ist richtig", bestätigt Gerd Riedmeier, Sprecher der IG-JMV, seien doch Beamte, Abgeordnete und Minister so gut wie nicht von den Maßnahmen betroffen - Unternehmen, Selbständige, Kurzarbeiter und Arbeitslose hingegen in besonderem Maße.

Die Grünen fokussieren in diesem Zusammenhang auf die Geschlechterfrage und multiplizieren dabei aktuelle Forderungen von Frauen- und Mütterverbänden. Die Corona-bedingten Belastungen von Männern und (getrennten) Vätern sprechen sie nicht an. Auch Bundesfrauenministerin Franziska Giffey (SPD) hält Corona-bedingte finanzielle Unterstützungen ausschließlich für getrennt erziehende Mütter für nötig (für Elternteile, in deren Haushalte die Kinder gemeldet sind). Trennungseltern, die partnerschaftlich ihre Kinder im "Wechselmodell" betreuen, ignoriert die Ministerin.

Auch die zweiten Elternteile, die zu 30 %, 40 % oder nahe 50 % ihre Kinder betreuen und dabei barunterhaltspflichtig sind, kommen in Ministerin Giffeys politischer Wahrnehmung nicht vor. Es sind vor allem getrennt erziehende Väter, die durch die verfügten Corona-Maßnahmen von Einnahmeausfällen betroffen sind, die nicht sie, sondern die Bundesregierung zu vertreten hat. Diese Väter erzielen geringere Einkünfte, ihre Verpflichtungen zum Kindesunterhalt bleiben jedoch konstant hoch.

Bundesfrauenministerin Giffey gibt jedoch den Rat, Väter sollten auf ihre Rücklagen zurückgreifen oder sich verschulden. Dabei leben viele dieser Väter bereits seit Jahren an der Armutsgrenze. Rücklagen oder Tilgungen sind für sie mangels finanzieller Ressourcen nicht möglich.

"Das Ausgrenzen dieser Väter ist inakzeptabel", wertet die IG-JMV. "Ähnliches würde das SPD-und Frauen-geführte Ministerium von 'Alleinerziehenden' nicht verlangen."

Gleichzeitig unterstellt Frauenministerin Giffey Männern aufgrund der Corona-Maßnahmen pauschal erhöhte häusliche Gewalt, begleitet von einer Zunahme sexuellen Missbrauchs, wohl wissend, dass in sämtlichen Bundesländern (mit Ausnahme von Berlin) die gemeldeten Gewaltfälle während Corona rückläufig sind.

Gearbeitet wird dabei nicht mit belastbaren Zahlen, sondern mit Vermutungen und Annahmen. Negativbeispiel ist eine aktuelle "Studie" der TU München, verfasst von zwei sehr jungen Akademikerinnen. Sie bezeichnen ihre Studie als repräsentativ für die Gesamtgesellschaft. Dabei fragten die "Wissenschaftlerinnen" in der Studie Gewalt gegen Männer und gegen Kinder gar nicht ab. Trotz dieser grundlegenden wissenschaftlichen Mängel zitieren die Medien ungeniert und verkürzt.

Wirklich skandalös ist der Umstand, dass die teils unterschwellig verursachten oder teils vorsätzlichen Umgangsbehinderungen und Umgangsvereitelungen durch Mütter gegen getrennt erziehende Väter weder bei Bündnis 90 / Die Grünen noch in der SPD thematisiert werden. Betroffen sind ja nicht Frauen (Mütter), sondern Männer (Väter).

Die gleiche Politik beklagt aktuell eine "Retraditionalisierung" in den Rollenverhalten von Müttern und Vätern. Dabei sind es vor allem die überkommenen Strukturen im bundesdeutschen Familien- und Steuerrecht ("eine betreut – einer bezahlt"), die nach einer Trennung ein tradiertes Rollenbild aus den 50er Jahren festschreiben.

Die IG-JMV kritisiert die aktuell erlebbare Debatte als ausgrenzend und Männer-diskriminierend nahe an einer Art "Geschlechter-Apartheid" und fordert eine Abkehr vom ausschließlichen Blick auf ein Geschlecht. Die Corona-bedingten Probleme sind sehr viel größer als mit dem einzigen Kriterium "Geschlecht" zu erfassen ist.




3. Eine neue Äußerung der Frauenministerin gibt es beim Thema "Covid-19 und häusliche Gewalt":

Eine Zunahme häuslicher Gewalt durch die Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen während der Corona-Krise ist nach Angaben von Familienministerin Franziska Giffey (SPD) bisher nicht konkret nachweisbar. Die Gewaltmeldungen seien erstaunlicherweise nicht überdurchschnittlich gestiegen, "was aber nicht bedeutet, dass die Zahl nicht höher geworden ist", sagte sie am Dienstag in Berlin. Experten gingen von einem hohen Dunkelfeld aus. Experten hatten angesichts der weltweiten Ausgangsbeschränkungen in der Corona-Krise vor einer Zunahme häuslicher Gewalt gewarnt. Auch Giffey hatte darauf mehrfach aufmerksam gemacht.

Beim deutschlandweiten Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" gab es zwischenzeitlich auch einen Anstieg der Meldungen. Giffey sagte am Dienstag, dieser Effekt trete regelmäßig an Feiertagen wie Ostern auf und dann, wenn besonders für das Angebot geworben werde. Pro Woche würden bei der Hotline ungefähr 500 Anrufe, die mit häuslicher Gewalt zu tun hätten, gezählt. "Wir haben dort keinen überbordenden Anstieg."


Kurz gesagt: Wir Maskulisten hatten "erstaunlicherweise" einmal mehr Recht behalten.

Die CDU allerdings veröffentlichte folgenden kuriosen Tweet:

Während der #Corona-Krise ist die #Gewalt gegen #Frauen gestiegen. Wir sehen nicht weg: Jetzt tagte der Runde Tisch von Bund & Ländern gegen Gewalt an Frauen. Mit 30 Mio. € für Frauenhäuser sorgen wird für mehr Schutz für Frauen. Mehr dazu hier.


Die männliche Hälfte der Opfer gehen weitgehend leer aus – allerdings möchte Frauenministerin Giffey beiden Geschlechtern einen Rechtsanspruch für einen Platz in einer Schutzunterkunft einräumen. Ob das bei lediglich sieben Männerhäusern in Deutschland umsetzbar ist, wird sich zeigen. (Wie der SPIEGEL Ende 2018 Ende 2018 berichtet hatte, wurden solchen Notunterkünften für männliche Opfer bislang staatliche Zuschüsse verweigert, da diese Schutzräume "frauenfeindlich" seien.) Auch in anderer Hinsicht soll es wieder einen Tippelschritt nach vorne gehen:

Nun habe man sich darauf verständigt, ein Konzept zu einer "einheitlichen Finanzierung und einem langfristigen Lösungsansatz" zu Schutz und Beratung zu erarbeiten, so Giffey. Dieses soll für alle gewaltbetroffenen Personen gelten, also auch für Männer.


Wie lange es noch dauert, bis männliche Opfer vollständig gleichberechtigt sind, steht noch in den Sternen. Klar ist nur: Ohne das anhaltende Engagement von uns bösen Männerrechtlern wären selbst die aktuellen Verbesserungen nicht drin gewesen.



4. Ihr erinnert euch vermutlich an den italienischen Physiker Alessandro Strumia, der vergangenes Jahr von Europas Nuklearphysik-Konsortium CERN entlassen wurde, weil er mit der Hilfe verschiedener Belege die These vertreten hatte, dass weibliche Physiker keineswegs diskriminiert werden, sondern mit weniger geleisteter Forschung eingestellt werden als männliche Physiker. Ähnlich unbotmäßige Meinungen werden jetzt auch im Fach Chemie entschieden bekämpft:

Ein Essay vom 5. Juni über den Stand der organischen Synthese löste bei Chemikern aufgrund der Kritik des Autors an den Bemühungen um eine stärkere Vertretung von Frauen und unterrepräsentierten Gruppen in diesem Bereich sofort einen Aufschrei aus. Die Zeitschrift, die den Aufsatz veröffentlichte, "Angewandte Chemie, International Edition", hat den Artikel inzwischen von ihrer Website entfernt und zwei ihrer Redakteure suspendiert, während sie den redaktionellen Prozess untersucht, der zur Veröffentlichung des Aufsatzes führte. Mehrere Mitglieder des internationalen Beirats der Zeitschrift sind aus Protest gegen den Aufsatz ebenfalls zurückgetreten.

Der Beitrag, den Tomáš Hudlický von der Brock University in Anerkennung des 83. Geburtstags des organischen Chemikers Dieter Seebach verfasst hat, reflektiert Faktoren, die die weitere Entwicklung auf dem Gebiet der organischen Synthese beeinflussen. Einer der Faktoren, die Hudlický erörtert, ist die Vielfalt der Belegschaft. Er argumentiert, dass die Bemühungen zur Förderung der Vielfalt die Einbeziehung bestimmter Personengruppen auf Kosten des Leistungsgedankens in den Vordergrund gestellt haben.

Nach sofortiger und heftiger Kritik von Chemikern an der Arbeit in sozialen Medien löschte die Zeitschrift den Aufsatz schnell von ihrer Website. Der Digital Object Identifier (DOI), ein universeller Code zur Identifizierung veröffentlichter Artikel, schickte die Leser zunächst zu einer Fehlermeldung "Seite nicht gefunden" und leitet nun zu einer Erklärung des Chefredakteurs der Zeitschrift, Neville Compton, weiter. In dieser Erklärung schreibt Compton, dass "während die Vielfalt der Meinungen und Gedanken Veränderungen und Debatten anregen kann, hatte dieser Aufsatz keinen Platz in unserer Zeitschrift". Compton fügte hinzu, dass die Zeitschrift "die Aktionen, die wir in der nächsten Woche durchführen, mit anderen teilen wird, um sicherzustellen, dass sich dies nicht wiederholt".

(...) Hudlický ist der Meinung, dass sein Essay aus dem Zusammenhang gerissen wurde, und er steht zu dem, was er geschrieben hat. Er fügte hinzu, dass er seit der Veröffentlichung und Löschung seines Artikels E-Mails mit Unterstützung und Kritik erhalten habe. Er weist auf die Vielfalt seiner eigenen Forschungsgruppe hin und erklärt, dass er nicht gegen die Vielfalt ist, sondern dass er gegen die Bevorzugung einer Gruppe gegenüber einer anderen argumentiert.

Hudlický bestýtigt, dass der Artikel einem Peer-Review-Verfahren unterzogen wurde und dass "Angewandte Chemie" ihn nicht informiert hatte, bevor sie seinen Artikel von der Website der Zeitschrift entfernte. Er beschreibt Versuche, seine Karriere und die der Herausgeber, die seinen Aufsatz bearbeitet haben, zu zerstören, als "über die Zensur hinausgehend". Er argumentiert, dass sein Artikel nicht aus der Literaturliste hätte gestrichen werden dürfen und dass die Zeitschrift stattdessen Chemiker hätte einladen sollen, Gegenargumente zu verfassen.


Dass ein veröffentlichter Text plötzlich "verschwindet", wenn er einem bestimmten Lager nicht genehm erscheint, ist im Wisschenschaftsbereich schon vor zwei Jahren passiert. Schade, dass es keine liberalen Parteien gibt, die eine immer weiter eingegrenzte Freiheit der Wissenschaft entschieden verteidigen. Während die Genderstudien diese Freiheit selbst für obskure Texte selbstbewusst einklagen, weicht sie in Fächern wie Physik, Chemie, Biologie und Mathematik zunehmend zurück. Als Wissenschaftsjournalist verfolge ich diese Entwicklung mit Sorge. Wenn man einen Fachartikel als diskriminierend oder unsubstantiiert betrachtet, sollte man dagegen Stellung beziehen und eine Kontroverse führen, ihn aber nicht einfach verschwinden lassen. Wissenschaft lebt von der Debatte, nicht von ihrer Unterbindung.

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